Desillusionierung qua Defizit
Max von Malotki: Verschlusssache KI2015
WDR 1Live, Do 29.10.1015, 23.00 bis 23.55 Uhr
Im Jahr 2012 hat Max von Malotki mit „Futur III“ ein ziemlich abgedrehtes Science-Fiction-Hörspiel geschrieben, das mindestens den für dieses Genre vergebenen Kurd-Laßwitz-Preis verdient gehabt hätte. Es ging um die virtuelle Wiederauferstehung von Koma-Patienten, deren Bewusstsein in einen Kubus von 30 Zentimeter Kantenlänge transferiert wurde, und um eine Verschwörerclique aus der Zukunft, die nicht nur ihren Atommüll, sondern auch die körperlosen Bewusstseine ihrer Gegner in die Vergangenheit entsorgte – ein idealer „Ort“, weil man damit eine alternative Zeitlinie erschaffen hatte, die das eigene kriminelle Tun nicht weiter berührte. Temporeich und mit ständigen Perspektivwechseln inszeniert war das Stück erzähltechnisch auf der Höhe der Zeit und blieb bis zum Schluss spannend. Und, ach ja, BIBs, „Bodyless Industrial Beings“, gab es in „Futur III“ auch noch – Leute, die freiwillig auf ihren Körper verzichteten, um im Cyberspace leistungsfähiger als jeder Supercomputer für jede Menge Kohle langweilige Berechnungen für Konzerne oder Regierungen zu machen. Diese sogenannten „natürlichen Intelligenzen“ waren damals ‘der heißeste Scheiß’ im Cyberspace.
Mit seinem neuen Hörspiel „Verschlusssache KI2015“ bewegt sich Max von Malotki mehr als einen Schritt zurück in die Vergangenheit. Seine Hauptfigur hier ist eine „künstliche Intelligenz“ (KI) im Teststadium; es ist KI Z03, genannt Zoe (Jasmin Schwiers). Sie wird zunächst mit Weltwissen aus dem Online-Lexikon Wikipedia gefüttert – und der Hörer dabei gleich mit. Überflüssigerweise wird dabei auf die Geschichte der künstlichen Intelligenz vom Turing-Test über den von Drehbuchautor Arthur C. Clarke ersonnenen fiktiven Computer HAL 9000 aus „Odyssee im Weltraum“ bis zu Joseph Weizenbaums Chatbot„Eliza“ verwiesen.
Schließlich entscheiden sich die KI-Entwickler, das Geschwisterpaar Mira und Elias Kreft (Susanne Marie Kubelka und Jonas Minthe), ihre Z03 alias Zoe per Telefon der Interaktion mit echten Menschen auszusetzen. Denn die künstliche Intelligenz ist als Forschungsprojekt das Steckenpferd eines (von Guildo Horn gesprochenen) Callcenter-Chefs und so sind – auch hardwaretechnisch – zweieinhalb Millionen Anrufe in 14 Tagen kein Problem für das lernfähige System. Dabei ist hilfreich, dass Zoe jede Stimme synthetisieren kann, der sie zwei Minuten zugehört hat. Die Hörspielhandlung beginnt mit dem Tod von Mira Kreft, der manisch-depressiven KI-Entwicklerin, die von Zoe in den Selbstmord getrieben wurde, was die vornamenlose LKA-Beamtin Rall – erstaunlich flach gespielt von Sascha Icks – letztendlich herausfindet.
Doch das 55 Minuten lange Hörspiel hat schon ein paar Tage vor der Ursendung begonnen, als nämlich 1Live-Moderatorin Sabine Heinrich on air für die Rolle der KI Z03 eine Sprecherin sucht. Zoe bewirbt sich mit der Stimme ihrer Entwicklerin Mira selbst, doch das Gespräch wird unterbrochen. Und so machen sich 1Live-Reporter auf die Suche und die Hörer erfahren von Miras Mutter, dass ihre Tochter bereits seit sechs Wochen tot ist. (Das sorgte für einen Schockeffekt im 1Live-Tagesprogramm, der in den sozialen Netzwerken für ein bisschen Aufregung gesorgt hat.)
Der WDR hat Zoe, wie Fotos auf der Webseite von 1Live zeigen kann, sogar einen albernen Roboterkörper spendiert, der entfernt an den Roboter „Nummer 5“ aus dem Hollywood-Film von 1986 erinnert; zudem wurde für Zoe auch eigens ein Twitter-Account eingerichtet (@OfficialZ03). Die Suche nach Mira ist in ihrer ganzen Tonalität an die Scripted-Reality-Formate des Privatfernsehens angelehnt und die desillusionierenden Momente werden durch die defizitäre Schauspielerei der Akteure gesetzt, wie man wiederum in einem Video auf der Facebook-Seite von 1Live sehen kann. Und natürlich durfte ein Warnhinweis auf der 1Live-Webseite auch nicht fehlen: „Dieses Gewinnspiel ist Teil des Hörspiels. Alle hier abgebildeten Ereignisse sind rein fiktional.“
Schön, dass das Hörspiel über seinen Sendeplatz hinausdenkt und dazu auch die Möglichkeit bekommt. Der WDR hat das schon einmal versucht, als er Klaus Schönings Fassung von Orson Welles’ maßstabsetzender Medienfiktion „The War of the Worlds“ aus dem Jahr 1938 im WDR-2-„Mittagsmagazin“ wiederholte. Das war 1978 und trotz des Bemühens auf mehreren Ebenen, den Eindruck von live zu vermeiden, erkundigten sich damals 158 Anrufer beim WDR nach den Marsmenschen. Während Schöning die Selbstreflexion des Mediums Radio in seine Fassung des Science-Fiction-Hörspiels einbaute, reflektiert die bimediale Auswertung von „Verschlusssache KI2015“ lediglich die Marketing-Dimension gegenwärtiger Aufmerksamkeitsökonomien im Netz und im Radio – und die Medienkompetenz der Hörer.
Das Hörspiel selbst, das von Regisseur Matthias Kapohl akustisch opulent inszeniert wurde, ist durchaus unterhaltsam und funktioniert auch ohne das Vorspiel, das es auf dem Sender gab. Es leidet aber an einer etwas holprigen Dramaturgie und den etwas zu grob gezeichneten Charakteren. Irritationspotenzial hat die Gestaltung der Stimmen der Figuren, die durch Filterung immer wieder in die Künstlichkeit synthetisierter Stimmen abgleiten, so dass man meinen könnte, dass das Ganze nur ein Spiel der KI mit sich selbst sein könnte. Doch diese Grundfrage der Gattung Hörspiel – „Wer spricht?“ – wird von der vordergründigen Handlung weitgehend verdeckt.
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