Das Ungeheuer von Deep Ness
Kleine Radiovorschau für den 05. Oktober 2012
Was muß ein Hörspiel sein? Natürlich vor allem eines: deep. Entweder zieht die Klangkomposition und -gestaltung den Hörer in die Tiefe oder die Geschichte. Beides kommt nur in seltenen Glücksfällen zusammen. Der Krimi »Mensch auf Raten« von Pierre Boileau und Thomas Narcejac (Fr., 20 Uhr, DRS1) ist eine eher typische Romanadaption. Man ahnt bald, wie die Geschichte über einen hingerichteten Schwerverbrecher ausgehen wird. Seine Organe werden verschiedenen Patienten transplantiert. Das Hörspiel verhandelt also die unsinnige, in größeren Tiefen angstbeladene Frage, ob mit Teilen des Körpers nicht auch Teile der Seele operativ verpflanzt werden.
Filme sind im Radio deutlich öfter Thema als seine genuin eigenen Kunstformen wie Soundart oder Hörspiel. Auch im Feature »Süchtig nach Wahrhaftigkeit« (Fr., 20 Uhr, DLF) von Markus Metz und Georg Seeßlen geht es wieder ums Kino. Porträtiert wird der Filmemacher Michael Haneke. Es geht vor allem um seinen neuen Film »Amour«, der den Regisseur laut Programmankündigung, »in einem anderen Licht« erscheinen läßt. Statt einer »kalten Laboranordnung in Gesellschaft erstarrter Figuren unter dem Sezierbesteck eines erbarmungslosen Regisseurs« böte der Film »Momentaufnahmen von Wesen, die in all ihrer Widersprüchlichkeit zu vielem fähig sind: zur Brutalität, aber eben auch zur Liebe«.
Aber es gibt sie doch, die darstellenden Hörstücke mit großer Affinität zum Radio. Ein Beispiel ist Heiko Martens’ als Hörbuch bei Stil erschienene Krimiserie »Prof. Sigmund Freud«. Der Schauspieler Hans Peter Hallwachs spricht den Vater der Psychoanalyse sehr überzeugend. Martens hat Freuds blumige Sprache im Skript gut getroffen. Die erzählerisch in sich geschlossenen Teile der Serie präsentieren ihn als ersten Profiler der Kriminalgeschichte. SWR2 sendet den dritten Teil mit dem Titel »Versehrung« Freitag, den 05.10.2012 um 22 Uhr. Ein Mann bedroht vom Kirchturm herunter jeden, der sich dem Kirchplatz nähert, mit einem Gewehr. Freud soll ein Blutvergießen verhindern. Wie er das macht? Hören Sie selbst!
Jenen, die den SWR nicht empfangen, kann das zeitgleich (22h) auf rbb Kulturradio urgesendete Hörspiel »Republik der Verrückten« von Oliver Kontny empfohlen werden. Es greift die überlieferte persische Liebeserzählung von Laila und dem verrückten Dichter Madjnun auf. Dokumentarisch fließen Erzählungen iranischer Bürger ein. Dieses Mitschwimmen auf der Welle des Authentizitätshypes geht zu Lasten der künstlerischen Form, aber wer würde da nicht heutzutage Abstriche machen?
05.10.2012 junge Welt, Rafik Will
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