Das Ich als Rückkopplung
Edgar Lipki feat. fs:Kollektiv: Feedback Nigger Radio Reservation
WDR 3, Mo 30.09.2013, 23.05 bis 0.00 Uhr
Es ist immer schön, wenn ein paar Informationen über einen etwas kryptischen Hörspieltitel im Stück selbst enthalten sind. „Feedback“, so erfährt man mehrmals in Edgar Lipkis neuem 50-minütigem Stück, „ist ein Mechanismus in signalverstärkenden oder informationsverarbeitenden Systemen, bei dem ein Teil der Ausgangsgröße direkt oder in modifizierter Form auf den Eingang des Systems zurückgeführt wird.“ So steht es bei Wikipedia, von dort hat Lipki es übernommen – und außerdem liefert die Online-Enzyklopädie noch eine Übersetzung mit: Feedback = Rückkopplung. Versuchen wir probehalber eine Übersetzung von Lipkis Titel und befreien uns von der eher modischen als poetischen Mehrwert erzeugenden Substantivreihung, dann bedeutet „Feedback Nigger Radio Reservation“ in etwa „Rückgekoppeltes Neger-Radio-Reservat“ – und das ist eine überraschend genaue Beschreibung dessen, was man zu hören bekommen wird.
Der Text des Stücks, den der WDR dankenswerterweise zum Hörspiel ins Internet gestellt hat, ist, wie immer bei Lipki, eine Herausforderung. Für das Radio, für den Hörer und nicht zuletzt für das Sprecher-Ensemble. Bernhard Schütz, Kathrin Angerer, Astrid Meyerfeldt und Fabian Hinrichs stellen sich dieser Herausforderung hörbar engagiert in einem sehr dynamischen Hin und Her. Man merkt: Hier geht es offenbar um mehr als um Afrika als, so steht es im Manuskript, „letztes naturschutzgebiet kritischer theorie“, wo „der neger der böse weiße geist ist“ und „die austreibung des negers durch die erfindung des negers“ stattfindet. Da haben wir schon die erste Feedbackschleife, in der das Abgespaltene wieder in die Identität zurückgeführt wird. „Ich bin ein Neger“, wusste schon Heiner Müller. Aber wer, fragt sich Edgar Lipki, ist dann der Rassist in dem rückgekoppelten informationsverarbeitenden System, das man „ich“ nennt? Ist das überhaupt noch im Theorierahmen der Dialektik der Aufklärung zu denken oder ist die systemtheoretisch-kybernetische Terminologie da die angemessenere?
Die Kurzformel bei Lipki lautet: „das Ich ist mein Sender“ und wie jeder Sender ist es anfällig für Rückkopplungen. Das treibt auch die Autorfigur im Stück selbst um, die den Eindruck hat, „etwas wegräumen zu müssen, bevor ein anderes die Pause besetzt, die mich von meinem objekt trennt, sobald ich ICH sage.“
Doch so anspruchsvoll diese Identitätsfragen in dem geschützten Kulturradio-Reservat auch gestellt werden, so überraschend komisch kommen sie daher. Das Radio und die gegenwärtig so angesagten ästhetischen Mittel wie Remix und Reenactment bekommen ihr Fett weg und auch klangkünstlerische Konzepte werden ironisiert. Auf die Idee, den Schädel eines Herero-Kindes, der als Überbleibsel des ersten deutschen Völkermordes im 20. Jahrhunderts in Namibia in der Universität Freiburg lagert, zu mikrofonieren, um die Geräusche im Innern des Schädels mit dem Raumklang des Foyers der Deutschen Bank zu verschneiden, reagiert eine fiktive Dramaturgin nicht gerade begeistert: „klar kannst du was über koloniale vergangenheit machen. wenn ich aber dann nur diskurs diskurs höre und dazwischen alles minus 25 db, dann: danke für ihre rundfunkgebühren.“ Derartig geringe Schallpegel gehen natürlich gar nicht – und kommen bei Lipki auch nie vor. Doch so ironisch wie hier geht es in den Stücken von Edgar Lipki selten zu. Auch der Hörer entgeht nicht dessen Spott, weder der, der „abgeholt werden muss“, noch der, der „unser Radio“ (an einer Stelle heißt es sogar gebetshaft das „Radio unser“) unbedingt gerettet wissen will.
Bleibt noch der „Nigger“ im Hörspieltitel, der nicht nur als Hörer der metaphorische Bewohner des Neger-Radio-Reservats ist, sondern auch ganz konkret als Opfer politischer und militärischer Gewalt reflektiert wird. Angesichts des fast vergessenen Völkermordes an den Hereros durch die deutsche Kolonialmacht 1904 versucht sich die Autorfigur im Stück in die Magie zu retten: „ich habe deshalb das geräusch in dem knochenmantel eines hererokindes aufgezeichnet. meine idee war seinen bösen zauber zu bannen. im geräusch des hohlraums elektronisch verstärkt über die ausstrahlung im deutschen radio sollten die toten ihren namen wieder hören. eine akustische wiedergutmachung.“
In Christoph Schlingensiefs Hörspiel „Rocky Dutschke ’68“ (vgl. FK 3/97) war es die beabsichtigte Verlesung der Namen aller sechs Millionen ermordeter Juden, die den bösen Zauber der deutschen Verbrechen bannen sollte. Ausgeführt werden sollte diese Beschwörung von einer Redakteurin für „Gedenken ohne Schmerzen“, und die wurde von eben der Astrid Meyerfeldt verkörpert, die hier bei Lipki keine Nazi-Mutter spielen will. Doch dieser ironische Sprung aus dem Diskurs in die Magie ist der einzige Berührungspunkt zu Schlingensiefs Werk, während Edgar Lipki sonst eher auf dem Gebiet von Analytikern wie René Pollesch oder Albrecht Kunze spielt.
Das Hörspiel „Feedback Nigger Radio Reservation“ arbeitet mit der Überblendung von der metaphorischen und realen Wortbedeutung seines Titels. Manchmal verstärken sich die Bedeutungen und manchmal löschen sie einander aus. Und manchmal springt aus den textuellen Rückkopplungsprozessen etwas heraus, was man, wenn man die Ausgangsbedingungen des Systems „Lipki-Hörspiel“ betrachtet (‘schwieriger’ Autor, gewollt-ambitionierter Titel, mutmaßlich überforderter Hörer), nicht erwartet hätte: Komik.
Außerdem fällt auf, dass die akustisch-musikalische Gestaltung, deren Vielfalt dem Text in nichts nachsteht, ganz auf triviale Geräusche akustischer Rückkopplungen verzichten kann. Unter dem Label fs:Kollektiv (fs = fugitive sounds) haben sich für dieses Hörspiel die Musiker und Soundkünstler Joker Nies und Silas Bieri zusammengefunden. Bleibt zum Schluss nur noch eine Frage: Wann bekommt Edgar Lipki endlich einmal den Hörspielpreis der Kriegsblinden?
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 41/2013
P.S. Hier steht was Stefan Fischer von Lipkis Hörspiel hält, nämlich folgendes: „Seit Christoph Schlingensief tot ist, gibt es im Hörspiel nur noch Edgar Lipki, der mit lärmender Brutalität von der Welt erzählt. …“
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