Das Drama der begabten Mutter
Mariola Brillowska: Institut Elektra
WDR 3, Sa 23.02.2019 19.05 bis 19.58 Uhr
Am Beginn aller Kreativität steht das So-tun-als-ob und so ist auch in den Hörspielen von Mariola Brillowska diese kindliche Art des Spiels der Ausgangspunkt. Der wohltemperierte Radioton ist ihre Sache nicht. Stattdessen spielt die deutsch-polnische Autorin in ihren Stücken lieber selbst eine der Hauptrollen, engagiert Familienmitglieder oder andere nicht-professionelle Mitwirkende. Ihr neues Hörspiel „Institut Elektra“ nun ist ausschließlich weiblich besetzt (unter anderem mit Brillowskas Töchtern Bela und Gloria) und es geht darin um die komplizierten Beziehungen von Töchtern und ihren berühmten Müttern.
Bevor Mariola Brillowska in der Rolle der Tochter der Psychoanalytikerin Alice Miller im titelgebenden Institut Elektra eincheckt, kommt erst einmal Françoise Cactus, Sängerin des französisch-deutschen Indie-Pop-Duos „Stereo Total“, in einer Doppelrolle als Marlene Dietrich und deren Tochter zu Wort. Die Dietrich-Tochter will Alice Schwarzer verklagen, weil die deren Buch über ihre Mutter verrissen hatte. Doch sie wird von ihrer Anwältin (Christine Aulbach in der Rolle einer Enkelin der Physik- und Chemie-Nobelpreisträgerin Marie Curie) belehrt, dass eigentlich sie, die Tochter, es ist, die mit ihrem Buch die Persönlichkeitsrechte ihrer Mutter verletzt hat. Denn die bestehen laut höchstrichterlicher Rechtsprechung auch nach deren Tod weiter. Sie könne also nur sich selbst verklagen, und zwar am besten in den USA, da seien die Schadensersatzsummen höher: »Ja, das müssen wir machen“, stimmt die Dietrich-Tochter zu. Und das ist nicht der einzige absurde Einfall in Mariola Brillowskas 53-minütigem Stück.
Von ihrer Anwältin an das therapeutische Institut Elektra in der Schweiz vermittelt, trifft die Dietrich-Tochter auf die Tochter von Hildegard Knef (Bela Brillowska), die pausenlos Kuchen backt. Deren Leben verläuft nach dem Motto des Knef-Hits „Von nun an ging’s bergab“ – ein Running Gag, der erfreulicherweise nicht überstrapaziert wird. Außerdem kommen in dem Hörspiel die Tochter der Sexberaterin Erika Berger (Silvia Berger), die von Anna Freud (Caroline Gempler), die von Romy Schneider (Gloria Brillowska) und die von Astrid Lindgren (Pia Düsterhus) vor. Geleitet wird das Sanatorium für Promi-Töchter von seiner Gründerin Walentina Tereschkowa (Iris Minich), Tochter der ersten Kosmonautin im All. Aber die ist eigentlich ein Mann und heiratet am Schluss des Hörspiels die Tochter der schwedischen Schriftstellerin Astrid Lindgren. Die Schwedin ist übrigens die einzige, die keine Probleme mit ihrer Mutter hatte und aus ganz anderen Gründen ins Institut Elektra gekommen ist.
Dass die versammelten Töchter allesamt keine müttermordenen Elektren sind, ist schnell klar, denn sonst wären sie nicht im Institut Elektra, sondern entweder im Gefängnis oder auf der Flucht vor den Erinnyen. Die Abrechnung mit den Müttern erfolgt in einem Song, der über einen doppelten Refrain verfügt, aber keine Zeilen enthält, die in ein Song-Schema passen würden. So heillos man sich im Metrum verheddert, so heillos ist die Mutter-Tochter-Situation. Den Zusammenhang stiftet die Musik und nicht die Rhythmik oder die Metrik. Die Komposition stammt von Brezel Göring, der anderen Hälfte von „Stereo Total“.
Ähnliches gilt für das Komische, das als Generalbass dieses Hörspiels und eigentlich alle Stücke von Mariola Brillowska grundiert. So sind nicht in erster Linie die Pointen, sondern die grotesken Konstellationen für die Komik verantwortlich. Das Komische wie das Absurd-Groteske sind Folgen jener permanenten Realitätsverschiebung, die von dem spielerischen So-tun-als-ob hergerufen wird. Die Arbeitsweise von Mariola Brillowska mit Laiendarstellerinnen, die nach groben Vorgaben improvisieren, ist der Christoph Schlingensiefs sehr ähnlich, während der Humor eher an den Helge Schneiders erinnert. Hörbare Schnittfehler und Dialoge, die so nie stattgefunden haben, sondern im Studio zusammengeschnitten wurden, illustrieren das ‚Handwerkliche‘ des künstlerischen Prozesses und dessen medialen Charakter. Denn abseits der Komik geht es um nichts weniger als um die Kunst und, um den Titel des berühmtesten Buches von Alice Miller abzuwandeln, um „Das Drama der begabten Mutter“.
Die Tochter von Alice Miller jedenfalls versucht im Institut Elektra, sich malend von ihrer Übermutter zu emanzipieren, und bemalt die von der Knef-Tochter gebackenen Kuchen aus Haltbarkeitsgründen mit „Lebensverzögerungsfarbe“. Dass nebenbei noch ein paar kluge Bemerkungen zum Werk von Alice Miller und den Mechanismen des Kunstbetriebs abfallen, macht das Hörspiel „Institut Elektra“ zu einem doppelten Vergnügen – und am Schluss gibt es noch einen schönen versöhnlichen Song über die „Supermütter“. Für das Vorgängerstück „Die Kochastronautin“ (vgl. MK 19/18) wurde Mariola Brillowska im Februar dieses Jahres in Österreich mit dem ‚Hörspielpreis der Kritik‘ ausgezeichnet.
Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 7/2019
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