Auf schwermütige Weise verroht

Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues

Nordwestradio (Radio Bremen), Fr 03.10.2014, 18.05 bis 20.00 Uhr

Denkt man an die literarische Verarbeitung des Ersten Weltkriegs, dann fallen einem vorzugsweise zwei Bücher ein: „In Stahlgewittern“ von Ernst Jünger und „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque. Erstaunlich ist, dass es bislang weder von dem einem noch von dem anderen Roman eine Hörspielfassung gegeben hat. In einem Fall hat sich das jetzt geändert. Erich Maria Remarques Roman erreichte schon kurz nach Erscheinen 1929 eine Auflage von 450 000 Exemplaren, wurde in 26 Sprachen übersetzt und bereits 1930 verfilmt; der Film wurde mit dem Oscar ausgezeichnet. Die Nazis sabotierten die Kinoaufführungen in Deutschland, bis der Film verboten und später durch das sogenannte „Lex Remarque“ wenigstens für geschlossene Aufführungen wieder freigegeben wurde.

Der Erste Weltkrieg, der noch nach „hergebrachten Convenienzen“ (Clausewitz) begonnen und zunächst sogar noch zu Pferde geführt wurde, entwickelte sich zu einem Maschinenkrieg, in dem die Opfer zu Zahlen in den Berechnungen des Generalstabs wurden – und solange die Verluste auf alliierter Seite die auf der deutschen weit überstiegen, spekulierte man immer noch auf einen „Siegfrieden“. Die Zivilbevölkerung war weder Ziel noch Geisel der militärischen Logik wie in den folgenden Kriegen. Erich Maria Remarque, selbst im Ersten Weltkrieg verwundet, hat das individuelle Elend beschrieben, den zermürbenden Stellungskrieg, den Einsatz von Massenvernichtungsmitteln und das Krepieren in den Schützengräben und Lazaretten, das so gar nichts Heroisches hat.

In der zeitgenössischen bildenden Kunst hat sich die Maschinenhaftigkeit in der Zerreißung des Humanen durch den Krieg auch in die Form gefressen. Im Radio, das in Deutschland eine hoheitliche Angelegenheit war, ging man vorsichtiger mit dem Thema um, legte den Fokus jedoch auf ein entscheidendes Detail, das auch künftige Kriege bestimmen sollte. Das Hörspiel „Brigadevermittlung“ von Ernst Johannsen (Münchner Rundfunk 1929) spielt in einer Telefonvermittlungsstelle zwischen Front und Etappe und spiegelt damit die mediale Verfasstheit des Ersten Weltkriegs wider. Im Vergleich dazu ist Remarques Roman noch vergleichsweise konventionell aufgebaut und die knapp zweistündige Funkbearbeitung von Matthias Eckoldt passt sich der Erzählstruktur des Romans an. Bis auf ein paar filmische Rückblenden entwickelt sich die Handlung linear. Es beginnt mit dem Drill durch den Unteroffizier Himmelstoß: „Nach drei Wochen besaß ein betresster Briefträger mehr Macht über uns als Eltern, Erzieher und sämtliche Kulturkreise von Plato bis Goethe.“ Die Konsequenz fasst der 19-jährige Protagonist Paul Bäumer in dem Satz zusammen: „Wir sind auf eine schwermütige Weise verroht und sind nicht mehr oft traurig.“

Die Hörspielinszenierung von Christiane Ohaus vermeidet jeden Illusionismus. Die Komposition von Michael Riessler (Klarinette) und Jean-Louis Matinier (Akkordeon) transponiert den Krieg in eine musikalische Form, die nur stellenweise geräuschhaft-imitierend wird, beispielsweise wenn von der „Elektrizität der Front“ die Rede ist. Ebenso wie Paul Bäumer, der von Patrick Güldenberg in drei verschiedenen Sprechhaltungen gespielt wird, bemüht sich die ganze Inszenierung darum, eine Distanz zum Geschehen zu finden. Erst in der Szene, in der Paul das langen Sterben eines französischen Soldaten miterleben muss, den er eigenhändig erstochen hat, bricht die eingedrillte Verpanzerung auf. Spätestens da empfindet Paul sich als für ein normales Leben verdorben und vom Krieg gefangen. Er weiß, dass er seine Erfahrungen niemandem wird mitteilen können: „Nach uns wächst ein Geschlecht, dem wir fremd sein werden, das uns beiseite schieben wird“, so seine resignierte Hoffnung. Da sollte sein Autor sich irren. Nur zehn Jahre nach Erscheinen des Romans begann Deutschland den nächsten Krieg, der totaler und radikaler werden sollte als jeder Krieg zuvor.

Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 41/2014

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