Ein Remix als „Godard-Version“
Felix Kubin: Orphée Mécanique
Bayern 2, Fr 30.03.2012, 21.03 bis 21.53 Uhr
„Die letzten Märchenkönige gingen ins Exil und über die Kalahari zogen langsam die Haufenwolken der Ewigkeit“ – ein surreales Bild aus Dino Buzzatis Pop-Art-Comic „Orphi und Eura“ von 1968 liefert den letzten Satz von Felix Kubins Hörspiel „Orpheus’ Psykotron“ aus dem Jahr 2006. Kubins neues Stück „Orphée Mécanique“, die 50-minütige Neufassung seines eigenen Hörspiels, beginnt mit einer Frage: „Erinnert Ihr Euch an den Lärm der Welt?“ Offenbar befinden wir uns (wieder) in der Stille des sonnenlosen Totenreichs, das Orpheus auf der Suche nach seiner Eura durchstreift. Als „Remix“ möchte Felix Kubin seine neue Version dennoch nicht verstanden wissen, sondern als eine Art „Schleudersitz, der den Hörer aus der Linearität der Geschichte wirft“, oder kürzer: eine „Godard-Version“ – ein Hin- und Herblättern in der Geschichte des neugefassten Orpheus-Mythos.
Bei Buzzati ist Orpheus der Sohn eines Erfinders und einer Sängerin. Das sogenannte Psykotron, ein würfelförmiges Instrument mit zwei Sensorantennen, verwandelt Orpheus’ Gedankenströme unmittelbar in Musik, Geräusche, Sprache. In beiden Hörspielen Kubins leiht der Schauspieler und Sänger Lars Rudolph dem Psykotron Hirn und Stimme – und die Songs, die er performt, sind von so mitreißender Skurrilität, als hätte der Diskurspop Hamburger Schule ein Bad in den elektronisch plinkernden Gewässern der „Genialen Dilettanten“ der Neuen Deutschen Welle genommen und ihre Freude am Endreim wiederentdeckt: „Männer, Frauen, Kinder / detonieren leise / es wird nicht viel Lärm gemacht / im Kaiserreich der Greise“. Man versteht unmittelbar, warum Orpheus’ Gesänge im Totenreich so gut ankommen und kann sich Kubins Hörspielremix sofort als Live-Inszenierung vorstellen.
Seine Eura wird Orpheus auch in Kubins Fassung des Mythos nicht zurückbekommen, stattdessen wird die ewige Wiederkehr von Liebe, Suche und Vergessen zelebriert und dabei muss man sich Orpheus als glücklichen Menschen vorstellen – oder als glückliche (Medien-)Maschine. Denn der mechanische Orpheus funktioniert wie „eine Endlosschleife auf der ewigen Suche nach der großen Liebe“. Auch deshalb ist die Linearität der Geschichte, die in „Orpheus’ Psykotron“ noch konsequent durchgehalten wurde, völlig verzichtbar. In ihrer neuen Erzählform funktioniert die Geschichte sogar besser, weil ihre Struktur zyklisch ist und die Songs ihr ein verlässliches Gerüst geben.
Wäre da nicht das Leben, das der Kunst einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Ein neuer Song zu Beginn des Stücks feiert die toten Helden der (Pop-)Kultur von William Borroughs bis Unica Zürn, von Hedy Lamarr bis Luc Ferrari. Auch Traugott Buhre ist dabei. Als Wächter der Unterwelt, der er in „Orpheus’ Psykotron“ war, kann er in „Orphée Mécanique“ nur noch als Tonbandstimme präsent sein, der Schauspieler ist 2009 verstorben. Nun wird der Verwaltungsapparat des Totenreichs „vollautomatisch abgewickelt“.
Die Neuinterpretationen mythischer oder realer Welten ist das Arbeitsfeld des Komponisten und Hörspielmachers Felix Kubin (Jg. 1969). Er agierte als Botschafter eines fiktiven „Syndikats für Gegenlärm“ (2001), inszenierte die Töne von Geräuschplatten für Schmalfilm-, Tonband- und Diafreunde satirisch als „polymorphe Klangbibliothek“ unter dem Titel „Säugling, Duschkopf, Damenschritte“ (2010) und er enttarnte in dem Hörstück „Wiederhole 1-8“ (2008) die Algorithmen von Gebrauchsanweisungen als Manifeste der Dysfunktionalität. Mit „Orphée Mécanique“ erzählt Kubin auf poetische Weise von den traumhaften Medienwelten der Liebe. Sie sind das Primäre. Die Realität, heißt es im Stück, ist lediglich das, was übrigbleibt.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 13-14/2012
Schreibe einen Kommentar