Coole Sprüche, flache Witze
Nora Abdel-Maksoud: Hunting von Trier
Deutschlandradio Kultur, Mo 19.08.2013, 0.05 bis 1.00 Uhr
Das Casting findet in einem sterilen Setting aus splitterfreiem Verbundsicherheitsglas statt. Es ist der große dänische Filmregisseur Lars von Trier, der Lenni K. und Patrizia S. (genannt „Patti“) für einen feministisch konterrevolutionären Film engagieren will. Natürlich ganz dem Dogma-95-Manifest gemäß, ohne künstliches Licht. Doch schon bald entpuppt sich der Regisseur als sexistischer Schweinehund. Als nach dem misslungenen Versuch, die Knarre (Phallussymbol!) zu fellieren, ein Schuss fällt, ist der Regisseur tot. Und schon ist man mittendrin in einem Hörspiel, das als kleines dreckiges Roadmovie daherkommt. Die beiden Mädels auf der Flucht begegnen dem Punkhero Iggy Pop, der als Klomann arbeitet. Sie treffen die inzwischen ganz rechts außen angekommene ehemalige Sexbombe Brigitte Bardot, die personifizierten Sehgewohnheiten und einen Talkmaster namens Kai Lanz-Diekmann – eine Kreuzung aus dem ZDF-Moderator und dem „Bild“-Chefredakteur.Das nun als 50-minütiges Hörspiel produzierte Erstlingswerk „Hunting von Trier“ der Schauspielerin und Regisseurin Nora Abdel-Maksoud war Teil eines im Berliner Ballhaus Naunynstraße veranstalteten Theaterabends mit dem schönen Titel „Scheppernde Antworten auf dröhnende Fragen“. Und scheppern tut es gewaltig. Kai Lanz-Diekmanns talkshow-notorische Ranschmeiße wird mit Fäusten beantwortet, Brigitte Bardot wird mit dem Auto umgenietet und den elenden Sehgewohnheiten geht es ans Augenlicht.
Nora Abdel-Maksouds Stück hat eigentlich alles, was man für ein amtliches Trash-Hörspiel à la „Walk of Fame“ von Ulrich Bassenge (vgl. FK 36/07) oder „Rocky Dutschke ’68″ von Christoph Schlingensief (vgl. FK 3/97) braucht: schlechten Sex und explodierende Gewalt, coole Sprüche, derbe Zoten und flache Witze, intelligente Diskurse über Film und Feminismus und eine (teilweise selbst)ironische Figurenzeichnung. Trotzdem springt der Funke nicht sofort über – das „Feuer“ bzw. dessen Abwesenheit ist eines der Leitmotive des Stücks.
Zum einen liegen die Fehlzündungen daran, dass eine Hörspielinszenierung einen anderen inszenatorischen Zugriff auf den Text braucht als das Theater, auf dem schon viel gesagt ist, sobald eine Schauspielerin nur die Bühne betritt. Zum anderen wird das Gesetz des trashigen Roadmovies – mit Vollgas anfangen und sich dann steigern – nicht so umgesetzt, dass der Hörer in den Taumel des Stücks hineingerissen würde. Und das liegt möglicherweise daran, dass man Eva Bay als Lenni K., Lea Willkowsky als Patti S. und Anne Haug in allen anderen Rollen (Lars von Trier, Iggy Pop, Birgitte Bardot, Kai Lanz-Diekmann) phasenweise eine gewisse Anstrengung anhört. Da hätte man ruhig mal den einen oder anderen Mann ranlassen und außerdem auch darauf verzichten können, Iggy Pop einem albernen Schweizer Akzent zu verpassen.
Dass Frauen keine ordentlichen Rollen spielen dürfen wie den Tyler Durden aus David Finchers „Fight Club“ oder den Joker aus dem Batman-Film „The Dark Knight“, nach denen sich Lenni und Patti sehnen, ist eines der Themen in Nora Abdel-Maksouds sehr filmisch gedachtem Hörspiel. Woran die Benachteiligung bei der Rollenbesetzung liegt: an den sekundären Geschlechtsmerkmalen.
Aus leidvoller Erfahrung weiß Patrizia, dass sie, seit ihr Brüste gewachsen sind, keine anspruchsvollen Rollen mehr bekommt. Sie, die einst die emanzipierte Kinderbuchheldin „Ronja, Räubertochter“ von Astrid Lindgren verkörpern durfte, schlägt sich nun mit Rollen in Hausfrauen-Soaps durch, die „Sturm der Herzen“, „Liebe im Sturm“, „Sturm im Sturm“ oder so ähnlich heißen. Und da wird fast ausschließlich über die Liebe, den Beruf des Rollenpartners (Arzt oder Anwalt) und familiäre Probleme geredet – nur zu 0,3 Prozent über Politik und Wirtschaft. Dafür wird expressive Angst zu 91 Prozent in Frauengesichtern ausgedrückt. So vorgetragen, macht Statistik Spaß. In einem filmischen Universum, dass nur aus klischierten Heiligen oder Huren besteht – „Jung-Frauen oder Sünd-Frauen“, wie Brigitte Bardot sie nennt – ist lediglich Ridley Scotts Roadmovie „Thelma & Louise“ (1991) eine Identifikationsangebot für die beiden Mädels
Am Schluss finden sich Lenni und Patti unter der inzwischen sprichwörtlich gewordenen „gläsernen Decke“ aus splitterfreiem Verbundsicherheitsglas wieder – in einem Castingstudio von Constantin Film. Und auch Lars von Trier ist wieder da. Die ganze Story war von Anfang an geplant und nur der Auftakt zu einem „dogmatischen Experiment“ mit der „von-Trier-Riot-Company“. Trotz der Schwächen in der Inszenierung ist „Hunting von Trier“ ein schönes Beispiel für das kleine, dreckige und unperfekte Hörspiel, das sich das Radio ruhig öfter leisten sollte, wenn es sich bei den sicheren Nummern mit den Literaturadaptionen mal allzu sehr langweilen sollte.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 33/2013
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