75 Jahre „Krieg der Welten“
Gestern haben wir #90JahreRadio in Deutschland gefeiert, heute jährt sich die Erstausstrahlung des wohl berühmtesten Hörspiels der Radiogeschichte: Orson Welles’ „The War of the Worlds“ zum 75. Mal. Am 30. Oktober 1938 strahlte das Columbia Broadcasting System (CBS) die Inszenierung einer Livereportage über Invasion der Marsianer aus, die von Vielen trotz mehrfacher Hinweise auf ihren fiktionalen Charakter für echt gehalten wurde.
Klaus Schöning versuchte in seiner Adaption 1977 jeden Eindruck des Live zu vermeiden, aber vergebens. Anlässlich der Wiederholung des Stückes erkundigten sich 158 Anrufer beim WDR nach den angeblichen Invasoren vom Mars. „Die Wirklichkeit des Radios ist die Wirklichkeit des Radios …“ schrieb Schöning damals, nicht ohne warnend hinzuzufügen: „… oder die Marsmenschen kommen.“
Aus diesem Anlass stelle ich hier meinen Aufsatz Das Prinzip Live – Krieg im Hörspiel (PDF) zur Verfügung, der unter anderem Orson Welles und seine Echos thematisiert. Dem Text ist schon die Ehre wiederfahren in einem Vortrag auf einer wissenschaftlichen Tagung plagiiert worden zu sein. In Zeiten von Google Books eine ganz dumme Idee.
Dem (deutschen) Text ist ein Abstract vorangestellt, das ungefähr die Forschungsrichtung beschreibt, ohne auf die Fallstudien von Andreas Ammer bis Christoph Schlingensief, Roland Schimmelpfennig und Eran Schaerf eingehen zu können:
In „The Live Principle“, radio is regarded as a medium of presence and presentation at the same time. Beyond the surface of its fluidity and immediate authenticity in real time lies a layer of recording and distribution techniques which paradoxically decode the Live Principle as a category of mediation that constructs a certain cultural tradition. Examples from Orson Welles’ War of the Worlds and the echoes of its dramaturgy of illusion in German radio drama are confronted with plays where the Live Principle functions as model and structural analogy.
Die Struktur des Textes:
- I. Schrecken in Echtzeit – Mediengeschichtliche Vorbemerkungen
- II. Der Phonographenkrieg – Kaiser Wilhelm Overdrive
- III. Der Radiokrieg 1 – Adolf Hitler Enterprise
- IV. Exkurs über Stimme und Politik
- V. Der Radiokrieg 2 – Orson Welles und seine Echos
- VI. Der Fernsehkrieg oder Ulrike Meinhof Paradise
- VII. Fiktionen des Live
In: Krieg in den Medien, hg.v. Heinz-Peter Preußer. Amsterdam, New York (Editions Rodopi) 2005. (= Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik Bd 57). 456 S. + 16 S. Illustrationen. ISBN 90-420-1855-0.
Hier die Rezension von Anne Ulrich auf Literaturkritik.de: „Schon Goethe war ‚embedded‘“.
Es gibt übrigens auch ein radiophones Feature zum Thema zu dem im nächsten Jahr ein Jubiläum ansteht:
Knallfunken oder Der Missbrauch von Heeresgerät
Krieg im Hörspiel seit 1914
Eine kleine Mediengeschichte mit Marschmusik.
Mit Bernhard Schütz, Astrid Meyerfeldt und Ulrich Lipka,
Ursendung: Deutschlandradio Kultur, 2.11.2009
Die Geschichte des Krieges in den akustischen Aufzeichnungs- und Übertragungsmedien beginnt vor dem Radio. Kaiser Wilhelm II. berühmte Kriegsrede an das deutsche Volk („Es muss denn das Schwert nun entscheiden“) vom 6. August 1914 wurde zwecks Überlieferung erst am 10. Januar 1918 einem Aufzeichnungsmedium (dem Phonographen) anvertraut. Den Zwischenraum füllen Millionen Tote. Doch die 190.000 Mitglieder der Telegraphentruppe, die der am stärksten wachsenden Waffengattung des Ersten Weltkrieges angehörten, nutzten Ihre Heeresfunkgeräte nicht nur um Meldungen abzusetzen, sondern bisweilen auch um Zeitungsartikel vorzulesen oder Musik zu senden – jedenfalls so lange bis dieser Sendebetrieb als „Missbrauch von Heeresgerät“ von höherer Stelle unterbunden wurde. Nachdem der Deutsche Unterhaltungsrundfunk 1923 auf Sendung ging und nicht mehr nur eine „prophylaktische Bürgerkriegsmaßnahme war, die weitgehend wortlos vor sich hinmusizierte“ (Wolfgang Hagen), befasste sich das Hörspiel schon sehr früh in seiner Geschichte mit dem Krieg als Medienphänomen und tut es bis heute immer wieder.
Natürlich gibt es auch in dem Feature einen Exkurs zum „Prinzip Live“, es handelt sich aber um einen eigenständigen Zugang zum Thema mit erheblich breiterer Hörspielbasis. Von Ernst Johannsens „Brigadevermittlung“ (1929) bis Christian Lollikes „Underværket – The Re-Mohammed-Ty-Show“ (2006).
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