Zwiedenken in Aktion
Felicia Zeller: Die Welt von hinten wie von vorne
Bayern 2, Fr 05.12.2014, 21.05 bis 22.00 Uhr
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja, über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch Massenmedien.“ Diese Feststellung des Soziologen Niklas Luhmann hat sich schon so weit verbreitet, dass jede Ideologie meint, man müsse zuallererst die medial vermittelte Sprache verändern, um die Welt zu ändern. Eine Vorstellung, der die Ideolog(inn)en eines genderkorrekten, feministischen Sprachhandelns ebenso anhängen, wie die Spindoktor(inn)en und Strateg(inn)en in den großen PR-Agenturen der Berater(innen)branche.
Felicia Zellers neues Hörspiel „Die Welt von hinten wie von vorne“ spielt in einer dieser PR-Agenturen. Die Herausforderung, die Agenturchef Klaus Klausen (Andreas Grothgar) seinem Team stellt, ist eine Aufgabe in eigener Sache. Vordergründig soll es um den Sturz eines Präsidentschaftskandidaten gehen, der gegen die Entwertung der Rede, gegen die Funktionalisierung des Redners und ganz prinzipiell gegen die omnipräsente Beratungsbranche polemisiert. Hintergründig bangt man um das eigene Geschäftsmodell, das im Wesentlichen aus der Korrumpierung der Sprache und der Manipulation des öffentlichen Diskurses besteht. Vorder- und Hintergrund, rechts und links, oben und unten, sind in der Welt der Kommunikationslenker nur austauschbare Variablen – und oft bedeuten sie das gleiche. „Doppeldenk“ oder „Zwiedenken“ nannte Orwell in seinem dystopischen Roman „1984“ den unerschütterlichen Glauben an einander ausschließende Überzeugungen.
Die Strategie, die sich Klaus zurechtlegt, hat sich schon mehrfach bewährt: eine Tarnorganisation gründen, die als scheinbar uneigennützige Bürgerinitiative genug medialen Druck aufbauen kann, um ihre Interessen durchzusetzen. Die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall real betriebene „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ wird im Hörspiel explizit als Beispiel für eine solche Tarnorganisation genannt, ebenso wie Patientenselbsthilfegruppen, die die Interessen der Medizin- und Pharma-Industrie vertreten.
Mit der im Auftrag des Prothesenherstellers Sitgo Medizintechnik GmbH gegründeten Initiative „ProThesen“ hatte Klausens Agentur schon gute Erfahrungen gemacht. Schließlich hat er sich selbst eine Hightech-Hüftprothese für den sportlichen Performer implantieren lassen. Also gründet man in einer „Operation Freisprech“ eine weitere Bürgerinitiative ohne Bürger, nennt sie „Pro Freiheit“ und holt sich einen abgehalfterten Wirtschaftjournalisten als Sprecher. Alsbald wird der in die führende Talkshow „Darüber müssen wir reden“ eingeladen. Ebendort soll es zum Showdown zwischen „Pro Freiheit“ und dem Präsidentschaftskandidaten kommen. Eine leichte Übung, denn dummerweise hatte der Kandidat sich kurz zuvor doch noch die Dienste von Klaus Klausens Agentur sichern wollen, die verdeckt gegen ihn arbeitet. Natürlich fährt die Agentur scheinbar gerne eine Kampagne gegen sich selbst, denn in genau dieser paradoxen Widerspruchssituation kann sie nur gewinnen.
In der Inszenierung von Leonhard Koppelmann in Kombination mit dem Sounddesign von Peter Harsch wird das Denken und Reden der PR-Branche in dieser 55-minütigen Produktion auf eine Weise hörbar, wie es im Hörspiel möglich ist. Die Hektik der teilweise elliptischen Sätze entwickelt einen unmittelbaren Sog, so dass man ein Gespür für die verwickelte Handlung bekommt, auch wenn man zwischendurch mal den Faden verliert. Einen Erzähler braucht es nicht, vielmehr kann man in Felicia Zellers sprachlich wie gedanklich ausgefeilter Konstruktion in 14 durchnummerierten Szenen das Zwiedenken in Aktion beobachten. Obwohl neben Andreas Grothgar nur noch vier weitere Akteure eingesetzt werden (Ekkehard Freye, Tanja Schleiff, Sascha Nathan, Merle Wasmuth) wähnt man sich in einerseits in einer unübersichtlichen Gemengelage von Stimmen und Handlungssträngen, während andererseits nur wenige Sätze reichen, um die Figuren zu so zu charakterisieren, dass man bestimmte Denk- und Verhaltensweisen des realen Politikbetriebs wiedererkennt.
In Zeiten der Twitter-Kommunikation ist man derart auf das kurzschlüssige Denken in Schlagworten und Claims geeicht, dass man glaubt, schon verstanden zu haben, bevor man auch nur einen Gedanken verschwenden muss. Mit einem Claim – im Marketing-Deutsch synonym für Werbeslogan verwendet – steckt man ein zu bewirtschaftendes Gebiet ab. Wer sich auf dieses kommunikativ abgesteckte Feld begibt, hat schon verloren, denn er hat sich schon den Regeln dieses Diskurses unterworfen. Doch es gibt auch ein Jenseits der Kommunikation – die basale Körperlichkeit der Diskurssubjekte. Es ist ausgerechnet die Hightech-Prothese, deren Schwermetallabrieb Klaus Klausens Körper so vergiftet wie der Agenturchef die politischen Diskurse. Ironischerweise wird Klaus mit seinen Problemen an genau die „ProThesen“-Initiative verwiesen, die er selbst gegründet hat.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 50/2014
Schreibe einen Kommentar