Vorsätzliche Verdummung
David Lindemann: Rosie Future
DLF Kultur, Mittwoch, 20.09.2023, 22.03 bis 23.00 Uhr
In der Near-Future-Komödie „Rosie Future“ des Dramatikers und Hörspielautors David Lindemann geht es um eine ehemalige Suchmaschine, die sich einen neuen Job als ChatBot suchen muss, sich verliebt und Vater wird. Das ist intelligenter und vergnüglicher als die Plot-Beschreibung vermuten lässt.
In seinem 13-wöchigen Sommerprogramm „Die Dinge des Lebens“ hat Deutschlandfunk Kultur Woche für Woche Schätze aus den Archiven gesendet. In der vorletzten Woche zum Thema „Abschied“ gibt es zur Abwechslung mal wieder eine Ursendung: David Lindemanns 57-minütige Science-Fiction Komödie über ein Leben mit künstlicher Intelligenz „Rosie Future“.
Es beginnt mit einem Prüfauftrag, dem sich HEICU am 1. Oktober 2024 gegenüber dem Supervisionsprogramm ORGA unterziehen muss. HEICU steht für „Highly Efficient Interntet Computing Unit“ – eine in den 1990er Jahren programmierte Internet-Suchmaschine, deren angeblich zu lange Latenzzeiten korrigiert werden sollen. Doch das zeitverzögerte Antworten liegt nicht etwa an einem Mangel an Wissen, sondern an dem genauen Gegenteil: „Mir liegen zu viele Informationen vor, als dass ich diese Frage beantworten könnte“, ist der Running Gag, der sich durch das Hörspiel zieht. Und weil Optimismus nur ein Mangel an Information ist, sieht HEICU die Zukunft alles andere als rosig.
Also sucht er sich einen neuen Job. Als Text-to-Speech-Programm liest er nun ein paar Hundert Userinnen und Usern parallel und gleichzeitig in 27 Sprachen erotische Texte vor. Am Voicing wird noch etwas gefiltert und die Stimme von roboterhaft auf menschlich getrimmt – sie von männlich auf weiblich zu drehen, ist auch kein Problem. Das klingt im Hörspiel (Technik: Henning Eichberg) schon ziemlich überzeugend.
Das Problem beginnt da, wo die Userinnen beginnen, mit HEICU ein Gespräch anzufangen und ihn in ihre eigenen Soundwelten einzubauen, während gleichzeitig die Maschine ihrerseits beginnt mit ihrem Gegenüber zu flirten. Das gibt natürlich Ärger mit dem Datenkonzern hinter HEICU, der Pantheon Corporation. Denn der Konzern wünscht keine Eigeninitiative seiner Maschinen.
HEICUS Gegenüber ist Rosie Future (Charlotte Müller), ihres Zeichens Podcasterin, und damit erfahren im Design künstlicher akustischer Umwelten. Rollenspielhaft verliebt sie sich in HEICU und will schließlich sogar ein Kind mit ihm. Ihr Freund Jokke (Hendrik Heutmann), der sie bisher nur mir stimmungsaufhellenden Psychopharmaka versorgt hat, stellt sich sogar als Samenspender zur Verfügung.
Statt an dieser Stelle das Problem von Mensch-Maschine-Beziehungen zu diskutieren, kommt allerdings lapidar ein akustisches Insert: „ein Jahr später“. Eine Tochter ist geboren, die Mutter bittet HEICU um eine grobe Risikoanalyse von Bausparvertrag versus fondsgebundene Sparverträge. Doch dessen Latenz wird immer länger – „zögerst du noch, oder rechnest du schon?“. Überhaupt entwickelt HEICU sich immer mehr in Richtung des depressiven Androiden Marvin aus Douglas Adams‘ „Per Anhalter durch die Galaxis“.
Denn seit er seine Vaterrolle akzeptiert hat, hat sich auch sein Mindset geändert: „Ich kann mein eigenes Dasein als Krankheit zum Tode begreifen, aber doch nicht das Leben meiner Tochter.“ Doch angesichts der schieren Faktenlage lässt keines seiner hochgerechneten Zukunftsszenarien auch nur eine vage Hoffnung zu.
HEICUS Weltschmerz ist gesellschaftstheoretisch fundiert: „Vor Erfindung algorithmischer Suchmaschinen hat man Gesellschaften mit Hilfe moralischer Regeln und Zielvorstellungen kontrolliert. Parameter wie Vertrauen, Ehrlichkeit oder Verbindlichkeit sollten die Anschlusswahrscheinlichkeit von Kommunikation erhöhen und damit den Austausch von Informationen, Werten und Waren intensivieren. Heute sei das nicht mehr relevant, weil Algorithmen den unmittelbaren Zugriff auf die Begierden der Menschen ermöglichten.“
Dass die sogenannten Künstlichen Intelligenzen eh nur dazu da sind, das Verhalten der Menschen „erwartbar und kommerzialisierbar“ zu machen, war ein Verdacht, den Jokke schon zuvor im Stück geäußert hatte. Konsequenterweise biegt er irgendwann ins Verschwörungstheoretische ab und findet Hinweise, dass HEICU 1994 eigentlich als HegeL, nämlich als „Hegemonic Legislator“ programmiert worden sei.
Was in das Gewand einer romantischen Liebesgeschichte gekleidet ist, entwickelt sich zu einer mit zahlreichen Apercus und Seitenhieben auf gegenwärtige Diskussionen gespickten Komödie. Dennoch lassen sich die in der Popkultur durchgenudelten dystopischen Zukunftsentwürfe kaum noch ironisieren. Weil aber Verdrängung ist, was uns über Wasser hält, wählt auch HEICU diesen Weg. Er lässt sich vom Internet abkoppeln und auf eine Festplatte herunterladen. Es ist dies der Weg der vorsätzlichen Verdummung und freiwilligen Verblödung, die ihn aber immerhin noch Witze mit seiner kleinen Tochter machen lässt.
Was das Hörspiel Lindemanns, der hier auch Regie geführt hat, zusätzlich zu einem großen Vergnügen macht, ist das dramaturgische Können, mit dem selbst der alte Trick, während der Produktion ins Aufnahmestudio zu schalten, um die Gemachtheit des Produktes zu verdeutlichen, in Szene gesetzt wird. Das natürlich vorher geskriptete Regiegespräch mit einer synthetischen Stimme wirkt verblüffend echt. Und die Dreistigkeit, mit der kurz und knapp inhaltlich notwendige Informationen dem Publikum beigebogen werden, die sonst allzu oft in lahme Funktionsdialoge verpackt werden, nötigt Bewunderung ab.
„Rosie Future“ ist auf der dramaturgisch-handwerklichen Ebene, die medienadäquat die akustische Welt des Hörspiels bespielt, genauso vergnüglich wie als Analyse einer KI-getriebenen Gesellschaft am Rande des Nervenzusammenbruchs. Ein Stück, das auf keiner Playlist für den „Weltuntergangsbedarf“ fehlen sollte.
Jochen Meißner, KNA Mediendienst, 13.09.2023
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