Von der naiven Helferin zur großen Liebenden

Laila Stieler: In Liebe, eure Hilde

RBB Kulturradio, Fr 1.3. und 8.3.2024, 19.00 bis 20.00 Uhr,
So 3.3. und 10.3.2024, 14.00 bis 15.00 Uhr

Bevor Andreas Dresens Film „In Liebe, Eure Hilde“ über die Widerstandskämpferin Hilde Coppi im Herbst in die Kinos kommt, geht die Hörspielfassung seiner Drehbuchautorin Laila Stieler auf Sendung.

Für seinen Text „Die Seife“ empfiehlt der französische Schriftsteller Francis Ponge, sich „in Gedanken mit deutschen Ohren“ zu versehen. In dem Text, der 1998 von Stefan Hardt auch als Hörspiel inszeniert wurde, geht es unter anderem um die Exzesse der Reinheit, die zu Säuberungen führen müssen.

Deutsche Ohren kann man bei den Hörern von Laila Stielers zweiteiligem Hörspiel (und vierteiligem Podcast) „In Liebe, Eure Hilde“ wohl voraussetzen. Aber die Zuhörkunst ist nicht nur von der kulturellen Geografie sondern auch von der historischen Epoche abhängig. So hört man in der Geschichte der Widerstandskämpferin Hilde Coppi, geborene Rake, die 1943 von den Nazis wegen „Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Feindbegünstigung, Spionage und Rundfunkverbrechen“ zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde unweigerlich auch gegenwärtige Stimmen mit.

Regisseurin Judith Lorentz, die alle vier Hörspiele der Drehbuchautorin Laila Stieler inszeniert hat, erzählt Hildes Geschichte beginnend mit ihrer Verhaftung in einer gegenläufigen Rückblenden-Erzählung. Während man sich dem unausweichlichen Ende nähert, wird die Vorgeschichte rückwärts rekapituliert, so dass die Hinrichtung unter dem Fallbeil mit dem Kennenlernen ihres späteren Mannes Hans Coppi (Aram Tafreshian) zusammenfallen. Die gegenläufige Erzählbewegung unterminiert die anzunehmende Folgerichtigkeit der Ereignisse, will heißen: Es hätte auch anders kommen können mit diesem Freundeskreis, der von den Nazis unter der Bezeichnung „Rote Kapelle“ geführt wurde – wenn er nicht unter totalitären Bedingungen hätte agieren müssen.

Die Szenen vor der Verhaftung sind Bohème-artig leicht. Die Gruppe versucht gleichsam spielerisch per Funk mit Morsezeichen Kontakt mit dem sowjetischen Geheimdienst aufzunehmen und Meldungen deutscher Kriegsgefangener von Radio Moskau an ihre Angehörigen weiterzuleiten. Danach ist die Welt des Gefängnisses eine Innenwelt, die Judith Lorentz teilweise in einer Zelle in der Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen aufgenommen hat.

Man merkt der Inszenierung an, dass sie auf einem Drehbuch für den Filmemacher Andreas Dresen beruht, dessen Film gerade auf der Berlinale seine Premiere feierte und im Herbst in die Kinos kommen soll. Inszenierung und Besetzung sind unterschiedlich, die Grundhaltung nicht. Denn die antagonistischen Figuren klingen für gegenwärtige Ohren alle eine Spur zu freundlich und gewöhnlich, wenn man bedenkt welche sprachliche und mentale Verrohung sich gegenwärtig in den sozialen Netzwerken, an den Stammtischen und auf Demonstrationen zeigt. Das Good-Cop-/Bad-Cop-Spiel der Vernehmungsbeamten kommt ein wenig zu routiniert rüber. Selbst die fiese Gefängniswärterin Kühn (Winnie Böwe), die gerne „Ist Vorschrift!“ bellt, weil es ihr dadurch offiziell erlaubt ist, ihre aggressive Menschenfeindlichkeit auszuagieren, bedauert am Ende des Stücks, dass Hilde Coppis Gnadengesuch vom Führer abgelehnt wurde.

Statt also auszustellen, wie der Faschismus das Niedrigste im Menschen hervorlockt, ist es das Leiden der Hilde Coppi, mit großer Empathie gespielt von Alina Stiegler, das im Fokus der Inszenierung steht. Denn die ist hochschwanger, als sie verhaftet wird. Ihren Sohn Hans bringt sie im Frauengefängnis in der Barnimstraße zur Welt – auch wenn der Gefängnisarzt (Axel Prahl) konstatiert: „Tja, jetzt ist es zu spät für eine Schnittentbindung. Dekapitation, würde ich sagen. Wenn nötig auch die Arme ab.“ Da ist in einer Figur dann doch die brutale Rohheit des Faschismus kondensiert.

Der Kampf um das Leben ihres Sohnes, den sie zunächst nicht stillen kann, ist das Zentrum des Stückes, das die Entwicklung von Hilde Coppi von einer zunächst etwas naiven Helferin einer Widerstandsgruppe hin zu einer großen Liebenden nachzeichnet. Sie wird getötet, als ihr Sohn gerade mal acht Monate alt ist.

Den größten Effekt hat sich Judith Lorentz für den Schluss aufgehoben. Da hört man plötzlich die Stimme eines Historikers. Es ist die Stimme des inzwischen über 80-jährigen Hans Coppi junior, der erklärt, dass bei seinen Recherchen in den Moskauer Archiven nur ein einziger Funkspruch seines Vaters angekommen war. Es war die erste Testsendung mit dem Text „1000 Grüße allen Freunden“. Auch das ist eine Stimme, der man mit gegenwärtigen Ohren zuhören sollte.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 07.03.2024

Kritik von Cosima Lutz im epd medien.

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