Vom Hörensagen
Helmut Heißenbüttel: Zwei oder drei Porträts
Bayern 2 Sa 17.09.2016 15.05 bis 17.00 Uhr
Am 19. September dieses Jahres jährte sich der Todestag von Helmut Heißenbüttel (1921 bis 1996) zum 20. Mal. Von 1959 bis 1981 leitete er die Redaktion „Radio Essay“ beim damaligen Süddeutschen Rundfunk (SDR) in Stuttgart und seine Leidenschaft für das freie Denken in Abstraktionen und Konkretionen ist auch dem literarischen Werk des Büchner-Preisträgers anzumerken. Der Bayerische Rundfunk (BR) hat dem vielfach ausgezeichneten Schriftsteller, Hörspielautor und -theoretiker in Bayern 2 am 16. und 17. September einen kleinen Programmschwerpunkt gewidmet, in dessen Zentrum die Ausstrahlung der Originalfassung (1970) und einer Neuinszenierung von Heißenbüttels Hörspiel „Zwei oder drei Porträts“ stand.
Zunächst wurde am 16. September der Mitschnitt von Heißenbüttels Vortrag »Horoskop des Hörspiels“ ausgestrahlt, den er bei der internationalen Hörspieltagung vom 21. bis 27. März 1968 in Frankfurt am Main gehalten hatte. Dort verabschiedete Heißenbüttel die damals immer noch virulente mystizistische Hörspieltheorie, die der Nazi Richard Kolb 1932 unter dem gleichen Titel publiziert hatte. Heißenbüttels Frankfurter Text gilt als eine Grundlegung des Neuen Hörspiels, das damals noch nicht so hieß. Den einzigen Hörspieltext, den Heißenbüttel bis dahin geschrieben hatte, so verriet es Klaus Ramm in einem 16-minütigen Essay unter dem Titel „Die außergewöhnliche Entstehungsgeschichte der ‚Zwei oder drei Porträts‘“ habe in den frühen 1950er Jahren der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) abgelehnt. Kein Wunder, denn dort leitete Heinz Schwitzke die Hörspielabteilung, der maßgebliche Vertreter des „alten Hörspiels“ in der theoretischen Nachfolge Kolbs.
Für sein erstes Hörspiel „Zwei oder drei Porträts“ lieferte Heißenbüttel seinerzeit dem BR-Dramaturgen Hansjörg Schmitthenner eine vorsortierte Materialsammlung dahergeredeter Sätze in zwei Kapiteln, „in beliebiger Anordnung auf beliebige Sprecher zu verteilen“. Schmitthenner holte sich den Regisseur Heinz Hostnig, der als Hörspielchef des Saarländischen Rundfunks (SR) das erste stereophone Hörspielstudio eingerichtet hatte, und gemeinsam machte man aus dem Material ein 38-minütiges Hörspiel für 13 Sprecher, das durch Schnitt, Effekte und die Dynamik im stereophonen Raum auch noch fast 50 Jahre nach seiner Ursendung das Engagement und die Vitalität seines Entstehungsprozesses transportiert. Dafür bekamen Heißenbüttel, Schmitthenner und Hostnig 1970 den, so Klaus Ramm, „damals begehrten Hörspielpreis der Kriegsblinden. Nun hat Regisseur Ulrich Lampen mit nur drei Sprechern (Udo Samel, Sebastian Blomberg, Wiebke Puls) die „Zwei oder drei Porträts“ neu inszeniert.
In dem Stück geht es um den „bekannten ortsansässigen Kritiker“ D’Alembert, dessen Sprachfehler ihn nicht daran hindert, im Hörfunk zu sprechen, und um seinen Protegé den jungen Künstler Andie Wildermuth, mit dem er ein Verhältnis hat. Umschrieben wird das schamhaft als „Unregelmäßigkeit seiner erotischen Neigungen“. Studiert habe D’Alembert von 1933 bis 1938, heißt es zu dieser Figur weiter. Er habe bei der Vorauswahlkommission mitgewirkt, die Bilder für die Ausstellung „Entartete Kunst“ ausgesucht habe. Er sei in England interniert gewesen, wegen einer Anzeige aufgrund von Paragraph 175, des sogenannten Homosexuellen-Paragraphen, der 1970 noch in Kraft war.
Es sind fragmentierte Informationen, widersprüchliche Gerüchte, Floskeln, Zitate, stereotype Zuschreibungen, aus denen der Hörer, quasi vom Hörensagen her, eine synthetische Person konstruieren muss – und daran notwendig scheitert. Gleiches gilt für die zweite zu porträtierende Figur, den Künstler Andie Wildermuth, und auch für die nur im Hintergrund auftauchende Figur des „berühmten auswärtigen Kritikers“, genannt „die Schildkröte“. Dass man in der Originalfassung von 1970 das analoge Aufnahmestudio hört, den Bandrücklauf, gewollt unsaubere Schnitte, beschleunigte Stimmen, Repetitionen, Halleffekte, dies betont, dass man es hier mit etwas aus Sprache und Tontechnik Verfertigtem zu tun hat und nicht mit etwas, in das man sich einfühlen soll.
„Die Funktionsweise von Sprache tritt gleichwertig neben den Inhalt des Gesagten erläutert Regisseur Ulrich Lampen in seiner achtminütigen Nachbemerkung zu seiner 42-minütigen Neuinszenierung des Stücks. Da hat er natürlich vollkommen Recht. Doch der auch schon in der zeitgenössischen Kritik gesetzte Fokus auf Form, Methodik und Machart des Stücks (vgl. hierzu FK 20/1970) lässt unberücksichtigt, dass die Inhalte eben nicht nur gleichgültiges Material zur beliebigen Rekombination sind. Von heute aus betrachtet bekommt man in dem Hörspiel ein ziemlich genaues Bild dessen, was den Kulturbetrieb um 1968 bestimmt hat: das Personal, dessen historische Nähe zum Nationalsozialismus unterschwellig angedeutet oder explizit benannt wird; der immer noch von der konservativen Kulturkritik beklagte „Verlust der Mitte“ (Hans Sedlmayer), den Heißenbüttel als ,Verlust von Latifundien“ ironisiert; und natürlich die sich durchsetzende Marktförmigkeit der Kunstproduktion und -distribution. Heute wären die Versatzstücke, Zitate, Diskurse und Denunziationen natürlich andere, auch wenn sich die kombinatorische Methodik weiterverwenden ließe.
Ulrich Lampens kommunikationstheoretisch fundierte Neuinszenierung (hier nachhörbar), die den Text des Originals verwendet, klingt glatter und getragener als das Original. Sie wirkt wie ein etwas melancholischer Blick zurück auf die euphorischen Anfänge, in denen das Hörspiel neu erfunden wurde. Manche Sachen kann man einfach nicht besser machen, sondern nur auf einer anderen Reflexionsebene nacherzählen. Die technischen Produktionsbedingungen haben sich seit der Ursendung der „Zwei oder drei Porträts“ enorm verändert. Die Sounds eines analogen Studios sind nur noch Reminiszenzen an die Vergangenheit, digitales Studio-Equipment macht kaum eigene Geräusche. Gut, dass der Bayerische Rundfunk beide Fassungen des Stücks und die Erläuterungen des Autors selbst wie auch die von Klaus Ramm und Ulrich Lampen an einem langen Hörspielnachmittag präsentiert hat.
Jochen Meißner — Medienkorrespondenz 21/2016
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