Verloren in Gegennarrativen

Für sein Hörspiel mit dem etwas sperrigen Titel „Ihr habt echt keine Ahnung, in der Schweiz gab es nie Sowjetunion“ hat der Schweizer Autor Michael Stauffer anlässlich des dritten Jahrestages des Überfalls Russlands auf die Ukraine ein paar Gespräche geführt und dabei seine Gesprächspartnerinnen desavouiert.

Michael Stauffer: „Ihr habt echt keine Ahnung, in der Schweiz gab es nie Sowjetunion“

SRF 2, Sa, 22.02.2025, 20.03 bis 21.00 Uhr

„Willst du ein Hörspiel werden, willst du ein Märchen werden, willst du Kunst werden? Das ist doch besser als Opfer oder Täter zu werden.“ Es sind recht merkwürdige Fragen, die Michael Stauffer in seinem 57-minütigen Hörspiel mit dem etwas sperrigen Titel „Ihr habt wirklich keine Ahnung, in der Schweiz gab es nie eine Sowjetunion“ seinen Gesprächspartnerinnen stellt. Stauffer, der auch für Musik, Montage und Regie verantwortlich zeichnet, spielt sich selbst, und, das muss man ihm zugute halten, lässt sich dabei auch nicht gerade gut aussehen. Das ist die Qualität dieses Stückes.

Stauffer will seine Gedanken über Krieg und Frieden nicht in der Ukraine überprüfen. Er wolle sich nicht traumatisieren lassen, rechtfertigt er das vor sich selbst. Zudem sei die Schweiz selbst ja wie ein gut funktionierendes Büro, das aus egal welcher Krise immer heil herauskäme. Die Dämonisierung von Krieg und Kriegsherren sei ihm zu einfach, das heiße aber nicht, dass er Krieg gut fände. Aber er sei auch nicht völlig Anti-Krieg: „Ich möchte kein Narrativ verteidigen. Jedes Narrativ hat (Pause) Fragezeichen.“

Also lädt Michael Stauffer in sein Schweizer Büro ein paar geflüchtete Frauen aus der Ukraine und einen Übersetzer ein, die ihre Geschichten erzählen sollen. Aber handelt es sich wirklich um die Geschichten von Mariia, Olga und Yelyzaveta oder um Texte, die „gemacht“ werden müssen, wie es in einer Regieanweisung im Stück heißt? Kurz aus der Rolle zu fallen, um den Produktionsprozess dokumentarischer wie fiktionaler Werken offenzulegen, ist ein simpler Kniff, der eigentlich nur noch ein Gähnen ob seiner Einfallslosigkeit erzeugt. Hier wiegt er aber schwerer, weil in der hybriden Form von Hörspiel und Feature die O-Töne für die Authentizität stehen, die die die Thesen des Stückes argumentativ unterfüttern oder belegen sollen. Desavouiert man sie aber, indem man sie als „gemacht“ bezeichnet, fallen sie als Zeugenaussagen aus und sind nur noch als künstlerische Aussagen zu werten.

Weg mit der Glaubwürdigkeit

Die Glaubwürdigkeit von Stauffers Gesprächspartnerinnen ist schlagartig dahin und man fragt man sich im Nachhinein, ob die Figuren als Opfer gut genug „performt“ haben, ob die Tränen wirklich echt waren, oder welchem dramaturgischen Zweck sie wohl dienen sollten. Das ist ein struktureller Mangel, der die ganze Konstruktion des Stücks zum Einsturz bringt. Überhaupt wird die Erwartung enttäuscht, statt einfacher Erzählungen komplexe Erklärungsmuster präsentiert zu bekommen. Stattdessen werden schlicht Gegennarrative erzählt. „Wer ist schuld am Ukraine-Krieg?“ wird da gefragt und in Form einer Gegenfrage beantwortet: „40 Prozent Russland, 30 Prozent Ukraine, 30 Prozent Europa oder 100 % Russland?“

„Ich stelle nur Fragen“, lautet die Chiffre für diese Technik des Zweifelsäens, die von Desinformation kaum zu unterscheiden ist. Obwohl sich Michael Stauffer als Autorfigur in seinem Stück ein weibliches Gegenüber geschaffen hat (gespielt von Lucia Kotikova), führt dies kaum zu einer Vertiefung der Diskussion. Vielmehr klingen ihre Dialoge über weite Strecken wie ein Vorgespräch zur Inszenierung und verbinden die O-Töne. Da ist die russisch sprechende Olga (Olga Marchenko), die die Ukraine kurz vor Kriegsausbruch verlassen hat und sich nun schuldig fühlt ihr Land verraten zu haben. Da ist die französisch sprechenden angehende Kunsthistorikerin Liza (Yelyzaveta Bezzub), die nach ihrem Studium in die Ukraine zurückkehren will, um dort eine Galerie zu eröffnen. Und da ist Maria (Mariia Zamula-Kotliarevska), die sarkastisch von den zwei Explosionen berichtet, die bei ihr „unvergessliche Eindrücke“ hinterlassen haben und von der freundlichen Aufnahme in der Schweiz berichtet. Hinzu kommt der Simultanübersetzer Elias (Elias Kirsche).

Das so versammelte Ensemble bietet Stauffer Anlass zu einem Diskurs über Identitäten, der kaum an der Oberfläche des Begriffs kratzt, aber einige merkwürdige Realitätswahrnehmungen zu Tage fördert. So antwortet der Übersetzer Elias auf die Frage, aus welchen Grund man aus der Schweiz fliehen müsste: „Wenn sie noch mehr [!] wie die Sowjetunion wird.“ Die Freiheitsräume, die Diversität, Inklusion und all dieses woke Zeugs ermöglicht haben, stehen für ihn auf einer Stufe mit der repressiven Gleichmacherei der Sowjetunion. Für diese kognitive Dissonanz braucht es schon ein gut eingeübtes „Doppel-Denk“ wie bei George Orwell.

Maria ist da deutlich reflektierter, als sie die Erfahrungsdifferenzen mit dem ukrainischen Sprichwort „Der Wohlgenährte glaubt dem Hungrigen nicht“ umschreibt und fortfährt: „Es ist sehr schwierig den Menschen hier in der Schweiz zu vermitteln, zu beschreiben, woher ich komme, weil es in der Schweiz einfach nie die Sowjetunion gab.“ Zum Schluss schlüpft Stauffers Gegenüber Lucia Kotikova in die Rolle einer Wahrsagerin, die die Zukunft der Ukraine vorhersagen soll. Sie sieht eine Frau, die die Ukraine nicht fallen lassen wird. Möglicherweise ist damit Kamala Harris gemeint, denn das Hörspiel wurde schon im Oktober 2024 aufgenommen. Nicht die einzige Fehlleistung in diesem weitgehend erkenntnisfreien Stück.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 20.02.2024

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