Unumgänglich

Die Wand aus Problemen, vor der wir stehen, wird nicht einfach verschwinden wie ein Alien. Glaubt man Albrecht Kunzes neuem Hörspiel, dann ist sie „Das Ding aus keiner anderen Welt als dieser“. Aber man kann mit ihr umgehen, auch wenn man sie als unumgängliches Hindernis betrachtet.

Albrecht Kunze: DAS DING AUS KEINER ANDEREN WELT ALS DIESER
SWR Kultur, Sa, 21.6.2025, 23.03 bis 0.33 Uhr

Was tun, wenn man sich einer Wand von Problemen gegenübersieht mit der man umgehen muss, weil man sie nicht umgehen kann? Was, wenn sich diese Wand von Problemen auf einen zubewegt oder sich diese Wand viele Male gefaltet hat, so dass einem statt einer Wand ein ganzer Berg von Problemen gegenübersteht? In seinem 90-minütigen Hörspiel „Das Ding aus keiner anderen Welt als dieser“ geht der Hörspielmacher und Musiker Albrecht Kunze dieser Frage nach. Wie immer in Kunzes Präzisionstexten geht es darum, die Lage in eine möglichst genaue Begrifflichkeit zu fassen.

Der Titel spielt auf den Science-Fiction-Horror-Klassiker „Das Ding aus einer anderen Welt“ an, der erstmals 1951 von Christian Nyby und Howard Hawks verfilmt wurde („An RKO Radio Picture“) – und 1982 von John Carpenter. Dort wird in der Antarktis ein Alien aus dem Eis erweckt, das jede Form des Vertrauten annehmen kann, um sein mörderisches Tun ins Werk zu setzen. Doch bei Albrecht Kunze geht es weder darum, popkulturelle Phänomene zu analysieren, noch sie als Belege oder Argumente für eigene Thesen zu verwenden. Worum es ihm vielmehr geht, verrät er in der Einleitung zu seinem Stück:

In DAS DING AUS KEINER ANDEREN WELT ALS DIESER geht es um die Begegnung und Auseinandersetzung mit einem unbekannten und rätselhaften Objekt. Geht es um eine Art von Begegnung, die vor allem aus Science-Fiction-Filmen und -Erzählungen bekannt ist – und bei der hinter oder unter dem vordergründigen Geschehen oft das eigentliche Thema die Auseinandersetzung und der Umgang mit dem Fremden, dem Anderen ist.

Die Wand aus Problemen

Weil das, was gegenwärtig als Polykrise bezeichnet wird, nicht umgangen werden kann, will heißen, durch die Wand der Probleme weder ein Durchkommen noch ein Umgehen möglich ist, werden laut Kunze Linien der Verteidigung, Linien der Abwehr, der Verdrängung und der Vermeidung gezogen. In ihrer Extremform stellt man sich die Wand der Probleme als eine Filmkulisse vor – ähnlich wie in Peter Weirs Spielfilm „Die Truman Show“ aus dem Jahr 1998. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Probleme Fiktionen sind, ist ebenso gering, wie dass die Wand der Probleme ein Ding aus einer anderen Welt ist und deshalb einfach wieder verschwinden könnte.

Doch was genau ist das Problematische an den Problemen? Was ist das überhaupt: ein Problem? Laut Kunzes Definition ist es etwas, „was der Umsetzung einer Absicht oder Handlung im Weg steht, und die Durchführung dieser Absicht oder Handlung verhindert oder substanziell behindert“. Dabei geht es immer um zweierlei, „um das speziell Problem-Schaffende und um das allgemein Probleme-Machende eines Problems“. Das Problem-Schaffende kann man verkürzt als die Konkretion eines Problems beschreiben, wobei das Problem-Machende den Umgang mit dem Problem beschreibt. Letzteres kann dazu führen, dass man Ersteres gar nicht erst angeht. Abstrakter und genauer kann man die gegenwärtige Lage kaum beschreiben.

Das Zurückgeworfene

An diesem Punkt der Analyse angekommen, beschließen die anonymen Stimmen des Stückes (Nikola Duric, Clemens Giebel, Marie Löcker, Karolina Seibold und Claudia Splitt) in die Handlung einzugreifen und eine andere Umgangsweise mit der Wand der Probleme zu versuchen: Man beginnt Musik und Sounds und Songs zur Wand der Probleme zu schicken und zu beobachten, was wie davon zurückgeworfen wird.

Warum ist das eine Möglichkeit des Umgangs? „Weil Musik und Sounds und Songs etwas Vergängliches, und nur in ihrem Vergehen Vorhandenes sind – und somit: wie unbekannte und rätselhafte Objekte in und außerhalb von Zeit sind – eine Tatsächlichkeit und eine Unmöglichkeit zugleich sind – und somit: ein Widerspruch sind“, heißt es in Albrecht Kunze Stück. Oder zusammengefasst: „weil Musik und Sounds und Songs wegen alledem etwas Befremdliches sind, und – wie unbekannte und rätselhafte Objekte – vielleicht das Andere, das Fremde sind […] und: wie unbekannte und rätselhafte Objekte – wenn überhaupt – nur mittels Reflexion – und: nur in und als Reflexion greif- und begreifbar sind.“

Weil der Umgang mit der Wand aus Problemen, vor der wir stehen, unumgänglich ist und trotz ihrer Unumgänglichkeit mit ihr umgegangen werden muss, auch wenn man sie nicht umgehen kann, beginnt man mit ihr auf eine Weise zu interagieren, die die Wand eben nicht als überwältigendes Hindernis betrachtet, sondern als Reflexionsfläche.

Hier kommt Albrecht Kunzes Meisterschaft als Hörspielautor und Musiker ins Spiel. Ein immer wiederkehrendes tiefes, nebelhornartiges Summen dient als Testton und als akustische Positionsmarkierung. Außerdem werden die Verhältnisse von Signal und Reflexion, Ton und Stille, Laufzeiten und Frequenzen beschrieben. Hinzu kommen die moderat gefilterten Stimmen seiner Akteure in jenen spezifischen Kunze-Sound, der sie sofort wiedererkennbar macht. Stimmen, die in ihrer Dringlichkeit und ihrem Verstanden-werden-Wollen beim Zuhören einen Sog des Mitdenkens entwickeln. Im Wechsel zwischen musikalischen und reflexiven Passagen ergibt sich ein Rhythmus, der das Stück über die volle Länge von 90 Minuten trägt und immer wieder einige Überraschungen bereithält.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 20.06.2025

siehe auch: Florian Welle: Die Wand der Probleme. In: epd medien, 25.06.2025

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