Übersetzungsprozesse mit grünem Punkt
Inke Arns: Sendesprache – verdeckte Operation – Ansage – Fehler. Nach Eran Schaerf: fm-scenario
Bayern 2, Fr 22.2.2013, 21.03 bis 21.45 Uhr
Das Motto ist paradox, aber nicht neu: „Aktuell ist, was sich recyceln lässt.“ Was Eran Schaerf auf der Website fm-scenario.net seinen Sprecher Peter Veit sagen lässt, zieht sich durch die jüngere Diskursgeschichte. Christoph Schlingensief wollte Kulturgüter mit einem grünen Punkt – dem Symbol des dualen Systems der Abfallwirtschaft – versehen, um nicht mehr Brauchbares der Wiederverwertung zuzuführen. Auch Eran Schaerf lässt jetzt einige seiner (immer noch sehr brauchbaren) Hörspiele recyceln und erweitern, nämlich das Hörspiel des Jahres 2002, „Die Stimme des Hörers“ (vgl. FK 15/02), und die Stücke „Sie hörten Nachrichten“ (2005), „Nichts wie Jetzt“ (2009), „Heute ist Mittwoch, der 10. Dezember“ (vgl. FK 31/09) und „Die ungeladene Zeugin“ (2011), alle produziert vom Bayerischen Rundfunk (BR).
Plattform für Schaerfs Recycling-Projekt ist die Website www.fm-scenario.net. Dort schweben blässliche Substantivreihungen wie „Sendersuche – Kommentar – Funkstille – Unterhaltungswert – Job“ mit einer Zeitangabe für die Länge des Fragments über den Bildschirm. Mit der Maus kann man das Fragment abspielen, während der Text dazu angezeigt wird, und es seinem eigenen Mix hinzufügen. Im Endeffekt kann man sich also aus den Schnipseln in dem „öffentlich zugänglichem Online-Studio am Rande der Demokratie“ (Schaerf) sein eigenes Hörspiel machen. Die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion, Sender und Empfänger, Nutzer und Autor werden verwischt. Das Verfahren mag man „recyceln“, „remixen“, „montieren“ oder „kuratieren“ nennen. Es geht Eran Schaerf darum, „das Internet als Produktionsort zu nutzen, um Inhalte für weitere Medien zu generieren – konkret: Radiosendungen, Ausstellungen und Publikationen“. So ist denn das Projekt fm-scenario intermedial angelegt und nicht nur eine Reformulierung seiner medienpraktischen Arbeiten.
Den ersten Remix konnte man am 31. August 2012 im Programm Bayern 2 hören: Die englischsprachige Kompilation „where palms stand – mask – delay“ der Museumskuratorin Valerie Smith bildete den Ausgangspunkt für die erste Ausstellung im Rahmen des Projekts fm-scenario in den Dolmetscherkabinen des Berliner Hauses der Kulturen der Welt (der ehemaligen Kongresshalle).
Inke Arns, Leiterin des Hartware MedienKunstVereins Dortmund (HMKV) war schon für die John-Cage-Ausstellung „Sounds like Silence“ (vgl. FK 36/12) verantwortlich. Ihre ebenfalls auf Bayern 2 gesendete Montage des Materials von Eran Schaerf bildet die Basis für die gegenwärtige Ausstellung im HMKV. Schaerf hat Arns 42-minütige Montage „Sendesprache – verdeckte Operation – Ansage – Fehler“ als Skript für diese Ausstellung verwendet und mit vier Performern stumm nachstellen lassen. Wie schon im Haus der Kulturen der Welt in Berlin haben wir es auch hier wieder mit Übersetzungsprozessen zu tun: von einem Ereignis zum Text, vom Text zur Radiomeldung, von der Radiomeldung zur Performance, von der Performance zum Bild. Letztere kann man in der Ausstellung und auf der Website sehen und die Bedeutungsverschiebungen nachvollziehen.
„Zwischen Bild und Bildunterschrift besteht keine Verbindung“, so lautet einer der zentralen Sätze, die Eran Schaerfs künstlerisch-kritische Auseinandersetzung mit Bildern in den Medien auf den Punkt bringen. Archivbilder oder (nach) gestellte Wiederaufführungen wie zum Beispiel die Bilder des Sturms auf das Winterpalais der russischen Oktoberrevolution 1917 belegen das immer wieder, wie Inke Arns im Gespräch mit Julian Doepp verrät. Wir sind umstellt von fiktiven und oft theatralen Reenactments: „Same same but different“ (Ganz gleich und doch anders).
Sieht man von dem intermedialen Ansatz ab, was schwer fällt, weil er den Kern des Projekts fm-scenario bildet, und betrachtet nur die im Radio hörbare Montage „Sendesprache – verdeckte Operation – Ansage – Fehler“, dann funktioniert das Stück nicht besser als Eran Schaerfs Vorlagen. Denn, auch das ist ein Paradox, das einsinnige, nur auf das Hören fokussierte Ursprungsstück „Die Stimme des Hörers“ entfaltete trotz des in ihm verarbeiteten vorgefundenen Materials eine fast auratische Qualität, weil in ihm Welthaltigkeit und experimentelle Verfahrenstechniken ineinander übergingen. Diese Qualität kann das schriftlich-optisch-akustisch-performative fm-scenario-Projekt allein im Radio nicht entfalten. Die nächsten drei Ausstellungen werden im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM), im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt und bei „Les Complices“ in Zürich zu sehen – und vielleicht auch zu hören – sein.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 09/2013
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