The show will go on
Michel Decar: Schere Faust Papier
Deutschlandradio Kultur, Mo 16.01.2017, 0.05 bis 0.53 Uhr
Das Spiel „Schere, Stein, Papier“ ist eine der simpleren Methoden der Entscheidungsfindung und es kommt häufig dann zum Einsatz, wenn es darum geht, dass eine Entscheidung getroffen wird und nicht unbedingt welche. Der Vorteil des Spiels ist seine dreiwertige Logik, die in Michel Decars Theatertext „Schere Faust Papier“ jedoch von Anfang an ausgehebelt ist, denn die Faust schlägt selbstverständlich alles.
Das Stück beginnt an einem Ort, den man sich als einen trichterförmigen Bunker vorzustellen hat. Einen Bunker, der seit drei Tagen angegriffen wird, um die Insassen „in die Steinzeit zurückzubomben“. Und das geschieht denn auch – wortwörtlich wie metaphorisch. Denn die drei Frauenfiguren Razor (Anne Kulbatzki), Crystal (Josefine Israel) und Phantom (Juno Meinecke), die im Hörspiel allerdings namenlos bleiben, imaginieren sich zunächst in einer steinzeitlichen Höhle – umgeben von prähistorischen Zeichnungen und behaart wie Urmenschen.
Dass die Welt doch so friedlich sei, merkt eine der Frauen an, „Aber das täuscht“, wird ihr geantwortet und schwupps hat eine andere auch schon aus Versehen jemanden umgebracht: „Der ist mir gegen die Keule gerannt“, sagt sie lakonisch. Von dieser Situation ausgehend zieht sich das Hörspiel durch die gesamte Menschheitsgeschichte. In der Antike spielt ein hölzernes Pferd eine gewisse Rolle, bei den Kreuzzügen die mobilisierende Kraft einer Religion. Die dunkle Seite der Renaissance ist der europäische Kolonialismus und die dunklen Seiten der Aufklärung sind die französische Revolution und die USA, ein Staat, „konstruiert aus Gedanken, gegründet auf Zucker, Kaffee und Krieg“.
Und immer wieder kommen Leute zu Schaden, natürlich unbeabsichtigt. Da wird nach einer Revolution die gesamte Führungsriege liquidiert und die Konterrevolution gleich mit, obwohl die nur eine Fiktion war. Das hätte man ihr aber auch sagen können, lamentiert eine der Figuren, und wenn sie gewusst hätte, dass es eigentlich um den Frieden ginge, wäre ihr das mit den hundert Kriegsgefangenen auch nicht passiert. Jetzt seien die halt alle tot.
Es ist ein grotesker Humor, der sich durch Michel Decars Text zieht und sein Running-Gag ist die Formel „Aber das täuscht“, mit der sich die Akteure zu bloßen Zuschauern eines Systems erklären, das sie nicht durchschauen, aber selbst fabrizieren. Dass bei all dem Morden die Geschichte noch längst nicht an ihr natürliches Ende gekommen sei, liege an dem Sex, der einem immer dazwischenfunke, denn: „Aus Versehen macht man dann neue Menschen und die erzählen dir dann wieder das gleiche.“
„Schere Faust Papier“ ist bereits das dritte Hörspiel, das der 1987 geborene Berliner Autor Michel Decar zusammen mit dem Komponisten Lukas Darnstädt inszeniert hat. Das Stück nimmt Motive aus den ersten beiden Stücken Decars wieder auf, aus „Jonas Jagow“ (Deutschlandradio Kultur 2014) und „Jenny Jannowitz oder der Engel des Todes“ (Deutschlandradio Kultur 2015). In „Jonas Jagow“ spielten sich ebenso feuilletonistische wie gewaltförmige Auseinandersetzungen in irgendwelchen Hipster-Bunkern in Berlin-Moabit ab, während Karlo Kollmar, die Hauptfigur aus „Jenny Jannowitz“, gerne mal ganze Jahreszeiten verschlafen hat. Das passiert einer der Figuren aus „Schere Faust Papier“ mit ganzen historischen Perioden. Ändern tut sich dadurch am Lauf der Welt aber nichts, denn die Geschichte, wenn sie denn als Geschichte stattfindet, ist zyklisch. Fortschritt gibt es keinen, höchstens in der Waffentechnik.
„Eine Heiner-Müller-Paraphrase aus dem Hobbykeller der Dramatik“, hat das ein missgelaunter Kritiker anlässlich der Uraufführung im Hamburger Thalia-Theater im Dezember 2016 genannt. Geschichtsphilosophisch lässt sich aus dem Stück in der Tat wenig Kapital schlagen, dafür geht es in dem „Bunker nach dem Dritten Weltkrieg“, wie man die Location mit Heiner Müller verorten könnte, aber recht amüsant und unterhaltsam zu. Im Hörspiel liegt das nicht nur an der angenehm unterspielten Komik der drei Aktricen, sondern auch an der Komposition und dem Sound-Design von Lukas Darnstädt, die suggestiv eine bedrohliche Außenwelt entstehen lassen.
„Es gibt da doch“, so leitet Michel Decar seine 48-minütige Hörspielinszenierung ein, „dieses Zitat von Marx oder Engels oder Hegel, dass sich Geschichte immer zwanzigmal ereignet. Einmal als Tragödie, einmal als Farce, einmal als Tragikomödie, einmal als ZDF-Zweiteiler, einmal als BBC-Miniserie, einmal als Telenovela, einmal als Event Movie …“ u.s.w., u.s.f „… und einmal als Hörspiel im Deutschlandradio“, ergänzt der Sender auf seiner Website. The show will go on – und das ist keine Täuschung.
Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 2-3/2017
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