Stöhnen rückwärts
Elisabeth Weilenmann: LIBIDOdialoge – Eine Dating-Sinfonie in drei Sätzen
HR 2 Kultur, 7., 14., 21.04.2024, 14.04 bis 15.00 Uhr
In Elisabeth Weilenmanns Dating-Sinfonie in drei Sätzen „LIBIDOdialoge“ ist der Körper immer noch das Schlachtfeld, wie in ihrem ersten Hörspiel. Nur dass der Krieg diesmal zwischen archaischem Körper und feministischem Geist stattfindet.
Als Elodie Pascal 2008 mit ihrem Hörspiel „Mein Körper ist ein Schlachtfeld“ über sich die Haut aufritzende Mädchen den Hauptpreis des Berliner Hörspielfestivals der freien Szene gewann, war der Name noch ein Pseudonym der österreichischen Autorin Elisabeth Putz. 2011 macht sie mit „Die Hochzeit – Szenen eines Ereignisses vom Lande“ ihre Heirat zu einem Hörspiel mit dokumentarischem Charakter. Seitdem heißt sie Elisabeth Weilenmann und schreibt und inszeniert oft preisgekrönte Hörspiele. 2021, nach ihrer Scheidung, tauchte der Name Elodie als nom de guerre wieder auf: im Hörspiel „Leck mich“, das jetzt mit zwei neuen Folgen „Fuck you“ und „Hals über Kopf“ in der Trilogie „LIBIDOdialoge – Eine Dating-Singonie in drei Sätzen“, einer Koproduktion von Hessischem und Österreichischem Rundfunk aufgegangen ist.
Auch wenn die LIBIDO im Titel den Leser typographisch anbrüllt und so eine bestimmte Erwartungshaltung weckt, auf die auch schon Eve Enslers „Vagina-Monologe“ spekulierte, so liegt der Fokus in Elisabeth Weilenmanns Stück doch auf den Dialogen, die nicht umsonst klein geschrieben sind. Denn die eigentlich relevanten „dialoge“ sind die mit sich selbst, mit ihrer Schwester Nina (Anika Baumann) oder mit ihrer besten Freundin Maria (Viola Pobitschka).
Auch wenn manchmal ein paar wenige explizite Worte fallen, so ist doch alles für den sonntäglichen Hörspieltermin um 14.04 Uhr auf HR 2 Kultur kompatibel. Denn dass es keine Worte gibt, „mit denen man die Gesamtheit unseres Untenrums beschreiben könnte“, ist ein Problem, aber nicht einmal das Wichtigste. Aber, so wird es im Stück reflektiert: „Dieses Wort muss erst gefunden und kollektiv angenommen werden. So bleibt das weibliche Geschlecht eine Leerstelle, die auf das Männliche verweist.“
Krieg zwischen Körper und Geist
Elisabeth Weilenmann Protagonistin Hannah Tiefenthaler, facettenreich gespielt von Lou Strenger, meldet sich nach zwei sexlosen Jahren auf einer Sexdating- und einer Beziehungsapp an. Bisher habe sie ihre Lust aus der Befriedigung ihres Gegenübers geschöpft, sie aber kaum jemals final erlebt. Jetzt sucht sie einen Mann, der ihr intellektuell gewachsen ist und sie zugleich körperlich dominiert. Hannah interpretiert das so: „Mein Körper und mein Geist befinden sich im Krieg. Mein Körper liebt die Unterwerfung. Aber vielleicht bin ich nur Opfer einer so genannten Maskulinisierung der weiblichen Lust, wie die Psychologin Sandra Konrad meint.“
Aus feministischer Sicht ist das nicht einfach aufzulösen und auch der Spagat zwischen femme fatale und femme fragile ist oft schmerzhaft. Die Sehnsucht geführt zu werden wie bei einem Tanz, korreliert oft nicht mit dem Einfühlungsvermögen des Gegenübers. Das Ergebnis: Drama. Und natürlich ist Hannah auch eine Dramaqueen, was ihr von ihrem Mentor Arthur, 66, gespielt von Michael Schütz, klargemacht wird. Als sie die femme fragile zu Hause lässt, steigt ihr Selbstbewusstsein proportional zur Höhe ihrer Absätze.
Nach ein paar mehr oder weniger bemerkenswerten Erfahrungen, immer mit mindesten zwölf Jahre älteren Männern, trifft Hannah im zweiten Teil der Trilogie „Fuck you“ auf Vincent, 49, Fotograf, gespielt von Isaak Dentler. Bei ihm erfährt sie sexuelle Erfüllung, aber was sie an dem Mann eigentlich findet, bleibt ausgespart. So sind denn die „Libidodialoge“ nicht in einer dramatischen Form verfasst, denn das hieße die Gegenthese möglichst stark zu machen. Weil aber der Antagonismus offensichtlich nicht auf sprachlicher Ebene gefasst wird, beziehungsweise nicht gefasst werden kann oder soll, bleibt die Figur des Vincent merkwürdig flach.
Er sammelt Frauen und trägt sie in eine Tabelle ein. Hannah ist die Nummer 333 und wäre gerne die letzte, weil sie ihre Männer immer retten will. Doch denn erfährt sie, was sie schon immer geahnt hat. Vincent ist verheiratet, hat zwei Söhne und heißt eigentlich Victor. Und alles ist vorbei. Erst in dem vergeblichen Versuch Hannah zurückzugewinnen, bekommt die Figur des Vincent etwas Farbe, etwas Sympathisches.
Selbstverpflichtung zu radikaler Ehrlichkeit
Seit ihr Vater ihre Mutter betrogen hat, als Hannah noch ganz klein war, sind außereheliche Beziehungen für sie ein Tabu. Zumal ihre Mutter ihren Vater Jahrzehnte lang dafür bestraft hat, wie man im dritten Teil des Hörspiels erfährt. Dennoch rät ihr die Mutter davon ab, gegenüber Vincents Frau ihr Verhältnis zu enthüllen, was im Gegensatz zur „radikalen Ehrlichkeit“ steht, zu der Hannah sich verpflichtet fühlt. „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, zitiert sie Ingeborg Bachmann, während Vincent mit „vertias extinguit“ kontert, das er mit „die Wahrheit tötet“ übersetzt, auch wenn das Verb „auslöschen“ meint.
Im dritten Teil der Libidodialoge „Hals über Kopf“ schließlich ist das Drama vorbei und erweist sich als notwendiges Durchgangsstadium. Die Zeit der Promiskuität im ersten Teil und die neunmonatige, suchtähnliche Beziehung mit Vincent aus Teil 2 erweisen sich für Hannah als notwendige Erfahrungen, um zu wachsen. Natürlich ist sowohl Hannah als auch ihre Autorin Elisabeth Putz viel zu intelligent, um nicht zu merken, wie kitschig, trivial und ratgeberhaft diese Erkenntnis daherkommt.
Jonathan, 44 (Hannes Wegener), mit dem Hannah sich aus der Abhängigkeit von Vincent zu befreien versucht, ha natürlich keine Chance, obwohl er sich gar nicht so von Michael, 51 (Wolfram Koch) unterscheidet, der offenbar auf einer Wellenlänge mit ihr schwimmt. Er ist der eine, den jenes Schiff, das kommen wird, gebracht hat, wie es im Verlauf des Stück immer wieder zitierten Schlagers heißt.
Bemerkenswerter Einsatz kommentierender Musik
Wie überhaupt in den Stücken von Elisabeth Weilenmann der kleinteilige Einsatz von kommentierender Musik immer bemerkenswert ist. Hier reicht die Palette von Bach bis zum Bajofondo Tango Club, von weitgehend weiblichem Hiphop bis zu den BeeGees, von einer wunderbaren Coverversion von Britney Spears Hit „Toxic“ bis zu „Closer“ von Nine Inch Nails. Und „La Paloma“ darf natürlich auch nicht fehlen.
Die genialste akustische Idee Weilenmanns besteht aber zweifellos darin, das Stöhnen in den einschlägigen Szenen, die immer nur beschrieben, aber nie inszeniert werden, rückwärts einzuspielen. Statt lustvoller Entäußerung klingt das wie Hineinpressen. Eine akustische Metapher nicht nur für die Ambivalenzen in der sexuellen Begegnung, sondern auch für die Machtverhältnisse, unter denen sie stattfindet und die sie bestenfalls transzendiert.
Dass man dem Stück über drei Stunden folgt, liegt an der kaum zu überschätzenden Lou Strenger, die der Hannah überzeugend und immer in der richtigen Balance ihre Stimme gibt. Die eben weder die Dramaqueen noch die tragisch Gescheiterte gibt, sondern sich immer bemüht, ihrer Figur einen Rest reflektierende Distanz zu sich selbst zu geben. Wie ihre Autorin und Regisseurin Elisabeth Weilenmann zu ihrem Text.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 18.04.2024
Kritik von Cosima Lutz im epd medien.
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