Spuren des Feuers
Sebastian Hocke: Aus der Asche
DLF, Samstag, 08.10.2022, 20.05 bis 21.05 Uhr
In seinem Hörspiel „Aus der Asche“ erzählt Sebastian Hocke drei Geschichten von gewaltförmigen Beziehungen in der ostdeutschen Provinz, die alle mit Feuer zu tun haben – von Streichhölzern als Mittel der Selbstverletzung, von Brandstiftungen und von Kohlen, die keine Wärme spenden.
Der Hörspielmacher, Autor, Regisseur und Theaterpädagoge Sebastian Hocke ist so etwas wie die Personifikation des freien Hörspiels, über das er auch 2011 die erste wissenschaftliche Studie („Das Freie Hörspiel: Der Autor wird Produzent“) vorgelegt hat. Seit 2008 ist er Dauergast auf den Festivals der Off-Szene wie beim Berliner Hörspielfestival, dem Leipziger Hörspielsommer und der Kölner Hörspielwiese. Sein neues 60-minütiges Stück hat er für den Deutschlandfunk in Köln produziert.
Im Hörspiel „Aus der Asche“ erzählt Sebastian Hocke drei Geschichten um fünf Figuren, die alle mit Feuer zu tun haben, genauer mit den Spuren und Überresten, die es in den Biografien von Hanna (Marie Luisa Kerkhoff), Rico (Florian Schmidtke) und Jan (Daniel Wiemer) hinterlassen hat. Hinzu kommt ein Busfahrer (Pit Bukowski), bei dem nicht ganz klar ist, in welcher Beziehung er zu den anderen Figuren, insbesondere zu Hanna, steht. Und als letzte Figur ist da noch der Feuerwehrmann Christian (Nic Romm) als eine Art geheimes Zentrum der Geschichten.
Schnell erzählt ist der Plot der drei Geschichten, die alle etwas miteinander zu tun haben, nicht, denn es geht darum, die sich überkreuzenden Linien der Handlung nachzuverfolgen und sie vor allem richtig zuzuordnen. Es beginnt in Jans Zoohandlung irgendwo in der ostdeutschen Provinz. Feuerwehrmann Christian erzählt Jan von kürzlich gelegten Bränden und setzt damit eine Eskalation in Gang, in deren Verlauf er sich mit Klebeband gefesselt wiederfindet und Jan die ganze Bude abfackeln will.
Es wäre dies Jans erste Brandstiftung, auch wenn er als gemobbter Schüler zwanzig Jahre zuvor die Schuld für den Brand der Kaninchenställe hinter der Schule auf sich genommen hat – für den mutmaßlich Christian verantwortlich war. Der Druck des Vaters, der, um den Sohn zu bestrafen, dessen geliebten Hund bei Minusgraden draußen in den Schuppen einschließt, hat ihn zu dem falschen Geständnis erpresst. Doch auch die Hundehütte geht in Flammen auf und bringt dabei beinahe die ganze Familie um.
Hannas Geschichte beginnt mit Selbstverletzungen, als sie sich mit Streichhölzern vorsätzlich und im Wortsinn die Finger verbrennt – in einer Rückblendenerzählung mit dem Busfahrer, der sie nicht erkennt, den sie aber für einen aufdringlichen Schulkameraden hält.
Auch in der Geschichte von Rico spielt der Vater eine entscheidende Rolle. Auch 30 Jahre nach der Wende heizt der noch mit Kohlen – der domestizierten Form des Feuers -, aber er bekommt die Eimer mit den Briketts kaum noch die Treppe hinauf, weshalb die Wohnung kalt bleibt. Impulskontrolle ist nicht Ricos Stärke, weshalb er als Handlanger mafiöser Geldeintreiber schon mal einen Mann an einen Baum genagelt hat und mit „so einem“ will der Vater nichts zu tun haben. Aber er ist auf ihn angewiesen.
Alle Beziehungen, in denen die drei Hauptfiguren gefangen sind, sind gewaltförmig, ihre Biografien von Asche bedeckt. Doch erzählt oder besser enthüllt wird das in Sebastian Hockes Hörspiel, der auch Regie geführt hat, erst nach und nach und auf eine bedrückend beiläufige Art und Weise, nämlich als eine fast zwangsläufige und ganz normale Entwicklung.
Als Refrain zwischen den aschgrauen Bilder dienen Songs der 1960er-Jahre wie beispielsweise „How are things in California“ von Nancy Sinatra als Markierung von Sehnsuchtsorten. Aber da ist es auch nicht besser, denn Amerika ist auch nur ein Dorf in Sachsen. Aus der Welt dieses Hörspiels gibt es kein Entkommen.
Jochen Meißner, KNA Mediendienst, 13.10.2022
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