Schöpfungshöhe und Fertigungstiefe

Ulf Stolterfoht: Krähe privat (und „Krähe spezial“)

SWR 2, 28.10.2023 23.03 bis 2.00 Uhr

Mit „Krähe privat“ schließen der Lyriker Ulf Stolterfoht (Text) und Thomas Weber vom Kammerflimmer Kollektief (Musik) ihre „Krähe“-Trilogie ab und schlagen humorvoll Schneisen durch das Dickicht popkulturelle Referenzen – wie das funktioniert erfährt man anschließend in einem „Krähe spezial“.

Zu einer Zeit, als weder das Internet noch Musik überall und sofort verfügbar waren, pinnte Krähe einen Zettel in den Plattenladen seines Vertrauens und suchte als Bassist „Mitstreiter mit ordentlich Haupthaar“ für eine Band. Es ist das Jahr 1974 und Plattenrezensionen in Fanzines lasen sich in etwa so kryptisch wie später im Musikmagazin „Spex“ und bildeten ein eigenes Genre, das sich von ihrem Gegenstand weitgehend emanzipiert hatte.

Wie das klang kann man in dritten Teil der Krähe-Trilogie hören, die 2021 mit „Die Rückkehr von Krähe“ begann, 2022 mit „Der bezaubernde Herr Krähe in: Flügel zu vermieten“ fortgesetzt wurde und jetzt mit „Krähe privat“ einen fulminanten Abschluss findet. Alle drei Stücke sind zusammen mit Thomas Weber vom Kammerflimmer Kollektief in der Regie von Iris Drögekamp für den Südwestrundfunk produziert worden. Und alle drei setzen sich ebenso ernsthaft wie komisch mit unterschiedlichen Aspekten der Popkultur auseinander.

So werden nicht nur Plattenkritiken parodiert, sondern gleich fiktive Hörerbriefe zu den beiden Vorgängerstücken in das aktuelle Hörspiel eingebaut. Natürlich sind es korrekt gegenderte „Hörer:innen-Briefe“ und auch sonst lassen sich ziemlich genaue Rückschlüsse auf die ideologische Verfasstheit ihrer fiktiven Kulturradiohörer(:innen) ziehen. Was einmal mehr beweist, dass die Parodie ein gerne unterschätztes Kunsthandwerk ist. Einer dieser Hörerbriefe hat es nicht ins Hörspiel geschafft und wird als Outtake im anschließenden „Krähe spezial“ präsentiert. Denn der „Ohne-Limit“-Sendetermin auf SWR 2 läuft Samstagabend von 23 bis 2 Uhr. Das Hörspiel nimmt davon von nur die Standardlänge von 55 Minuten ein, der Rest sind Gespräche, Gedichte und Musik von Ulf Stolterfoht und Thomas Weber, moderiert von der Regisseurin Iris Drögekamp.

Wenn man sich im Hörspiel über eine Doppel-LP der Band „Krähe und die Vögel“ wundert, die aus vier gleich langen Stücken besteht, dann wird im nachfolgenden „Krähe spezial“ eben die Platte gespielt, auf die sich das Ganze wurde: „Ultra White Light“ von Charles Curtis aus dem Jahr 1997. Der Clou: Hier werden alle vier Seiten der Platten in einem Downmix gleichzeitig gespielt – wie es Curtis selbst angeregt hatte. Natürlich hätte man damals vier Plattenspieler und zwei Doppelalben dafür gebraucht – aber wozu gibt es das Radio. So folgt auf das literarische Originalhörspiel ein musikalisches, das aus Celli, Sinustönen, Gitarren und Spoken-Word-Poetry besteht, gleich hinterher.

Man hört nur, was man weiß und so vermag das Dreiergespräch und die Musik im Anschluss an das eigentliche Hörspiel den Genuss sogar zu steigern. Wenn man erfährt, wie ausgehend von oberflächlichen Übersetzungen avantgardistischer Popsongs am Ende eigenständige Lyrik entsteht, dann hat man nicht nur einen Einblick in Ulf Stolterfohts Arbeitsweise bekommen. Sondern merkt gleichzeitig, das gute Tricks auch dann funktionieren, wenn man sie kennt.

Auch die Herkunft der Figur des Krähe wird erklärt: sie stammt aus den Gedichten von Ted Hughes, dem Ehemann von Sylvia Plath, und war schon dort eine zwielichtige Trickster-Figur, von der sich die in Stolterfohts Werk aber ebenso emanzipiert, wie die Musik des Kammerflimmer Kollektiefs von John Cale, Frank Zappa, Fred Frith, Captain Beefheart und den anderen in „Krähe spezial“ genannten Einflussgrößen.

Wie schon in den ersten beiden Teilen der „Krähe“-Trilogie sind es die Stimmen von Lilith Stangenberg und Sebastian Zimmler, die sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch das Dickicht der Referenzen bewegen. Stangenberg und Zimmler sind komisch, ohne auf Pointen zu schielen und verleihen so der Schöpfungshöhe des Textes die nötige Fertigungstiefe.

Die vier Teile des Hörspiels „Wie alles anfing“, „Eine andere Geschichte“, „Wie alles weiterging“ und „Abgesang“ zeichnen Krähes Karriere von Anfang bis Ende nach und kulminieren in einem simplen Fazit: „experimentelle gärtnerei mutiert zum stummen schrei. dann ist alles vorbei.“ Bestenfalls ist es dann zwei Uhr morgens und man hat einmal mehr verstanden, was das lineare Radio kann, wenn es sich die Freiheit nimmt, zu wollen, wozu es verpflichtet ist: Nämlich seinen Kulturauftrag zu erfüllen. Das Hörspiel kann man in den Audiotheken später nachhören. Das „Krähe spezial“ auch!

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 26.10.2023

 

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