Sag mir Quando, sag mir wann

Tino Kühn: Cheap Dreams

SWR 2, So, 25.02.2024, 18.20 bis 19.40 Uhr und 03.03.2024, 18.20 bis 19.15 Uhr
sowie als 5-teiliger Podcast in der ARD-Audiothek

Sie zahlen 50 Prozent weniger, dafür liefern wir, wann wir wollen. So funktioniert der Online-Versand Quando, der mit allerhand Entschleunigungsgeschwurbel beworben wird. Es ist nicht das einzige Geschäftsmodell, das in Tino Kühns komischen Mockumentary-Hörspiel aus dem Ruder läuft.

Wer beim Online-Versand Quando bestellt, muss warten können. Dafür gibt es aber auch 50 Prozent Rabatt auf alles. Geliefert wird dann, wann Quando will. Das kann morgen sein oder kommende Woche. Oder in ein paar Monaten. Oder in ein paar Jahren. „Oder auch gar nicht?“, fragt die Investigativreporterin Sophie Bergman (Alice Dwyer) nach. Woraufhin der PR- und Pressemensch Luis Gonzales repliziert: „Gar nicht, das sind jetzt so Worte. Nur weil etwas nicht zu Ihren Lebzeiten geschieht, heißt das ja nicht, dass es gar nicht geschieht, oder?“

Spätestens hier sind wir in Tino Kühns zweieinviertelstündigem Mockumentary-Hörspiel „Cheap Dreams“, das er auch selbst inszeniert hat, im Bereich der religiösen Heilserwartung. Die hat Carsten Hüther (Felix Goeser), CEO der Firma Cheap Dreams, erfolgreich kapitalisiert. Denn das „Buy now, get it later“-Prinzip von Quando spült natürlich einiges an Liquidität in die Kassen des Unternehmens. Jedenfalls von denen, die bereit sind, viel Geld fürs Warten auszugeben, und deren Mindset sich derweil von einer ungewissen Hoffnung triggern lässt. „Cheap Dreams“ steht als fünfteiliger Podcast in der ARD-Audiothek und läuft als etwas lieblos aneinandergehängtes zweiteiliges Hörspiel auf SWR 2.

Akustische Suchmaschinenoptimierung

Kühns Hörspiel über einen fiktiven Podcast beginnt ziemlich quälend. Da spricht eine Journalistin, die sich gerne in den Vordergrund spielt und aufgeregt von einem Interview erzählt, das sie nicht bekommt. Unwillkürlich fühlt man sich wie in jenen Podcastformaten, die klingen wie akustische Suchmaschinenoptimierung. Da werden Konventionen abgearbeitet, die irgendwelche kunst- und journalismusfernen Marketingheinis nach der Maxime „Wenn es den Algorithmen gefällt, wird es auch den Leuten gefallen“ aufgestellt haben.

Doch bald ertappt man sich dabei, wie man als Hörer auf die Meta-Ebene wechselt und seine Aufmerksamkeit mehr und mehr der Machart des Stückes zuwendet. In der Regel ist das ein schlechtes Zeichen, weil dann entweder die Geschichte nicht funktioniert, die Schauspieler ihre Rollen nicht plausibel genug verkörpern oder allzu schlampig geschriebene Elemente einen aus der parodistischen Fiktion heraushauen.

Das alles ist hier erstaunlicherweise nicht der Fall. Die Grundidee von Quando ist zwar irre, aber nicht irre genug, als dass die Samwer-Brüder sie nicht für einen dreistelligen Millionenbetrag an Amazon hätten verhökern können. Die Schauspieler sind immer einen Hauch über der Glaubwürdigkeitsschwelle, aber eben auch nicht mehr. Patrycia Ziolkowska, die hier klingt wie Astrid Meyerfeldt, spielt die Sekretärin Frau Fröhlich als Königin des Abwimmelns. Felix Strobel gibt den PR- und Pressemenschen von Cheap Dreams derartig start-up-verpeilt, dass es ein Freude ist. Und Marina Frenk als IT-Beauftragte der Firma klingt so nerdig, als hätte sie zu lange neben zerfallenden Atomen geschlafen. Den enttäuschten Quando-Kunden Peter T. gibt Thomas Sarbacher angemessen überdreht-cholerisch.

Was allerdings die kognitive Dissonanz beim Hören verursacht, ist die Machart, die genau die Podcast-Konventionen reproduziert, die man wirklich nicht mehr hören kann. Aber als dann die Reporterin schließlich in irgendeinem IT-Keller dem „Fairly-Accurate-Randomness-Generating-Operator – kurz: F.A.R.G.O.“ gegenübersteht, fängt das Hörspiel an zu fliegen. Plötzlich gibt es akustische Räume, Atmosphären und Geräusche, die die Differenz zum vorher gehörten Konventionellen überdeutlich machen. F.A.R.G.O. ist übrigens der Rechner, der auf Basis eines zerfallenden Strontium-90-Isotops und dem Rauschen der kosmischen Hintergrundstrahlung zufallsmäßig die nächste Quando-Lieferung bestimmt. Das ist ziemlich gut geschrieben, zumal nicht nur ein real-exisitierender Lieferdienst, sondern auch noch Erwin Schrödinger und die Coen-Brüder grüßen lassen.

Ein Messias aus KI

In den letzten beiden Folgen des Podcasts (beziehungsweise dem zweiten Teil der Hörspielfassung) geht es dann um ein weiteres Produkt der Firma Cheap Dreams. Neben dem Lieferdienst Quando wird nämlich auch ein „Rented-Reality“-Produkt angeboten. Weil es in gewisser Weise eine Fortsetzung des Heilserwartungsdienstes ist, kann es nicht anders als „Messiah“ heißen. Messiah schafft mit Hilfe von Schauspielern und KI alternative Realitäten für seine Abonnenten. Hier aber kippt die Dramaturgie des Hörspiels. Denn anstatt eine satirische Geschichte konsequent zu erzählen, beginnt es plötzlich heftig zu menscheln.

Reporterin Sophie Bergmann hat nämlich ihren Freund Tom in einer Krisensituation durch einen tragischen Fahrradunfall verloren. Und weil sie mit Toms Tod nicht fertig wird, hat sie sich ein Messiah-Abo besorgt, wodurch ihr sein Weiterleben suggeriert wird. Was als therapeutisches Spiel mit einer erweiterten fiktiven Realität beginnt, wird irgendwann psychotisch und konfligiert mit ihrem Rechercheprojekt über die Firma Cheap Dreams.

Auf akustischer Ebene zerfällt das Hörspiel hier ähnlich wie die Psyche der Hauptfigur, deren dissoziiertes Weltbild auseinanderbricht. Auch das ist ziemlich gut inszeniert. „Cheap Dreams“ ist eine gelungene Komödie, die nicht nur das Genre Mockumentary, sondern auch die kognitiven Dissonanzen ihrer Figuren und ihrer Hörer bespielt. Warum man meint, das Stück am Schluss mit hochdosierter Tragik aufwerten zu müssen, erschließt sich allerdings nicht.

Jochen Meißner, KNA Mediendienst, 22.02.2024

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