Postdemokratisch, postdramatisch
Kathrin Röggla: Lärmkrieg
Bayern 2, So 13.4.2014, 15.00 bis 15.55 Uhr
Im Gegensatz zu Zorn und Wut sei die Empörung eine Ressource, die langfristig wirkt, lässt Hans Magnus Enzensberger in seinem Hörspiel „Herr Zett“ seine gleichnamige Titelfigur sagen. Kathrin Rögglas Theatertext „Der Lärmkrieg“, eine Auftragsproduktion des Schauspiels Leipzig, handelt von der planvollen Vernichtung dieser Ressource. Das Label dafür hat der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch geprägt: Postdemokratie. Damit wird eine Gesellschaftsordnung beschrieben, die, obwohl formal demokratisch organisiert, unter dem Deckmantel des Gemeinwohls die Regierung in die Hände von Technokraten und sogenannten Experten legt, deren Befunde scheinbar keinen ideologischen Hintergrund aufweisen. Politische Kommunikation wird von einer PR-Maschinerie erledigt, die mittels Agenda-Setting zu steuern versucht, worüber überhaupt geredet werden soll.Worüber in Rögglas rund 55-minütigem Hörspiel „Lärmkrieg“ (ohne den bestimmten Artikel der Theatervorlage, die sie in ihrer Zeit als Mainzer Stadtschreiberin 2012 verfasst hat) geredet werden soll, sind die Konsequenzen einer ökonomischen Entscheidung des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport. Die Szenerie ist postdramatisch-analytisch: Der Wald ist gefällt, die dritte Startbahn ist gebaut und in Betrieb; jetzt geht es allein darum, die immer noch demonstrierenden Verlierer zu marginalisieren und sie im Notfall mit Geld abzufinden.
Der Lärm, dem die Anwohner im Zwei-Minuten-Takt ausgesetzt sind, ist eine Belastung, der man sich nicht entziehen kann. Ohren haben keine Lider und selbst wenn das Hirn den Lärm ausblendet, verschwindet er nicht. Denn der Körper hört mit – gerade für tiefe Frequenzen gibt es ein ohrunabhängiges Köperhören. „Fluglärm beginnt im Kopf“, lautet das Argument der Fraport AG, was übersetzt für die Protestierer heißen soll: Stellt euch nicht so an, hört einfach weg. Wer das nicht tut, kann nur ein sogenannter Wutbürger sein, der seine Privilegien schützen will, die angeblich durch den Bau des Flughafens (Arbeitsplätze, Wachstum) erst geschaffen worden sind. Dass ein so definiertes Gemeinwohl immer mit den Interessen der wirtschaftlichen Profiteure zusammenfällt, verwundert in postdemokratischen Zeiten nicht weiter.
Anders als zur Zeit des Neuen Hörspiels, in der man die O-Ton-Reportage als subversives ästhetisches Mittel entdeckte, ist das Problem bei der künstlerischen Auseinandersetzung mit den politischen Verhältnissen, dass heute auch oppositionelle Äußerungen nach den Gesetzen der Medien funktionieren müssen, um überhaupt die Aufmerksamkeitsschwelle zu überschreiten. So ist denn auch eine der stärksten Stellen dieses Hörspiels der Versuch der Betroffenen, für die eigene verzweifelte Situation werbespotartige Bilder zu finden – was die Gegenseite natürlich auch tut. Wo früher die Regierungsbürokraten und Flughafenbetreiber gar nicht erst mit den Betroffenen reden wollten, können die sich heute vor Ortsterminen kaum noch retten, weil dabei ja positive, menschelnde Bilder entstehen.
Kathrin Rögglas Text leidet unter der Aporie, selbst auch Teil eines medialen Verwertungszusammenhangs zu sein, und er weiß das auch. Es gibt kein ästhetisches Mittel, das nicht morgen in einem Werbespot seine Anschlussverwendung finden könnte. Der Gestus der Empörung zum Beispiel ist durch schnell aufbrausende und ebenso schnell verebbende Shitstorms im Internet völlig entwertet worden. Ebenso ist die Emotionalisierung von Opferschicksalen äußerst heikel. Aber auch wenn man sich auf die objektivierende Sprache der Macht einlässt und über alle rhetorischen, technischen, medizinischen und juristischen Stöckchen springt, die einem hingehalten werden, führt das bestenfalls zu Teilerfolgen. Und die hängen manchmal juristisch von so unzuverlässigen Bundesgenossen wie den Totholzkäfern ab – der Rhein-Main-Form des in den Auseinandersetzungen um das schwäbische Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ zu einiger Berühmtheit gelangten Juchtenkäfers.
In Kathrin Rögglas Stück sind die Probleme politischer Kommunikation auch die der ästhetischen. Zwar enthält die Inszenierung von Leopold von Verschuer alle klassischen Elemente der politischen Rhetorik, betrachtet sie aber gewissermaßen durch einen Filter der Uneigentlichkeit. Die Figurenkonstellation wirkt – anders als auf dem Theater, bei dem schon alles gesagt ist, wenn der Schauspieler die Bühne betritt – merkwürdig diffus. Ein anonymer Gast in einem Haus der Lärmopfer, die Parodie eines eitlen Feuilletonisten, ein paar zerstrittene Aktivisten, eine vom Lärm der Flugzeuge und vom Zynismus der Flughafenbetreiber psychisch zerstörte Frau (sehr gut: Dorothee Metz) und eine Fülle von Nebenfiguren bewegen sich durch ein von Bo Wiget komponiertes Setting aus abstrakten, nicht-illustrativen Geräuschen.
Alles, was Potenzial für einen dramatischen Konflikt böte, wird von den Agenten der Postdemokratie systematisch abgewiegelt, kleingeredet und vernebelt. Genau das zeigt das rund 55-minütige Hörspiel, das auf diese Verhältnisse mit einem postdramatischen Text reagiert. Die Frage, welche Handlungsoptionen man in solchen Verhältnissen noch hat (und welche Möglichkeiten ein Hörspiel, das sich als politisches versteht), wird hier gestellt. Eine Antwort darauf gibt es in dem Stück nicht.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 17/2014
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