Neues aus dem unheimlichen Tal
Frank Naumann: Asimovs Erben. Fünf Geschichten zur künstlichen Intelligenz
Folge 1: „Computerina Testversion“, Folge 2: „Die Intelligenz der Violine“, Folge 3: „Die Ordnung der Sicherheit“, Folge 4: „Kinderspiele“, Folge 5: „Das Pferdebild-Dilemma“.
MDR Kultur, Mo 27.01.20 bis Fr 31.01.20, jeweils 9.05 bis 9.30 Uhr
Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, sagt ein Bonmot, das, egal ob es von Mark Twain, Karl Valentin oder Niels Bohr stammt, so nicht mehr ganz stimmt. Nicht nur weil die Zukunft unaufhaltsam näher rückt, sondern auch weil einige Zukünfte inzwischen schon Vergangenheiten geworden sind. HAL 9000 zum Beispiel, der Computer aus Stanley Kubricks Film „2001: Odyssee im Weltraum“ wurde in der Fiktion bereits am 12. Januar 1992 in Betrieb genommen – was damals in der realen Welt heftig gefeiert wurde. Seit dem Filmstart 1968 gehören das glühende Auge des Computers und vor allem seine Stimme (in der deutschen Synchronfassung die von Peter Schiff) zum Inventar dystopischer Science-Fiction-Phantasien.
Für die Zukunft, in der Systeme mit künstlicher Intelligenz (KI) in den Alltag eingreifen, braucht es heutzutage nur wenig prognostische Phantasie, denn diese Zukunft ist bereits da. Frank Naumanns unter dem Obertitel „Asimovs Erben“ auf dem Sendeplatz der „Lesezeit“ im Radioprogramm MDR Kultur gesendeten „fünf Geschichten zur künstlichen Intelligenz“ handeln denn auch in einer nur geringfügig erweiterten Gegenwart. Die Rahmenhandlung der jeweils etwa 25 Minuten langen Episoden spielt in dem Start-up-Unternehmen „Future Mind“, das den ersten menschenähnlichen, sogenannten CARO entworfen hat.
CARO steht für „Care Assistance Robotic Organism“. Dabei handelt es sich um eine Maschine, die zunächst bei der pflegebedürftigen Mutter eines der Unternehmensgründer getestet wird. In den weiteren Episoden der fünfteiligen Hörspielserie versuchen sich die CAROs als Hilfspolizisten, Roboter-Nannys oder Fahrzeuglenker – mit durchaus unterschiedlichem Erfolg. Als Personalchefs jedoch führen sie Bewerbungsgespräche so viel effektiver als ihre menschlichen Vorgänger, dass sie umgehend aus dem Verkehr gezogen werden.
Während sich die Roboter im Alltag mehr oder weniger bewähren, spielt Naumann gleichzeitig auf ironische Weise mit der Science-Fiction-Horrorvorstellung, dass sich die Maschinen selbst reproduzieren. Auch der erste CARO erschafft aus Schrottteilen ein Ebenbild seiner selbst. Aber die sich selbst vervielfältigenden Roboter übernehmen nicht die Weltherrschaft, sondern tun, wozu sie bestimmt sind: Sie schwärmen aus und beseitigen flächendeckend den Pflegenotstand aus mangelhafter Hygiene, mangelhafter Ernährung und mangelhafter Zahnpflege.
Als Ordnungshüter sind die KIs wegen ihrer strengen und wenig situationsangepassten Rechtsauslegung allerdings weniger beliebt. Nur indem man sie in logische Paradoxien treibt, die letztendlich auf die beiden Unvollständigkeitssätze des österreichisch-amerikanischen Mathematikers Kurt Gödel zurückgehen, können sie gestoppt werden. Die Dystopie, das lernen wir hier ganz nebenbei, ist kein Effekt der Maschinisierung, sondern wird von den Menschen verursacht. Nur dass deren gesellschaftsbildende Algorithmen Gesetze genannt werden, die von den Robotern mit Hilfe von Video- und Datenüberwachung gnadenlos exekutiert werden.
Ohne zu versimpeln, erklärt Frank Naumann gerade so viel über die KI-Probleme, wie zum Verständnis der Thematik und Fortgang der Handlung notwendig ist. Dabei erliegt er nur selten der Versuchung, an den Hörer adressierte „Wie-du-weißt-Dialoge“ zu schreiben. So fühlt man sich als Rezipient ernst genommen und nicht wie so oft systematisch unterfordert.
Selbst wenn die CAROs den drei Robotergesetzen gehorchen sollten, die der Science-Fiction-Autor Isaac Asimov in den 1940er Jahren formuliert hat, ist das keine Garantie für die Entwicklung einer menschengerechten Utopie. Denn auch wenn die Roboter den Menschen keine Schäden zufügen, deren Befehle befolgen und sich selbst schützen, wird die Welt dadurch nicht unbedingt besser. Die CAROs sind nämlich in jener wahrnehmungspsychologischen Senke angesiedelt, dem sogenannten „Uncanny Valley“ (dem „unheimlichen Tal“), in dem Roboter umso unheimlicher wirken, je menschenähnlicher sie aussehen und sich verhalten. Peter Schiff war als HAL 9000 die sanfte Stimme dieses Unheimlichen und er hat in Sebastian Blomberg als CARO einen überaus würdigen Nachfolger gefunden.
Regisseur Nikolai von Koslowski und Komponist Ralf Haarmann haben den fünf lose verkoppelten Hörgeschichten über künstliche Intelligenz ein einheitliches Design aus coolen Maschinengeräuschen und einem geisterhaften Gesang gegeben, so dass man sich nach den fünf Folgen am Stück bestens unterhalten und bestens unterrichtet fühlt. Über ein paar Mängel in der Figurenzeichnung – die Charaktere stellen sich bisweilen dümmer und klischeehafter an als nötig – kann man hinweghören, weil die KI-Thematik im Zentrum steht. Aber wenn am Schluss der letzten Folge der Autor einen CARO Karl Marx bewusst falsch zitieren lässt – „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen“ –, dann möchte man das Radio am liebsten anschreien: „… jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Diese verunglückte Schlusspointe reißt einiges wieder ein, was man zuvor über die Funktionsweise selbstlernender KIs verstanden zu haben geglaubt hatte.
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