Mit Helm in der Betriebskantine
Gesche Piening: Wie viele Tage hat das Leben?
Bayern 2, Fr, 02.02.2024, 21.05 bis 21.55 Uhr
DLF Kultur, Mi, 14.02.2024, 22.03 bis 22.53 Uhr
„Sie wusste, was es bedeutet, etwas aufrichtig zu hassen und gleichzeitig unbedingt dazugehören zu wollen“, ist kein Satz, den man gerne in seinem Nachruf hätte. In Gesche Pienings Hörspiel über die Deformationen des Arbeitslebens bekommt man ihn zu hören.
Was bleibt übrig, wenn man alles, was einen langweilt, einfach weglässt, lautet die Ausgangsfrage von Gesche Pienings 50-minütigem Hörspiel „Wie viele Tag hat das Leben?“, das sie auch selbst inszeniert hat. Und die Antwort ist nicht gerade befriedigend. Vielleicht ist es nämlich nur eine ereignislose Einöde, die noch schwerer zu ertragen ist, als die mit Arbeit angefüllte Zeit. Doch so richtig ernst gemeint scheint die Frage gar nicht zu sein, wird sie doch im Konjunktiv gestellt: „Mir ist, als dächte ich darüber nach, was übrig bliebe …“
Ein Raum der Freiheit würde sich wohl nicht öffnen. Wozu auch, wie die nächste Figur auf die ungestellte Frage antwortet: „Ich liebe die Freiheit hinter Zäunen. Ich liebe das Erwartbare, das mich nicht ständig zwingt, mich wieder und wieder neu zu orientieren.“ Eine verständliche Ausweichreaktion. Denn Multioptionalität bedeutet oft nichts als Stress und den Zwang, sich nur um des Neuen willen immer wieder neu zu erfinden – kurzum: eine Zumutung.
Die Welten, durch die sich die insgesamt acht namenlosen Stimmen (Sebastian Brandes, Katrin Filzen, Vincent Glander, Gro Swantja Kohlhof, Michael Kranz, Christian Löber, Natalie Spinell und Edmund Telgenkämper) in Pienings Hörspiel bewegen, sind die der bürokratischen Arbeit. Das Ensemble versteht es dabei, die unterschwellig rhythmisierten Sätze dynamisch und variantenreich zu intonieren.
„Ich bin auf dem Weg ins Büro, ich bin auf dem Weg zu mir“, heißt es in Hermann Kasacks Funkdichtung „Eine Stimme von Tausend“ aus dem Jahr 1932. Dort kann sich die Hauptfigur den Begriff der Freiheit noch als Einsicht in die Notwendigkeit schönreden. Aber mehr als 100 Jahre Angestelltenkultur haben sämtliche Versprechen der Identitätskonstruktion durch Arbeit als pure Ideologie entlarvt.
Was bei den Zurichtungen der Figuren herauskommt, kann man in Gesche Pienings Hörspiel in den vier Nachrufen hören, die das Stück gliedern und die ebenso bitter wie banal klingen. Wer will schon gerne von sich hören „Er liebte es, Dinge nacheinander zu erledigen“ oder mit dem Satz „Wir verändern uns alle auf die gleiche Weise, selbst Hybris schützt dich nicht“ zitiert werden. Und am traurigsten vielleicht: „Sie wusste, was es bedeutet, etwas aufrichtig zu hassen und gleichzeitig unbedingt dazugehören zu wollen, als wäre das das Leben.“
Zwischen die Nachrufe sind Statements und Dialoge, Fußnoten und Einzelsätze, Berichte von kleinen Fluchten und ein etwas unheimlicher Diskurs über Düfte montiert. Weil man nicht atmen kann ohne zu riechen, ist der Geruchssinn das Ziel, wenn es darum geht Atmosphären zu erschaffen oder sie – knapp über der Wahrnehmungsschwelle – auf das Unangenehmste zu manipulieren. Damit ist die Metapher für jenes Verhältnis etabliert, dem man sich nicht entziehen kann.
Es ist das Gas der Arbeitswelt, das trotz seiner unterschiedlichen Zusammensetzungen immer den Geruch der Unausweichlichkeit und Alternativlosigkeit verströmt. Da hilft es auch nichts, wenn alle in der Betriebskantine plötzlich einen Helm tragen. Der Himmel ist ihnen längst auf den Kopf gefallen.
Das Ohr funktioniert ähnlich wie die Nase auch als Frühwarnsystem. Adressiert wird es in Gesche Pienings Hörspiel (wie auch schon in dem als Hörspiel des Monats ausgezeichneten Vorgängerstück „Wes Alltag Antwort gäb“ (Kritik hier) von dem Komponisten und Musiker Michael Emanuel Bauer. Der versetzt mit einem sparsam eingesetzten komplexen Krachakzent das Ohr immer wieder in Alarmbereitschaft. Bauer wechselt von perkussivem Getrommel und entspannten, funky Bassläufen zu Querflöte oder Keyboard, um schließlich das Blubbern jenes Gases in die Gehörgänge einzuleiten, das zu der Erschöpfung führt, unter der die Figuren leiden.
Das Stück endet mit der Stimme, die sich zu Beginn gegen die Zumutung der Erneuerung gewehrt hatte, und die nun die totalitäre Kraft des Beharrens illustriert: „Kontrolle ist ein zuverlässiges Mehraugenprinzip, nichts anderes. Kontrolle schafft Sicherheit. Ich liebe es, mich kontrollieren zu lassen. Ich fordere es sogar ein, wenn es nicht von selbst geschieht.“ Man möchte gar nicht wissen, in welchem Mief dieser Mensch sein Arbeitsleben verbracht hat. Im Kontrast dazu ist es umso erfreulicher, wie dynamisch die Autorin und Regisseurin Gesche Piening von dieser statischen Welt erzählen kann.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 01.02.2024
Hier die Kritik von Eva-Maria Lenz im epd medien.
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