Laudatio zum Hörspiel des Jahres 2012 „Orphée mécanique“ von Felix Kubin

Meine Damen und Herren,

ich beginne mit ein paar Worten in eigener Sache. Vor zehn Jahren hatte ich schon einmal das Vergnügen hier zu stehen. Damals war die Funkkorrespondenz, die seit mittlerweile 60 Jahren das Referenzorgan für Hörspielkritik ist, in ihrer schieren Existenz bedroht. Es herrschte eine Zeitungskrise, denn nach Zusammenbruch des Neuen Marktes, waren die Werbeeinnahmen zurückgegangen und die FAZ stellte ihr hochgelobtes Radiotagebuch quasi ein. Eine Dramaturgin meinte damals: „Dann sind wir bald ja wieder auf Hörerbriefe angewiesen.“ Heute, zehn Jahre später hat sich die Situation nicht sehr verändert. Es ist schon wieder (oder noch immer) Zeitungskrise. Für das Radio oder dessen ureigene Kunstformen Hörspiel und Feature ist auf den Medienseiten genauso wenig Platz wie damals – eher noch weniger, weil Medienseiten (oder Zeitungen) schon mal ganz eingestellt werden.

Natürlich gab es auch schon 2002 dieses Internet, aber ohne Twitter und Facebook und WordPress und ohne die reichhaltige Blogosphäre von heute. Auf Anregung von Berit Schuck haben wir das Juryblog zu Hörspiel des Monats aufgesetzt, um uns gegen die flächendeckende Ignoranz der Printmedien zu wehren und uns unser Publikum selbst zu suchen. Das Juryblog war unser Geschenk an die Akademie und die Hörspielszene. In den gut 8 Monaten seines Bestehens hatten wir mehr als 12.000 Zugriffe zu verzeichnen. Wir haben zwar keine Vergleichszahlen halten das aber für viel und vor allem einen Beleg dafür, dass es einen Bedarf an qualifizierter Berichterstattung über das Hörspiel gibt. Und auch wenn das Blog zunächst eingefroren wird, bis eine künftige Jury sich entscheidet es wiederzubeleben, wird die Reflexion der Gattung auf www.hoerspielkritik.de weitergehen, wo das Juryblog 2012 auch gespiegelt wird.

Felix Kubin. Foto: ARD-Fotogalerie

Nun darf ich Ihnen den Autor, Regisseur und Komponisten des Hörspiels des Jahres 2012 vorstellen, Felix Kubin. Felix Kubin, Jahrgang 1969 ist als Musiker zum Hörspiel gekommen. Wie Sie gleich feststellen werden ist dem preisgekrönten Hörspiel „Orphée Mécanique“ anzuhören, dass der Autor seine musikalische Sozialisation in den Zeiten der Neuen Deutschen Welle erfahren hat.

In seinem ersten Hörspiel aus dem Jahr 2001 reiste Kubin als Botschafter des „Syndikats für Gegenlärm“, so der Titel, um die Welt um Tondokument der Agenten des Syndikats entgegenzunehmen während „kybernetische Ohrenkneifer in den Gehörgängen herumwürmelten“ und die Synapsen neu verdrahteten. Und was ist akustische Kunst, wenn sie gut ist, anderes als die Neuverdrahtung von Hirnarealen, nach der man die Welt mit anderen Ohren hört.

In einem weiteren Stück, dem chorisch angelegten „Wiederhole 1-8“ aus dem Jahr 2008 benutzte Kubin die Bedienungsanleitungen für Telekommunikationsgeräte, deren „Imperative des Funktionierens“ oft zu „Manifesten der Dysfunktionalität“ wurden. Von der Instruktion über die De-Instruktion zur Destruktion. Auch in diesem Stück wird ein Gehirn neu zusammengesetzt – wenn auch nur ein Modell.

Schmalfilm-, Tonband-, und Diafreunde werden sich an die Schallplatten erinnern, die ihnen früher zur Nachvertonung ihrer Werke dienten. Im „Säugling, Duschkopf, Damenschritte“ aus dem Jahr 2010 arbeitete Kubin mit diesen auf ihre Funktion reduzierten Klängen und pflegte dabei einen sehr ironischen Umgang mit der Semantik die mal Geräuschen zuschreibt – ein Spiel mit der Differenz von Bezeichnung und Bedeutung. Kubins Arbeiten merkt man ein genaues Gehör für die Zwischentöne von Geräuschen und von Texten an, und einen humorvollen Blick auf ihre Widersprüchlichkeiten.

Als wir „Orphée Mécanique“ im März zum Hörspiel des Monats gewählt hatte, haben wir uns schon heimlich gewünscht: wenn das Hörspiel des Jahres wird, dann wollen wir das live. Aber zum einen war der Vorlauf für diese Veranstaltung zu kurz, zum anderen sind uns die die ARD-Hörspieltage zuvorgekommen und haben das Stück im Medientheater des Karlsruher ZKM aufführen lassen. Mit Felix Kubin an der Elektronik, Steve Heather am Schlagzeug und Lars Rudolph an Stimme und Trompete. Neben mir saß da ein älteres Pärchen, weit über 60, und meinte zu wissen, was es erwartete: Orpheus und Euridike halt, ein klassischer Stoff in neuer Bearbeitung. Das haben sie dann auch bekommen – und sie waren ganz zufrieden. Vielleicht nicht immer mit der Lautstärke, aber wahrscheinlich ist, dass sie ihre musikalische Sozialisation eher mit Beatles und Stones als mit Rudi Schuricke erlebt haben.

Was auch sie gleich hier hören werden ist nicht die übliche Literaturbearbeitung, wie sie im Tagesgeschäft der Hörspielabteilungen langweilen. Eine Herleitung des Stoffes vom antiken Mythos über Jacques Offenbach bis Felix Kubin erspare ich ihnen – da wäre Berit Schuck sowieso kompetenter als ich – aber erwähnen möchte ich, das „Orphée Mécanique“ auf dem Hörspiel „Orpheus’ Psykotron“ basiert, das Felix Kubin 2006 für den Bayerischen Rundfunk gemacht hat. Und weil man nur hört, was man weiß, verrate ich Ihnen noch, dass eine weitere Vorlage Dino Buzzatis Popart-Comic „Orphi und Eura“ von 1968 ist.

Orpheus, der Sohn eines Erfinders und einer Sängerin spielt auf einem sogenannten Psykotron. Einem würfelförmigen Instrument mit zwei Sensorantennen, das Orpheus’ Gedankenströme unmittelbar in Musik, Geräusche und Sprache verwandelt. „In beiden Hörspielen leiht der Schauspieler, Sänger und Trompeter Lars Rudolph dem Psykotron Hirn und Stimme. Die Songs, die er performt, sind von so mitreißender Skurrilität, als hätte der Diskurspop Hamburger Schule ein Bad in den elektronisch plinkernden Gewässern der „Genialen Dilletanten“ der Neuen Deutschen Welle genommen und seine Freude am Endreim wiederentdeckt: ‚Männer, Frauen, Kinder / detonieren leise / es wird nicht viel Lärm gemacht / im Kaiserreich der Greiseʻ“. Das war jetzt ein Plagiat, diese Sätze habe ich nach der ersten Begeisterung für das Stück in der Funkkorrespondenz geschrieben. Und wenn wir schon mal dabei sind, zitiere ich gleich noch einen Satz aus unsere Jurybegründung zum Hörspiel des Monats März: „Das Psykotron – ein Instrument, das Orpheus’ Hirnströme direkt in Töne verwandelt – erzeugt eine Kunstform die ohne das Radio nicht denkbar wäre: den ‚Hitʻ.“ Und Hörspiele aus denen man Hitsingles auskoppeln kann, gibt es nicht so häufig. Ich zitiere das aus zwei Gründen, zum einen, weil der Subtext des Hörspiels von der ewigen Wiederholung handelt und zum zweiten, weil eine Redakteurin mich angemailt hatte, dass in unserer Jurybegründung zum Hörspiel des Jahres nun gar kein zitierfähiger Satz drin wäre – und da hatte sie recht. Das kommt schon mal vor, wenn man möglichst präzise und nicht unterkomplex formulieren will.

Christoph Buggert hat uns angewiesen nicht zuviel von dem Hörspiel zu verraten, was Sie gleich hören werden, aber ein zwei Hinweise möchte ich mir noch erlauben. Sie werden Traugott Buhre in der Rolle des Wächters der Hölle aus dem Vorgängerhörspiel „Orpheus’ Psykotron“ hören. Hier ist seine Figur nur noch eine Tonbandstimme aus dem Reich der Schatten, denn Traugott Buhre ist 2009 verstorben. Ein Einbruch des Realen in das Spiel. Jetzt ist er ein mechanisches Konstrukt, wie Orpheus selbst ein gedächtnisloser Apparat am Rande der Ewigkeit ist, ein Platte, die immer wieder zum Anfang zurückspringt und zwischen Melancholie und den traumhaften Medienwelten der Liebe oszilliert. Sie sind das Primäre. Die Realität ist lediglich das, was übrigbleibt.

„Orphée Mécanique“ ist also keine kulturradiokompatible Literaturbearbeitung, sondern eine Fortschreibung des Mythos, die sie der gegenwärtigen medialen Verfasstheit der Welt bewusst ist. „Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man singen“, den Urheber dieses Satzes können Sie sich nach ihrer persönlichen Vorliebe aussuchen: zur Wahl stehen M.A. Numminen, Alexander Kluge oder Wolfgang Müller. Ich schließe mit einem Satz, den Rafik Will zu unserer Jurybegründung beigesteuert hat: „Wenn schon alles Sagbare gesagt ist, muss das Denkbare vertont werden.“

Herzlichen Glückwunsch, Felix Kubin.

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