In Code onduliert
Ulrike Janssen / Marc Matter: Meerschallschwamm und Schweigefang
Deutschlandfunk Kultur, Fr 16.11.18, 0.05 bis 0.50 Uhr
Zur Geschichte der Medien gehört immer auch die Geschichte der Apparate, mit denen sie produziert werden. So gehören zur Geschichte des Radios stets auch die Aufzeichnungsmedien: von den Phonographenwalzen über die Wachs- oder Schellackplatten bis hin zu den Magnetbändern und digitalen Speichermedien. Die Hörspiel- und Feature-Autorin Ulrike Janssen und der Klangkünstler Marc Matter, betreiben in ihrem Stück „Meerschallschwamm und Schweigefang“ eine fiktive Geschichtsschreibung der Schallaufzeichnung anhand nicht weniger fiktiver Aufzeichnungs- und Wiedergabegeräte. Bei dem Stück handelt es sich aber nicht um ein gefaketes Feature, sondern um ein Werk für den Klangkunstsendeplatz von Deutschlandfunk Kultur – auch wenn dafür sehr viel Sprache „in Code onduliert“ worden ist.
Inspiriert wurde das Stück von einem Aufsatz „A History Of Recorded Sound“ des britischen Komponisten Hugh Davies (1943-2005) aus dem Jahr 1977. Davies zeichnet dort tabellarisch die Geschichte der Tonaufzeichnung seit dem ersten vorchristlichen Jahrtausend nach – inklusive einer Rubrik für „Legends and Literature“, in der vor allem imaginierte Technologien vorkommen. In der Nachfolge von Davies haben Ulrike Janssen und Marc Matter einzelne ihrer ‚Apparate‘ abgeleitet und weitere nach einer ähnlichen Logik dazu erfunden.
Die „Schallgewunder“ die von verschiedenen „Verschollmaschinen“ aufgezeichnet wurden, werden – so die erzählerische Rahmung – von einem nicht immer fehlerfrei funktionierenden Audioguide eines zerstörten Museums, dem „Schallaufzeichnungsaufbewahr“, vermittelt. Ulrike Janssen, Trägerin der Karl-Sczuka-Förderpreises 2011 für das Stück „vogelherdrecherche“ nach dem Gedichtzyklus von Thomas Kling und Marc Matter, als Mitbegründer des „Institut für Feinmotorik“ ebenfalls 2011 Sczuka-Preisträger (für „Die 50 Skulpturen des Institut für Feinmotorik“) haben sich für ihr erstes gemeinsames Stück eine eigene Sprache ausgedacht, die weitgehend auf Endsilben verzichtet und deren Grammatik über gewisse Eigenheiten verfügt.
Was man dabei über das in „Ton und Kling und Sprech“ fixierte „terrestrisch Wissen“ erfährt, ist von hohem Reiz. Denn während man sich bemüht, den sprachlichen Verrenkungen des Audioguides zu folgen, wird die Funktionsweise beispielsweise eines „Türsprechbambusspitz“ erklärt. Der besteht aus einer Bambusspitze, die wie eine Schallplattennadel durch eine Rille fährt und das Türblatt als Lautsprecher benutzt. So erklingt bei jedem Öffnen und Schließen einer Tür ein kurzer Satz, mal vorwärts, mal rückwärts abgespielt: „Mal los : So la(h)m“ – ein akustisches Palindrom. Für den Hörer ergibt sich ein doppelter Lustgewinn: Man hat erstens erfolgreich die Sprache des Audioguides dekodiert und zweitens die Funktionsweise des Schallaufzeichnungs- und Wiedergabegeräts verstanden. Obendrein gibt es dann noch ein „Beispielhör“ des so erzeugten Sounds, der die durch die Beschreibungen der Apparatur erzeugten Erwartungen erfüllt oder enttäuscht. Eben diese Brechung ist eines der Kennzeichen des Komischen, das in diesem Stück den lust- und humorvollen Umgang mit dem Material ausmacht und den oft schwer konzeptuellen Klangkunstdiskursen eine große Leichtigkeit verleiht.
Kaum zu überschätzen ist dabei die Leistung der Sprecherin Susanne Reuter, die sich in der Rolle des Audioguides den Herausforderungen der Kunstsprache gestellt hat. Auch die Stimme könnte man für eine künstlich generierte halten, fehlt ihr doch jeder Atem. Nicht alle der vorgestellten Apparate sind so einfach wie der „Türsprechbambusspitz“. Für den „Schallwellknot“ braucht man beispielweise eine „Schallrückwickelkurbel“ und einen „Phonseparator“, um die aufgezeichneten Töne wiederherzustellen. Dass Schallereignisse auch eingefroren werden können, hatte schon François Rabelais im 16. Jahrhundert in seinem Werk „Gargantua und Pantagruel“ beschrieben, Janssen und Matter haben dafür einen „Schallfrierapparat“ erfunden. Wozu die ganzen Vorrichtungen dienen? Als „bewunderswert Erinnerhelf und zu Nutz für Spiel und Spionier“. Manchmal ist man sich aber über den Sinn und Zweck auch nicht sicher. Zum „Kopfkryptographen“ heißt es lapidar: „Nutz unklar“.
Beim Hörspiel „Meerschallschwamm und Schweigefang“ handelt es sich aber nicht nur um eine anekdotische Aneinanderreihung von skurrilen Apparaturen (zu denen auch die im Titel genannten gehören), sondern um eine Klangkunstkomposition, die eine Vielfalt an Techniken der digitalen und analogen Klangmanipulation versammelt. Man erlebt deren Funktionsweise beispielsweise mit dem „Sprechklingemulgator“ auch selbstreflexiv und selbstreferentiell, sozusagen im Vollzug: Der Apparat verrührt in einem „Röhrgefäß“ Sprache und Klänge, pardon: „Sprech und Kling“, zu einer Emulsion. Wie in einer Zeichnung des holländischen Grafikers M.C. Escher springt bei alldem die Wahrnehmung immer wieder zwischen Vorder- oder Hintergrund hin und her und man kann sich nie ganz sicher sein, ob man sich auf akustischer Ebene nicht in einer jener unmöglichen geometrischen Strukturen à la Escher verfangen hat. Am Ende des knapp 45-minütigen Hörspiels wird aus dem Essay „ Der Lärm – Eine Kampfschrift gegen die Geräusche unseres Lebens“ von Theodor Lessing aus dem Jahr 1908 zitiert: „Wenn man einem Geräusche glücklich entkommen ist, gerät man mit Sicherheit in das andere hinein.“ So gerne hat man sich selten in einem Klangkunstwerk verlaufen.
Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 23/2018 (erweiterte Fassung)
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