Hörspiel des Monats Juni 2012
Domino
von Christoph Buggert
Regie: Walter Adler
Redaktion: Thomas Fritz
Produktion: MDR 2012
Erstsendung: 11.06.2012, MDR Figaro
Länge: 52:46
Begründung der Jury
„Domino” von Christoph Buggert ist ein zeitgemäßes Originalhörspiel. Die Erzählstruktur ist raffiniert einfach. Es ist gesellschaftskritisch ohne zu kommentieren und dem Autor gelingt die vielschichtige und differenzierte Darstellung gegenwärtiger Machtverhältnisse, die sich hier sowohl in physischer als auch in institutioneller Gewalt äußern.
Drei Jugendliche aus dem ehemaligen Jugoslawien vergehen sich an einem Auto, in dem Pit mit seiner Freundin, der Abiturientin Utz, sitzt. Pit, der Sohn des Justizministers im Landtagswahlkampf, reagiert über und verletzt einen der drei. Anschließend vergewaltigt er Utz, die ihn bei beiden Straftaten deckt. Deren Vater, Sozialkundelehrer an einem Gymnasium, arbeitet gerade an einem pessimistischen Drei-Stufen-Modell, das nachbilden soll, nach welchem Muster öffentliche Sauereien unter den Teppich gekehrt werden. Das Schicksal seiner Tochter nutzt er, sein Modell empirisch zu überprüfen. Die experimentelle Erpressung des Justizminister-Vaters verläuft dann im Ergebnis auch nach dem prognostizierten Verfahren – wenn auch auf anderen Wegen als gedacht.
Aus 72 einzelnen Statements von 23 Sprechern, aufeinander bezogen nach den Regeln des klassischen Dominospiels, setzt sich die Geschichte von Pit, Utz und den Figuren um sie herum zusammen. Die Handlung entsteht aus den Erzählungen der Beteiligten, ohne dass es direkter Dialoge bedarf. Im Verlauf des Hörspiels überlagert ein zweiter Eindruck die Logik des Legespiels: der sogenannte „Domino-Effekt”. Aus der scheinbaren Linearität von Ursache und Wirkung ergeben sich komplexe Muster. Die einzelnen „Hör-Spielsteine” als Ursache- und Wirkungselemente ergeben eine (letztendlich verhängnisvolle) Kettenreaktion.
Das Schreiben und die Produktion eines Hörspiels ist nur die eine Seite eines Werks. Die andere Seite, so Buggert in seiner Dankesrede zum Hörspielpreis der Kriegsblinden 1978, bildet das „Mitfühlen – Miterleben – Mitdenken – Mitphantasieren im Bewusstsein der Hörer”. Walter Adlers Inszenierung von „Domino” als reines Sprechstück setzt diesen Anspruch stimmig um.
Das Hörspiel wird am Dienstag, den 4. September 2012 um 20.10 Uhr im Deutschlandfunk (DLF) in einer gekürzten Version wiederholt.
Die Nominierungen
BR | 17.06.12 | Leonora Carrington / Ulrike Haage: Alle Vögel fliegen hoch, alle Schafe fliegen hoch, alle Engel fliegen hoch | 52:38 |
DRadio | 18.06.12 | Jörg Graser: Kreuzeder und der Tote im Wald | 56:20 |
HR | 03.+10.06.12 | Merriwether Lewis / William Clark: Indianerland. Die Lewis & Clark-Expedition 1804-1806 (2-teilige Bearbeitung von Friedhelm Rathjen) | 171:58 |
MDR | 11.06.12 | Christoph Buggert: Domino | 52:46 |
NDR | 13.06.12 | Hisham Matar: Geschichte eines Verschwindens | 61:16 |
RB | keine Ursendung | ||
RBB | 15.06.12 | James Joyce / Grace Yoon: Anna Livia Plurabelle | 54:34 |
SR | keine Ursendung | ||
SWR | 16.06.12 | James Joyce: Ulysses, 18-teilige Bearbeitung: Klaus Buhlert | 22 h |
WDR | 14.06.12 | Jens Rachut: Schwesternmilch | 53:30 |
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