Hör!Spiel! 6.3.-16.3.2022 Alte Schmiede, Wien

Hör!Spiel! 2022 Alte Schmiede, Wien»Wie hypnotisiert hielt ich mein Rohr ans Ohr«, sagt die 92-jährige, schwerhörige Protagonistin in Leonora Carringtons Das Hörrohr, als sie mit einer Stimme Bekanntschaft macht. Beim Hör!Spiel! füllt sich das Hörrohr wieder mit Stimmen, Geräuschen und Klängen. Leonora Carrington kann man bei Lisa Spalt begegnen.
Am Beginn steht die Hörspielpoesie Friederike Mayröckers und die Stimme der Dichterin, wie sie darin aufbewahrt ist (6.3. & 7.3.).
Lisa Spalts Institut für poetische Alltagsverbesserung expandiert via Live-Hörspiel in den Äther (10.3.). Die zweite Woche zeigt die Bandbreite akustischer Poesie von der exakten Sprachpartitur bis zur freien Lautgeste: Das Trio sprechbohrer konzertiert und stellt mit Florian Neuner das Projekt »Autorenmusik« (14.3.) vor; die Dichterin und Stimmkünstlerin Katalin Ladik performt ihre akustische Poesie, die sie seit Ende der 1960er Jahre entwickelt (16.3.).

Annalena Stabauer
Konzept, Moderation, Programmtexte

Hinweis: Die Veranstaltungen vom 6., 10. und 16.3. können aus unterschiedlichen Gründen nicht gestreamt werden.

Sonntag, 6.3. und Montag, 7.3.2022

Das zu Sehende, das zu Hörende. Friederike Mayröcker und das Hörspiel

Friederike Mayröcker (1924–2021) hat rund dreißig Hörspiele geschrieben: Den Gemeinschaftsarbeiten mit Ernst Jandl (Fünf Mann Menschen) folgt in den 1970er Jahren eine veritable Serie von – bis heute nicht vollzählig realisierten – Hörspieltexten, die intensiv aus den radiophonen Gestaltungsmitteln (Stereophonie, Montage) schöpfen. In den 80er und 90er Jahren tritt die Technik zugunsten der Sprachbewegungen in den Hintergrund und die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Klaus Schöning beginnt, die für das weitere Hörspielschaffen prägend bleibt. Die Texte nähern sich mehr und mehr der Prosa an und münden schließlich in Monologen, die Friederike Mayröcker selbst spricht.
Neben der Frage, wie die Präsenz der Dichterinnenstimme die Hörspiele verändert, werden etwa Bezüge zur bildenden Kunst und die Bildhaftigkeit der Mayröcker’schen Sprache selbst Thema sein – so wie eines ihrer Hörspiele betitelt ist: Das zu Sehende, das zu Hörende. Ein Porträt mit Beiträgen zu einzelnen Hörspielen, einem eigens produzierten Hörstück und einem Gespräch mit Hörspielpartner*innen von Friederike Mayröcker. Die Vorführungen am Sonntag korrespondieren mit dem Programm vom 7.3.

Michael Hammerschmid, *1972, Dichter und Autor von u.a. Liedern, Hörspielen und Essays; Festivalleiter, Lehrbeauftragter am Institut für Gesang und Musiktheater an der MDW. Zuletzt: wer als erster. Gedichte-Bilderbuch (2022).
Bodo Hell
, *1943, lebt in Wien und am Dachstein. Prosa, Theater, Schrift im öffentlichen Raum, Text-Musik-Performances – jüngst u.a.: ÖTZI 1991991 (2019); Hörstücke mit F. Mayröcker: vom Umarmen des Komponisten auf dem offenen Soffa (Soundinstallation, TONSPUR_passage/Museumsquartier, 2010); Landschaft mit Verstoßung (Klangbuch und CD, 2014).
Frieda Paris, *1986 in Ulm, aktuell im Masterstudium Sprachkunst, schreibt Lyrik, Hörspiele und Erzählungen. Zuletzt: Dorn, Stäbe, Bügel in 28. open mike (Allitera Verlag, 2020).
Judith Nika Pfeifer, *1975 in OÖ, veröffentlicht Lyrik, Prosa, szenische Texte; radiofone und performative Arbeiten, transmediale Kunstprojekte. Zuletzt erschien: nokzident. manual for poetic r/evolutionaries (2022).
Renate Pittroff, *1963; akustische Kunst, experimentelles Theater, Medienkunst, Social Sculpture; Projekt und Galerie wechselstrom mit Christoph Theiler. Hörspielregie zuletzt u.a.: Das Institut. Text: Lisa Spalt (ORF 2018).
Nadja Schöning, *1975, Medienkünstlerin, Komponistin, Regisseurin, Autorin. Hörspiel und Radiokunst, mehrmals in direkter Zusammenarbeit mit F. Mayröcker. Ihre intermedialen Arbeiten basieren vorwiegend auf genreübergreifenden und wahrnehmungsästhetischen Wechselwirkungen.

Sonntag, 6.3.2022

// Vorspiel Friederike Mayröcker

14.00 arie auf tönernen füszen
Regie: Heinz von Cramer. WDR 1970, 46 Min.

15.00 Die Umarmung, nach Picasso
Regie: Klaus Schöning. WDR 1986, 48 Min.

16.00 Dein Wort ist meines Fuszes Leuchte oder Lied der Trennung
Regie: Renate Pittroff, ORF/WDR/BR 1999, 27 Min.
Das Couvert der Vögel
Regie: Klaus Schöning. WDR 2001, 35 Min.

17.15 Sinclair Sofokles, der Baby-Saurier
Bearbeitung, Regie, Klangkomposition: Nadja Schöning. hr 2009, 21 Min.
Gärten, Schnäbel, ein Mirakel, ein Monolog, ein Hörspiel
Regie: Klaus Schöning. Komposition: Nadja Schöning. ORF/SWR 2008, 45 Min.

18.30 Friederike Mayröcker & Bodo Hell: Landschaft mit Verstoßung
Ein dreifaltiges Hörstück. Regie: Bodo Hell. Tongestaltung: Martin Leitner. ORF 2013, 44 Min.

Montag, 7.3.22

// Porträt Friederike Mayröcker
https://www.youtube.com/watch?v=b_QPs3hyOuY
18.30
Michael Hammerschmid, Frieda Paris, Judith Nika Pfeifer hören Friederike Mayröcker
Beiträge mit akustischen Zitaten

20.00 Uhr
Schlaf wie das Licht von Blumen in Krügen . . oder ein Waldklang
Friederike Mayröcker – Transformation ins Akustische
Ein Hörstück von und mit Nadja Schöning
Text, Klangkomposition, Realisation, Produktion: Nadja Schöning, 2022, 16 Min.

Bodo Hell und Renate Pittroff im Gespräch
Gesprächsmoderation, Einführung: Michael Hammerschmid, Annalena Stabauer

Donnerstag, 10.3.22

19.00 Uhr
Auf der Welle von Frau Stöhr.
Fiktives Hörspiel von Lisa Spalt
Konzept, Text, Performance
Sabine Marte & Oliver Stotz
Konzept, Musik, Licht, Performance

Lisa Spalts Institut für poetische Alltagsverbesserung (IPA) tritt an, um die Fiktionalisierung von Welt durch Demagog*innen wie Donald Trump mit erhellenden Löchern zu versehen. Totalitätsansprüchen begegnet das IPA mit gemeinschaftlich produzierten Fiktionen, die sich selbst unterwandern. Nachdem sich das Institut mit schönen wie nützlichen, hintersinnigen und gewitzten Geschichten, Aktionen und Alltagsaccessoires hervorgetan hat, ist es an der Zeit für ein fiktives Hörspiel. Die feste Institutsmitarbeiterin Lisa Spalt dazu:

»Ein fiktives Hörspiel müsste eine Verkehrung des bloß Hörbaren sein, etwas vielleicht, das sich im Gegensatz zum ›realen Hörspiel‹ anmaßt, mit der Vision zu schäkern. Wir machen, um das rein Erklingende nur zu simulieren, erst einmal finster und skizzieren ins Flache des Nichtssehens Räume, die den der Schmiede konterkarieren, um ihm hoffentlich die Verankerung im Boden zu klauen. Klänge und Stimmen bringen in einer Welt von Linien ein Umspielen des Körpers in Gang, der jene – oder doch nicht? – erzeugt. Performt wird von einer Band, deren Existenz nicht bewiesen ist. Radio wird als fast noch Script, das erst in Teilen umgesetzt ist, Projektion eines Geistes. Das Ziel: am Zügel des übermütig aufgeworfenen Begriffs eines fiktiven Hörspiels seine unmögliche Realität in die Gehirne zu lügen.«

Sabine Marte, *1967, arbeitet medienübergreifend in den Bereichen Videokunst, Zeichnung, Musik und Performance. Mitbegründerin der Bands Pendler und SV Damenkraft.
Lisa Spalt, *1970, lebt in Linz. (Gemeinschafts-)Arbeiten zum Handeln in Sprache, Bildern und Objekten, u.a. mit Georg Bernsteiner, Clemens Gadenstätter, Pendler, Otto Saxinger. Jüngstes Buch: Das Institut (2019).
Oliver Stotz, *1971, Musiker, Komponist, Programmierer, Ton- und Videotechnik. Bands, u.a. Pendler, Gustav & Band; Arbeiten im Bereich Musik, Theater und Film, u.a. mit Helene Weinzierl, Jan Machacek, Dieb13.

Montag, 14.3.22

Autorenmusik
https://www.youtube.com/watch?v=CgpbARIXfp4
19.00 Uhr
// Konzert
sprechbohrer (Harald Muenz, Georg Sachse, Sigrid Sachse)
phonetische Stimmen
Sprachpartituren/Texte von Helmut Heißenbüttel, Elfriede Czurda, Elisabeth Wandeler-Deck, Florian Neuner, Karin Spielhofer, Barbara Köhler
Einführung: Florian Neuner

20.30 Uhr
// Gespräch
Harald Muenz, Florian Neuner, Karin Spielhofer
über Sprachkompositionen

Wenige Autor*innen haben sich in der exakten Verschriftung akustischer Poesie versucht. Weder Kurt Schwitters Sonate in Urlauten noch Ernst Jandls ode auf N – um zwei sehr bekannte Beispiele zu nennen – existieren als Partituren, und selbst Gerhard Rühm, studierter Komponist, hat seine auditive Poesie nur teilweise phonetisch-rhythmisch fixiert. Für den Fortbestand, die Verbreitung und eine lebendige Auseinandersetzung mit akustischer Poesie unabhängig von der Präsenz ihrer Autor*innen ist die Frage der Reproduzierbarkeit bzw. Interpretierbarkeit nicht unwesentlich.
Das Trio sprechbohrer hat sich 2004 in Köln gegründet, um zur Aufführungspraxis von Werken an der Schnittstelle von Sprache und Musik beizutragen. Bisheriger Markstein war die Uraufführung von Hans G. Helms abendfüllender Sprachkomposition Fa:m‘ Ahniesgwow von 1959 (CD, 2011).
Gemeinsam mit Florian Neuner wurde 2016 das Projekt »Autorenmusik« initiiert, das Autor*innen und Komponist*innen einlädt, für das Trio zu schreiben und in engem Austausch mit dem Ensemble exakte Sprachnotationen zu erarbeiten. Das Konzert stellt aus dem Projekt hervorgegangene Stücke vor. Das anschließende Gespräch widmet sich auch dem Spannungsfeld, das sich zwischen schriftlicher Normierung/Notation und prozessorientierten Konzepten entfaltet, wie sie auf dem Gebiet akustischer Poesie vielfach entwickelt wurden.

Harald Muenz, *1965, studierte Komposition u.a. bei Helmut Lachenmann. Instrumental-, Vokal- und radiophone Werke, transdisziplinärer Künstler und Performer; Lehraufträge in Köln und London.
Florian Neuner, *1972. Autor, Zeitschriftenherausgeber, Kurator. Texte zur Literatur und zur Neuen Musik. Hg. mit Harald Muenz: Autorenmusik. Erkundungen im Zwischenreich von Sprache und Musik (Buch u. CD, 2019).
Georg Sachse, *1962, dissertierte im Fach Phonetik; Musiker in diversen, auch populärmusikalischen Formationen, Lehrbeauftragter für Phonetik in Köln.
Sigrid Sachse, *1968, studierte u.a. Klavier, konzertiert heute solistisch und kammermusikalisch sowie im experimentellen Duo Kaiku (mit Georg Sachse).
Karin Spielhofer, *1942; Prosa, radiophone Arbeiten, akustische Poesie in multimedialen Projekten u.a. mit Komponistinnen, derzeit mit dem Ensemble Einfache Einfahrt.

Mittwoch, 16.3.22

Körpersprachen

18.00 Uhr
// Performance & Gespräch
Katalin Ladik
akustische Poesie
zweisprachige Veranstaltung ungarisch/deutsch
Dolmetsch: Pál Deréky

Sie leite mit ihrer Stimme ein ganzes »verbophonisches« Orchester, befand Henri Chopin 1979. Katalin Ladik ist in ihrer akustischen Poesie als Lyrikerin, Autorin visueller Poesie, als Musikerin, Stimm- und Performancekünstlerin zugleich präsent. Das Bedürfnis, Dichtung medial zu erweitern, die experimentelle Beschäftigung mit Volksmythen, -riten, -musik und das Bestreben nach Aneignung des weiblichen Körpers als künstlerisches Ausdrucksmedium überführte Ladik in den 70er Jahren in feministische, rituell anmutende Poesie-Performances. Als Angehörige der ungarischsprachigen Minderheit und als künstlerisch tätige Frau kam ihr im damaligen Jugoslawien zweifach eine gesellschaftliche Randposition zu.
Um Lautdichtung als Universalsprache, das Verhältnis von Komposition und Improvisation und den Einsatz des Körpers auf der Bühne wird es im Gespräch gehen. Zudem werden Beispiele ihrer collagierten abstrakten Partituren zu sehen sein.

Katalin Ladik, *1942 in Novi Sad, emigrierte 1992 nach Ungarn, lebt heute in Budapest, Novi Sad und auf Hvar (Kroatien). Ab 1962 Autorin der Zeitschrift Új Symposion (hg. u.a. von László Végel), 1969 erster Gedichtband, Beginn medienübergreifender Performances. Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Musikethnologen Ernő Király, mit Künstlern wie Attila Csernik, Auftritte mit den Experimentalmusikgruppen Acezantez und Spiritus Noister. Teilnahme an der documenta 14 (2017).

 

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