Große Tragödie als lumpige Farce
Die drei Finalisten des 65. Hörspielpreises der Kriegsblinden
„Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist ihre Komödie“, ein Bonmot von Karl Marx hat Andreas Ammer als Motto seinem Hörspiel „The King is Gone. Des Bayernkönigs Revolutionstage“ vorangestellt Zusammen mit den Brüdern Micha und Markus Acher hat er das Stück für den Bayerischen Rundfunk (BR) realisiert und damit den Publikumspreis ARD Online Award 2015 gewonnen. Jetzt ist das Hörspiel eines von drei Finalisten für den 65. Hörspielpreis der Kriegsblinden. Eine 15-Köpfige Jury, die sich aus Vertretern des Bundes der Kriegsblinden und von der Film- und Medienstiftung NRW bestimmen Fachkritikern zusammengesetzt, hat aus den Einreichungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz außerdem „Und jetzt: Die Welt! Oder: Es sagt mir nichts das sogenannte Draußen“ von Sibylle Berg und Marina Frenk nominiert – eine Produktion des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) in der Regie von Stefan Kanis. Dritter Finalist ist „Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz, eine Produktion des Südwestrundfunks (SWR) in der Regie von Leonhard Koppelmann. Auf alle drei Stücke trifft das Marx-Zitat zu, wenn man nur den Begriff der Gestalt etwas abstrakter fasst.
Ammer 57-minütiges Komödie, die auf einem Kolportageheftchen des weithin unbekannten Autors Josef Benno Sailer aus dem Jahr 1919 basiert, schildert die Abdankung von Ludwig III., dem letzten bayerischen König in den Wirren der Münchner Räterevolution 1918/19. Dessen Flucht droht schon an Problemen mit der königlichen Staatskarosse und den Widrigkeiten des frühen Automobilismus zu scheitern (mangelhafte Technik, mangelhafte Benzinversorgung, mangelhafte Straßenbeleuchtung). Auf die popmusikalischen und popkulturellen Verfahrensweise, die Ammer zusammen mit der Blasmusik der sogenannten „Hochzeitkapelle“ der Acher-Brüder, die sonst so hippe Bands wie „The Notwist“, „Lali Puna“ oder das „Tied &Tickled Trio“ betreiben, ist an dieser Stelle schon hingewiesen worden (vgl. MK 25/15). Alle drei nominierten Stücke liefen auf den letzten ARD Hörspieltagen und dort konnte man ihre je eigenen Strategien im Umgang mit dem Pop sozusagen am lebenden Objekt miteinander vergleichen.
Große Tragödie – lumpige Farce
Nach Marx ereignen sich „alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen so zu sagen zweimal [… ], das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.“ Und so ist das friedliche Ende der bayerischen Monarchie der fast behagliche Widerschein der blutigen Revolutionen zuvor. Dass sich nicht nur die Geschichte sondern auch die Literatur als Farce wiederholen lässt, demonstriert das 95-minütigen Stück „Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz, das ursprünglich als Hörspiel konzipiert war, bevor es auf den deutschsprachigen Theaterbühnen Furore machte und erst danach den Weg ins Radio fand.
Lotz’ Hörspiel basiert auf Motiven von Joseph Conrads Erzählung „Das Herz der Finsternis“, aus dem Jahr 1899, die im kolonialen Kongo spielt. Wurde der Stoff schon von Francis Ford Coppola in seinem Kinofilm „Apocalypse Now“ aus dem Jahr 1979 in den Vietnamkrieg verlegt, so holt Wolfram Lotz den Plot zurück nach Afrika. Allerdings auf einen afrikanischen Kontinent in dem der Hindukusch ein Fluss ist und wo man an der Hochschule von Mogadischu einen Diplomstudium in Piraterie belegen kann, den eine Figuren im Stück mit einem Stipendium vom Islamistischen Studienwerk auch absolviert. Setzte Ammer in „The King is Gone“ auf das Stilmittel der unfreiwilligen Komik, so zieht Lotz gerne das Register der grotesken Übertreibung. Aber das ist nur eine Technik um das Farcehafte postkolonialistischer Verhältnisse zu karikieren. Regisseur Leonhard Koppelmann vollzieht auf akustische Ebene die ironischen Oszillationen zwischen Ernsthaftigkeit und Komik, Tragödie und Farce nach.
Marina Frenk als Mit-Urheberin
Die Nominierung von Sibylle Bergs 55-minütigem Hörspiel „Und jetzt: Die Welt!“ in der Regie von Stefan Kanis (vgl. MK 19/15) ist insofern bemerkenswert, als das die Jury unter Vorsitz der Autorin Anna Dünnebier, die Schauspielerin und Sängerin Marina Frenk zur Mit-Urheberin des Hörspiel erklärt hat. Das ist in der Geschichte des Hörspielpreises erst/schon einmal passiert, als nämlich im Jahr 2011 der Sprecher Lorenz Eberle zusammen mit seinem Autor und Regisseur Robert Schoen von der Jury zum Ko-Autor erklärt wurde und für das Stück „Schicksal, Hauptsache Schicksal“, nach Motiven aus Joseph Roths „Die Legende vom heiligen Trinker“ mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet wurde.
Gegenwärtig lobt die Jury Marina Frenks „unglaublich vielseitigen Stimme“ mit der sie den vier unterschiedlichen Frauenrollen Präsenz verleiht und mit der sie eigene und fremde Lieder singt und letztere durch ihre Arrangements und Interpretationen zu etwas Neuem macht. Waren es bei Andreas Ammer noch die Straße auf der sich das Geschehen abspielte und bei Wolfram Lotz der Fluss und der Dschungel, so ist schlagen sich die vier Frauen Gemma, Minna, Lina und die namenlose Erzählerin in Sibylle Bergs Hörspiel „Und jetzt: Die Welt!“ „an einem verregneten Abend am Ende des Wachstums“ durchs Leben. Auswege gibt es da nicht mehr. Wohin auch wenn die Welt unter dem Diktat der Ökonomisierung aller Lebensbereiche steht und sich auch schon in die Körper und Denkstrukturen der Figuren hineingefressen hat?
Paradoxe Interventionen
Obwohl Sybille Berg oft als grimmige Autorin der depressiven Verzweiflung rezipiert wird, ist sie doch eigentlich eine Virtuosin den Komischen. Das Komische ist in die Grunddisposition der vier Frauenfiguren ihres Hörspiels eingeschrieben und es realisiert sich auch im Spott über die vergeblichen Kämpfe gegen eine (offensiv falsch betonte) „Hetéronormativität“ der Verhältnisse und die Verschönerung der hässlichen Stadtmöblierung durch „urban knitting“. Die größte Zumutung durchökonomisierter Verhältnisse ist es aber, ihnen gegenüber eine ironische Existenz führen zu müssen. An dieser Paradoxie werden die vier Frauenfiguren von Sibylle Berg irre und dagegen hilft dann nur noch eine paradoxe Intervention: entweder ein gereimtes Spottgedicht oder ein Gewaltexzess. Weder das Eine noch das Andere ändert natürlich irgendetwas an dem Verhältnissen, aber Beides hat eine Entlastungsfunktion – wie auch das Komische überhaupt.
Die Zartheit mit der Marina Frenk in den Rollen der vier Frauen der heillosen Konstruktion der Welt entgegentritt und die Intensität mit der sie Lieder von Rio Reiser (Ton Steine Schreben), Fanny van Dannen, Chinawoman oder Udo Jürgens singt, haben ihr verdientermaßen die Nominierung als Mit-Urheberin eingebracht. Sibylle Bergs Figuren haben keine Chance, und können auch die nicht mal nutzen, weil alle ihre Kräfte schon zur Bewältigung der Paradoxien aufgewendet werden, die die Welt für sie bereithält.
Da hilft nur ein Blick zurück zu Karl Marx. Im Anschluss an seine These, dass die letzte Phase einer geschichtlichen Gestalt eine Komödie sei, fragt er sich: „Warum dieser Gang der Geschichte?“, und er gibt die Antwort: „Damit die Menschheit heiter von ihrer Vergangenheit scheide.“
Der Gewinner des 65. Hörspielpreises der Kriegblinden wird am 4. Mai bekannt gegeben. Die Verleihung findet am 11. Mai beim WDR in Köln statt. Die Stücke sind bis Mitte Mai auf der Website der Film- und Medienstiftung NRW nachhörbar.
Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 9/2016
Update 4. Mai: „Und jetzt: Die Welt! Oder: Es sagt mir nichts das sogenannte Draußen“ von Sibylle Berg und Marina Frenk, Regie Stefan Kanis, Produktion MDR ist mit dem 65. Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet worden.
den oskar für bestes hörspiel gewonnen- zack grad mal das @giardinohotel lago gekauft. pic.twitter.com/9Id78ujV15
— sibylle berg (@SibylleBerg) 4. Mai 2016
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