Elitäres für alle
wittmann/zeitblom: Silence Deluxe. Radio-Oper
DLF, Sa, 15.04.2023, 20.05 bis 21.00 Uhr
Den Beginn des russischen Suprematismus markiert das „Schwarze Quadrat“ von Kasimir Malewitsch auf dem Bühnenvorhang der futuristischen Oper „Sieg über die Sonne“ aus dem Jahr 1913. Die Hörspielmacher wittmann/zeitblom reagieren darauf mit einer eigenen Radio-Oper.
Der Schauspieler und Autor Christian Wittmann und der Musiker und Komponist Falk-Georg Huber alias zeitblom machen seit 2010 als Duo wittmann/zeitblom Hörspielprojekte im und neben dem Radio. Ihr neues Stück „Silence Deluxe“ haben sie mit der Gattungsbezeichnung „Radio-Oper für 5 Stimmen, Chor und elektroakustische Klangerzeugung“ versehen und wie immer bei den beiden wird dabei fast pausenlos geredet und es gibt wenig Stille. Was kein Schaden sein muss, denn das Autorenkollektiv im Stück, gespielt von Alice Dwyer, Jule Böwe, Linn Reusse, Sabin Tambrea sowie Christian Wittmann selbst, diskutiert permanent, worum es eigentlich gehen soll und welche Form die angemessene sei.
Die Antwort ist zunächst ganz einfach. Thema des Stücks soll sein: „Wie die Zukunft wieder möglich wird.“ In Zeiten, in denen die Utopien beerdigt wurden, weil man „sich keine bessere Zukunft vorstellen kann, als die, in der wir heute leben“, ist die Zukunft ein Alptraum. Das war im Russland des Jahres 1913 noch anders. Zwischen zwei Revolutionen, von denen die zweite eher ein bolschewistischer Putsch war, führten Alexei Krutschonych, Welimir Chlebnikow, Michail Matjuschin in Sankt Petersburg die futuristische Oper „Sieg über die Sonne“ auf, die Kasimir Malewitsch auf dem Theatervorhang mit dem emblematischen schwarzen Quadrat versah. Der Kampf futuristischer Kraftmenschen gegen die alten Kräfte der Sonne war insofern siegreich, als diese in ein „Haus aus Beton“ eingeschlossen werden konnte. Mit der so gewonnenen Freiheit konnten die Protagonisten allerdings eher wenig anzufangen.
Die Radio-Oper von wittmann/zeitblom, die als 56-minütige Fassung am 15. April im linearen Programm des Deutschlandfunks ausgestrahlt wurde und als 66-minütige Version online steht, ist 110 Jahre weiter als ihre Inspirationsquelle. Die Welt ist komplexer geworden – was heißt, dass ihre Elemente vielfältigere Verbindungen miteinander eingehen können. Das muss die Welt nicht unbedingt komplizierter machen, tut es aber oft.
Komplexität und Kompliziertheit sind denn auch „der einzige echte Anspruch“, den dieses Projekt laut des Autorenkollektivs haben soll. Fasst man Komplexität und Kompliziertheit als Formelemente auf, mit denen das Thema, wie die Zukunft wieder möglich wird, behandelt wird, dann hört man, wie wittmann/zeitblom anhand von acht Beispielen das immer gleiche Fazit ziehen: „Du machst alles nur noch schlimmer.“ Natürlich ist das eine resignativ-ironische oder auch eine fatalistisch-sarkastische Reaktion.
Aber es ist ja auch nicht die erste Aufgabe der Kunst, Lösungen zu schaffen oder sich in den Dienst einer noch zu guten Sache zu stellen. Wittmann/zeitblom formulieren eine Absage an das, was der Hörspielkritiker Stefan Fischer in der Süddeutschen Zeitung vom 15. April eine „Kunst-mit-Haltung-aber-dafür-ohne-Kunst-Kunst“ genannt hat und die einige Hörspielabteilungen ganz gerne produzieren. „Wir machen nichts über Migration, Ökologie, Rassismus, Diversität, Identität, Gender und Ukrainekrieg. Wir sind nicht auf der Seite der Revolte, wir gehören zum Establishment. Wir sind keine Weltretter – wir sind keine Opfer, wir sind Oper!“, heißt es im Stück.
Was also tun? „Silence Deluxe muss auf die Nerven wirken, nicht auf den Intellekt, nicht auf die Emotion“, sagen die Macher. Es ginge also darum, nicht in Reichweiten zu denken, sondern im Gegenteil „nicht-kommunizierbar“ zu sein. Soll heißen: „Etwas, das nicht da ist, hörbar machen. Im Radio. Wo alle es hören können. Elitäres – für alle.“
Dieses paradoxe Vorhaben ist enorm voraussetzungsreich und kann erst umgesetzt werden, nachdem die Diskussion der fiktiven Hörspielmacher im Stück so weit gereift ist und die Zukunftsentwürfe, die vom bloßen Warten über die „Ersetzung von Besitz durch Gebrauch“, Unterbrechungen des Systems durch „Blackouts“ bis hin zu einem „Acid Communism“ auf LSD schließlich in der „Reduktion“ münden, die zu jener ‚Silence Deluxe‘ führt, die der Titel von wittmann/zeitbloms Radio-Oper versprochen hat.
Dabei haben die Autoren mehrere Klippen zu umschiffen. Eine ist die, dass übergroße Komplexität letztendlich zum Rauschen führt – was man auf Spotify in sämtlichen Farben zur Selbstoptimierung anhören kann. Die Autoren nennen das „die Kolonisierung des Schlafs.“
Die Komposition von zeitblom setzt nur punktuell auf Opernklischees, lässt aber immerhin vom Kammerchor „orchi e balene“ das Motiv „Und das Ende? Wird es nicht geben!“ singen. Elektronische Tabla-Rhythmen und flächige Klanglandschaften wechseln mit Anklängen an futuristisches Pathos. Und ein wenig pathetisch wird es am Schluss auch noch. Da beschwören Wittmann/Zeitblom nämlich noch das „hen kai pan“ – die Alleinheit allen Seins, die seit Heraklit die Philosophiegeschichte durchzieht. Und auch wenn man im Stück darauf mit „Euer Ernst? Das wird nie was!“ reagiert, wird man den Verdacht nicht los, dass es sich bei den Autoren doch um Romantiker handeln könnte.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 20.04.2023
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