Ein Mephisto aus dem Plattenbau
Jens Sparschuh: Unter uns
MDR Figaro, So 05.08.2012, 18.00 bis 18.55 Uhr
Schon der Titel ist ambivalent, er deutet Vertraulichkeit und Kumpanei an – „Unter uns“. Wer aber nicht zu dem kumpelhaften „Wir“ gehören will, dass die Formel „unter uns“ impliziert, der hat ein Problem. Der macht sich verdächtig, denn, mal unter uns: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Das ist die Parole der Paranoiker aller Länder, unabhängig von der jeweiligen Ideologie. In der DDR galt die Formel in besonderer Weise. Denn was das Volk – im Jargon der DDR-Führung „unsere Menschen“ (und da wird die vermeintliche Kumpanei als Besitzverhältnis demaskiert) – dachte und tat, war immer dann gefährlich, wenn das übergeordnete „Wir“ es nicht kontrollieren konnte. Zuständig für die Kontrolle waren die sogenannten „staatlichen Organe“, allen voran das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), das sich der Mitarbeit von zwei Prozent der Bevölkerung versicherte. Das reichte, um über Jahrzehnte hinweg die Ausbildung einer Zivilgesellschaft zu verhindern.
Auf welche Art und Weise man die inoffiziellen Mitarbeiter rekrutierte, kann man in Jens Sparschuhs 55-minütigem Monologhörspiel, das auf autobiografischen Notizen basiert, hören. Der Schauspieler Devid Striesow, auf Rügen geboren und zum Zeitpunkt des Mauerfalls 16 Jahre alt, spielt in dem Stück (Regie: Wolfgang Rindfleisch) den Vernehmer, der einen ehemaligen Universitätsangehörigen und freien Mitarbeiter des Rundfunks für die Stasi anwerben will. Dabei bedient er sich der Tricks von Verführung und Drohung, von Anbiederung und Missachtung – wie er es in den Schulungen des MfS gelernt hatte. Aber er macht das nicht besonders erfolgreich, denn – im Gegensatz zur (immer noch im Internet abrufbarbaren) Ankündigung von MDR Figaro – steht am Ende des Hörspiels eben nicht die Unterschrift unter die Verpflichtungserklärung.
Viermal wird der Anzuwerbende einbestellt, um ihn zum Verrat an dem Freund anzustiften, der eine Umweltgruppe gegründet hat. Wir befinden uns im Herbst 1986, ein paar Monate nach der Explosion des Atomkraftwerks in Tschernobyl. Doch weder das Versprechen einer Wohnung „mit Warmwasser aus der Wand“ noch die Erpressung mit der mehrfachen Einberufung zum Reservistendienst in der Armee führen zu einer Zusammenarbeit. Selbst auf die verführerischste Lüge des Vernehmers, dass nämlich die Stasi die „eigentliche Oppositionskraft in unserer Republik“ sei, fruchtet nicht. Wer wegen eines Umweltproblems den Inlandsgeheimdienst kontaktieren sollte, dem kam es auch nicht absurd vor, zur Erlangung einer Wohnung eine Eingabe beim Staatsratsvorsitzenden zu machen. Beides war pure DDR-Realität und Letzteres hatte gar nicht so selten Erfolg.
Problematisch am Aufbau des Textes und seiner Inszenierung ist, dass die Monologstruktur der Situation einiges an Dramatik nimmt. Devid Striesow hat hörbar kein Gegenüber, will heißen: kein hörbares Gegenüber. Was möglicherweise daran liegt, dass eine Hörspielabteilung niemanden für eine stumme Rolle bezahlen will oder Regisseure das gar nicht erst einfordern (siehe Paul Plampers Schweigehörspiel „Tacet – Ruhe 2“; vgl. FK 46/10). Im Fall von Sparschuhs Hörspiel soll sich der Hörer als Adressat fühlen, was allerdings ebenfalls nicht so richtig funktioniert, da der Stasi-Offizier eher hemdsärmlig als raffiniert rüberkommt, seine Drohungen eher grob sind als subtil und so die Moral des Zuhörers nicht wirklich herausgefordert wird.
Den Freund zu verraten um ihn vor sich selbst zu schützen, bevor er „ein Fall“ wird, ist hier nie eine Option. Was natürlich für die Moralität des Autors spricht, im Vergleich zu den realen Verhältnissen aber fast ein bisschen zu harmlos anmutet. Devid Striesows Figur ist bestenfalls ein Mephisto aus dem Plattenbau, der zwar über ein gewisses Maß an Dummheit und Brutalität verfügt, aber weder richtig böse noch richtig verführerisch ist. Dass den staatlichen Organen keine Lüge zu dreist, keine Intrige zu infam und keine Niedrigkeit zu schändlich war, um ihre Ziele zu erreichen, kann man zum Beispiel in Joachim Walthers großem Werk „Sicherungsbereich Literatur“ nachlesen. Vor diesem Hintergrund gehört, erkennt man in Jens Sparschuhs Stück die kleinen Anfänge dieser Verrohung in den Sprachmustern und Kommunikationsverhältnissen einer unfreien Gesellschaftsformation.
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 33-34/2012
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