Ein guter Abgang ziert die Übung

Florian Felix Weyh: Die Kunst des Abgangs – Wie man sich am besten verabschiedet

DLF, 30.06.2024, 20.05 bis 21.00 Uhr,
DLF Kultur, 03.07.2024, 22.03 bis 23.00 Uhr

Am 30.6. feierte der DLF mit Florian Felix Weys Feature „Die Kunst des Abgangs“ das Ende von „Freistil“. Nach 1378 Wochen wird das von Redakteur Klaus Pilger ins Leben gerufene Format abgeschafft, das sich analytisch und unterhaltsam populärkulturellen Themen gewidmet hat und bei dem der Name Programm war.

Fünf Akte und sechs Maximen braucht der Feature-Autor Florian Felix Weyh in seinem 55-minütigen Feature „Die Kunst des Abgangs“, um herauszufinden, wie man sich am besten verabschiedet. Doch es geht nicht nur um metaphorische oder reale Abgänge, es ist ein ganzes Format, von dem man sich verabschieden muss. Im Januar 1998 ging das von DLF-Redakteur Klaus Pilger begründete Format „Freistil“ erstmals über den Kölner Sender. In insgesamt 1378 Wochen konnten vom vorhersehbaren „Tatort“ gelangweilte Hörer allsonntäglich um 20.05 Uhr den Deutschlandfunk einschalten, um sich intelligent unterhalten zu lassen. Etwa die Hälfte der Sendungen waren Eigenproduktionen, der Rest Übernahmen und Wiederholungen.

Verabschiedet man sich nach 26 Jahren mit Aplomb oder empfiehlt man sich je nach Geschmack und Landsmannschaft auf Französisch, Polnisch oder Englisch? Weder noch, haben sich Klaus Pilger und sein Autor Florian Felix Weyh gesagt, und weil der Sendeplatz kein Hörspielplatz ist, geht es natürlich begrifflich um die Phänomene „Abschied“ und „Abgang“ und die Metaphernfelder, in denen sie vorkommen.

Der Koch und Weinsommelier Peter Frühsammer erklärt, dass man Abgangstrinken besonders bei Weinen mit hohem Tanningehalt erst mal üben muss, bevor es einem schmeckt. Der Coach und Mediator Michael Kremin schildert, wie das „Outplacement“ von Führungskräften funktioniert und mag den Ausdruck „pampern“ nicht so. Die ehemalige Tennisspielerin und Buchautorin Andrea Petković erzählt von dem befreienden Gefühl, sich nach ihrem Karriereende von der Dopingliste nehmen zu lassen und nicht mehr morgens um sechs von Kontrolleuren dreier verschiedener Anti-Doping-Agenturen aus dem Bett geklingelt zu werden.

Abgang in die richtige Richtung

Der finale Abgang wird aber gleich in einem Vorspiel auf dem Theater thematisiert. Da steht ein Schauspieler (David Vormweg) auf einem maroden Steg am Stygòs hýdōr, dem Wasser des Grauens, kurz Styx genannt, wartet auf den Flößer Charon und mault: „Nach wie vor bin ich der Meinung, dass ich meine Zukunft nicht per Totenfähre erreiche.“ Muss er auch gar nicht, denn eine Regisseurin (Justine Hauer) geht mit ihm die Theatertricks eines wirkungsvollen Abgangs durch und so ist die erste Maxime: „Nie etwas verlassen, immer auf etwas zugehen.“ Derweil erläutert der echte Theaterregisseur Thilo Voggenreiter von den verschiedenen Richtungen, in die man abgehen kann (nach rechts, nach links, nach unten) und welche davon für was am besten geeignet ist. Die Maxime dazu lautet: „Vermeide unbedingt, dass dein Abgang zum Absturz wird.“

Dass man auch unauffällig seine eigene Party verlassen kann, berichtet die Schriftstellerin Julia Franck, angeleitet von ihrer Großmutter, die offenbar Abschiede hasste und ihre Enkelin schon in jungen Jahren einfach mal alleine zurückließ. „Aber das verstört doch!“, wirft da der Florian Felix Weyh ein, der in seinem Feature immer mal wieder sich selbst spricht. Anders als die gegenwärtigen Hosts oder Presenter diverser Podcastformate tut er das als Autor, der es nicht nötig hat, sich in den Vordergrund zu spielen.

Einer der schönsten O-Töne kommt von einem enragierten Moderator einer musikalischen Nachtstrecke, der sich kurz vor Ende seiner Schicht um 4.53 Uhr wie folgt verabschiedet:

„Seit den 90er-Jahren wird das Radio bis heute permanent neu erfunden; leider häufig von Juristen, Verwaltungsfachleuten, Spar- und Zahlennerds und Kommunikationsspezialisten, die nicht kommunizieren. Und in dieses Bild passt, dass man nach mehr als 3.500 Livesendungen auch noch einen respekt- und würdelosen Tritt in den Allerwertesten bekommt. Per E-Mail, an einem Freitagabend um 22.34 Uhr. Das nenne ich Menschenführung des unteren Managements. Ich verbeuge mich vor der geneigten Hörerschaft und stelle fest: 3.500 Livesendungen sind nun wirklich genug. Machen Sie’s gut!“

Das ist mal eine Ansage, beziehungsweise eine Absage. Regisseur Philippe Brühl hat den O-Ton mit einem Mittelwellensound versehen, der das Ereignis in eine entfernte Vergangenheit rückt, die aber so entfernt nicht sein kann. Auch gegenwärtig stellt der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Verteidiger auf eine harte Probe und entzieht ihnen immer mehr Argumente, die in der Defensive immer öfter mit der Formel „Ja, aber …“ eingeleitet werden müssen. „Ja, aber es gibt doch das SWR-‚Dokublog‘ und das Magazin ‚Mehrspur‘ (abgeschafft 2021), ja, aber das BR-‚Nachtstudio‘ (abgeschafft dieses Jahr), ja, aber die ‚Wurfsendungen‘ (abgeschafft dieses Jahr, vgl. MD 18/24), ja, aber das DLF-Hörspielmagazin (abgeschafft während der Corona-Pandemie und durch ein Personality-Format ersetzt)“, ja aber …

Wie man unter diesen Umständen eine Serie oder gar ein ganzes Format würdig beendet, ist nicht einfach. Im Fernsehen gelang das zuletzt dem NDR-„Tatortreiniger“. Für die „Wurfsendungen“ gab es immerhin eine fette Party. Der „Freistil“ verabschiedet sich ohne Larmoyanz und ohne Selbstmitleid, dafür unterhaltsam und erkenntnisfördernd. „Comment te dire adieu?“ („Wie sag ich dir Adieu?“), fragte sich schon Françoise Hardy, die sich kurz nach der Produktion des Features von der Welt verabschiedet hat.

Das letzte Wort des – wie es sich für ein popkulturelles Feature gehört – musikalisch überdeterminierten Stücks hat ein anderer Franzose: Serge Gainsbourg „Je suis venu te dire que je m’en vais“ („Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass ich gehe“). Die beste Schlusspointe hat aber Andrea Petković bei kurzem Googeln während des Gesprächs mit Florian Felix Weyh („Sie recherchieren ja besser als ich.“) herausgefunden. Es ist ein Schillerzitat und es lautet: „Ein guter Abgang ziert die Übung.“

Bleibt noch die Frage, was zurückgelassen wird. Redakteur Klaus Pilger geht in ein paar Monaten in Pension. Es bleibt ein Archiv großartiger Features, darunter mehrere Reihen, wie beispielsweise „Hungrig – 10 Features über das Essen“ aus dem Jahr 2003. Seine Autoren Rolf Cantzen, Manuel Gogos, Christoph Spittler, Lorenz Schröter sowie Markus Metz und Georg Seeßlen, um nur einige wenige zu nennen, müssen sich eine neue Heimat suchen. Auf dem Freistil-Termin werden künftig Features aus dem Berliner Programm Deutschlandfunk Kultur „widergespiegelt“, wie es im Senderjargon heißt.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 27.06.2024

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