Dokumentation, Silke Burmester: Kann man Kritik lernen?
Wenn man meint, retten zu müssen was einen geprägt hat, dann wird man zum Kritiker, sagte Silke Burmester am 8. November im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM). Im Rahmen der 14. ARD Hörspieltage fand dort unter dem Titel „Lauter Likes?“ ein Symposium zum Thema Hörspiel- und Fernsehkritik statt. Retten muss man das Hörspiel gegenwärtig vor den Sparkommissaren in den Anstalten. Mehr dazu demnächst an dieser Stelle. Bis dahin erfreuen Sie sich bitte an dem wunderbaren Text von Silke Burmester, in dem sich auch der Autor dieses Blogs angemessen charakterisiert findet. Im O-Ton kann man Silke Burmesters Vortrag hier hören. | |
Über die „Ausbildung“ von Kritikern und Kriterien
Von Silke Burmester
Das Debakel meines Themas – die Ausbildung von Kritikern – ist in einem Satz wunderbar eingefangen. Er steht auf der Homepage der AuBi-plus-GmbH mit Sitz in Hüllhorst, und lautet: „Wie werde ich eigentlich Film-Kritiker?“ Damit ist alles gesagt. Denn dort steht nicht, „Wie werde ich Filmkritiker?“. Nein, dort steht „Wie werde ich eigentlich Filmkritiker?“ und das Wort „eigentlich“ ist der Amokschütze in dieser Wortkette. Es mäht alles nieder. Es ist eine Umschreibung für: „Du kannst es auch lassen.“
Immerhin aber ist die AuBi-plus-GmbH aus Hüllhorst eine der wenigen Wegweiser im Netz, die sich überhaupt die Mühe machen, sich mit dem Beruf der Kritikerin oder des Kritikers zu befassen. Und sogar einen Lichtblick aufscheinen lassen, indem sie an das Ende der Mühen der Ausbildung den Ausblick auf die Krönung der Laufbahn stellt. Gelänge es einem, Mitglied des Verbandes der deutschen Filmkritik zu werden, so AuBi, „hast du die Möglichkeit in ein Gremium zu kommen, die in der deutschen Oscar-Auswahljury und Filmförderungsgremien vertreten sind.“ Das ist grammatikalisch zwar nicht ganz korrekt, aber: Immerhin!
Ein anderer, der sich der Ausbildung zum Kritiker oder zur Kritikerin annimmt, ist die Axel-Springer-Akademie. Sie aber leuchtet gleich die Schattenseiten des Gewerbes aus. Sie schreibt, bzw. lässt offensichtlich einen Mann formulieren: „Dennoch: Als Filmkritiker muss man sich auch Romanzen anschauen, wenn man privat viel mehr auf Action und Abenteuer steht. … Bloß, weil man keine Liebesfilme mag, kann man diese nicht allesamt in seiner Kritik zerreißen – an dieser Stelle kommt es also doch auf ein hohes Maß an Professionalität und Objektivität an.“
Was der AuBi das „eigentlich“ ist, ist der Springer-Akademie ihr „also doch“ und die Kritikerin in mir erkennt, dass keiner diesen Beruf so richtig ernst nehmen will. Kritiker, das scheint etwas zu sein, das jeder mal machen kann. Das jeder mal ausprobieren kann, wo jeder mal ran darf.
Und ja, so ist es.
Und das ist das Tolle am Kritikerdasein! Jeder kann es! Man muss nicht „Kritik“ studiert haben, man muss keinen Abschluss von „was mit Kritik“ haben, um sich darüber Gedanken zu machen, ob ein Film, eine Hörfunksendung, ein Hörspiel gelungen ist. Jeder, der nicht ganz blöd ist, kann das.
Und doch hilft es – und trennt am Ende die Kritiker-Spreu vom Kritiker-Weizen – wenn man das, worüber man spricht, in hohem Maße konsumiert hat. Egal, ob es Bücher sind, Filme, Hörspiele oder Theaterstücke – um zu beurteilen, ob etwas gelungen ist, weswegen es schwächelt oder eventuell komplett versagt, muss ich Unmengen davon gelesen, gesehen, gehört haben.
Ich muss im besten Fall ein wenig irre sein. Ich muss das Fernsehgucken lieben. Ich muss den Schrott darin ebenso fasziniert angucken wie die Perlen. Ich muss seit Jahren schon in Hörspiele hineinfallen und mich in ihrer Welt verlieren. Ich muss am besten mit Hui-Buh dem Schlossgespenst angefangen haben oder mit Endlosschleifen von TKKG. Ich muss das alles aufgesogen und absorbiert haben. Ich muss das Timing verinnerlicht haben, die Dramaturgie und die Sprache.
Ich muss am besten ein vernachlässigtes Kind gewesen sein. So ein wunderbares Asso-Kind, bei dem die Eltern froh waren, wenn es nichts wollte, weil es stundenlang Hörspiele hörte, oder wie ich vor der Glotze saß. Ich habe alles rauf- und runtergeguckt. Jede Heinz-Rühmann-Komödie, jede Bastian-Folge, jeden Plumpaquatsch. Und ich glaube, Stefan Niggemeier hat auch alles rauf und runter geguckt. Und Anja Rützel hat alles mit Tieren rauf und runter geguckt. Eine Ausnahme ist Hans Hoff. Der durfte, so meine Vermutung, nur sehr wenig gucken, und das, was er sah, musste er scheiße finden, um nicht das Gefühl zu haben, die ganze Zeit etwas zu versäumen. In jedem Fall aber war da diese Faszination an den Welten, die sich eröffnen, daran, wohin es einen trägt und was man in diesen Welten erleben kann.
Das Ergebnis ist der Nerd. Ein spleeniger Mensch, der sich unglaublich gut auskennt. Und wenn dieser Mensch das Gefühl hat, das, was ihn geprägt hat, retten zu müssen, dann wird er zum Kritiker. Das große Missverständnis gegenüber dem Kritiker oder der Kritikerin ist ja die Annahme, dass dieser Mensch ein Misanthrop ist. Ein ewiger Meckerer, dem man es nicht recht machen kann, weil er gar nicht will, dass die Dinge schön sind.
Das ist falsch. Ich möchte fast behaupten, kein anderer Journalist liebt so sehr wie der Kritiker. Keiner geht mit seiner Liebe und seinem Betteln darum, dass die Dinge schön sein mögen, so hausieren, wie wir. Der Kritiker ist die romantischste Figur im Journalismus. Denn er liebt. Er nörgelt aus Liebe. Er ist der Bewahrer. Der Umweltaktivist des Kulturbetriebs.
Wenn wir also an Ihren Hörspielen, Filmen oder Büchern herummäkeln, wenn wir sagen, was nicht stimmt, wo es besser gehen könnte, dann weil wir uns so sehr das Gute wünschen. Weil unser Handeln und unser Denken vom Wunsch nach der guten Welt, der Utopie einer Welt, in der alles optimal ist, bestimmt sind. Wir sind Träumer. Träumer mit nem Hackebeil zwar, aber Träumer. Idealisten.
Es geht bei unserer Arbeit um Liebe. Um Liebe zur Sache und Liebe zu einer naiv guten Gesellschaft. Das kann man nicht lernen. Diese Liebe muss man in sich haben. Und die Leidenschaft, für sie zu kämpfen. Das wird einem nirgends vermittelt. Nicht in Studiengängen und wohl auch nicht an der Axel-Springer-Akademie.
Aber das ist es, was für diesen Beruf zählt. Liebe und Leidenschaft.
Genau so, wie für Ihren, die Sie Hörspiele produzieren. Wenn Ihnen die Leidenschaft fehlt, sind Sie dort, wo Sie sind, nicht richtig. Dann lassen Sie es sein. Gehen Sie dahin, wo Ihr Feuer entfacht wird und überlassen Sie ihren Platz denjenigen, die diese Leidenschaft haben. Denn die werden gebraucht. Mal wieder geht es darum, das Hörspiel gegen die Bürokraten und Technokraten zu verteidigen. Mal wieder wird dem Hörspiel sein Platz streitig gemacht, mal wieder wird sein Wert dem „Nutzen“ gegenübergestellt. Und mal wieder stimmt das Verhältnis angeblich nicht, so dass das Genre in immer kleineren Reservaten ums Überleben kämpft.
In dieser Situation kann nur die Leidenschaft helfen. Die Leidenschaft derer, die für das Hörspiel leben und es lieben. Und die kämpfen. Die den Bürokraten verständlich machen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mehr ist als ein Abspielkanal für Morningshows. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk uns allen gehört. Auch denen mit Hirn.
Es ist ja eine absurde Situation: Gerade in den Zeiten, in denen im Internet Podcasts sprießen wie andernorts Café-Bars, wo Leute Lust haben, Hörstücke zu produzieren und diese einfach einstellen, müssen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Hörspielplätze und ihre Budgets verteidigt werden. Und das, obwohl das Argument des Sendeplatzes in Zeiten des Internets gar keines mehr ist.
Meine Aufgabe war es, über die Ausbildung zur Kritikerin zu sprechen. Und der Ausbildung der Kriterien. Sie haben gemerkt, da gibt es gar nicht so viel zu sagen. Es ist wie beim Radiomachen: Das wichtigste ist das Feuer für die Sache. Ist das gegeben, formen sich die Kriterien von allein heraus. Wenn die Begeisterung für die Sache allerdings fehlt, sollte man sich ein anderes Aufgabenfeld suchen. Das kulturelle Fortkommen ist kein Ergebnis der Gleichgültigkeit, sie ist eines der Kreativität.
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