Dokumentation: Juryberichte zum Hörspiel des Jahres 2018
Am Samstag, den 23. Februar ist im Literaturhaus Frankfurt/Main die RBB-Produktion „Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen“ von Susann Maria Hempel (Dramaturgie: Mareike Maage) von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste als Hörspiel des Jahres 2018 ausgezeichnet worden. Die Jurybegründung findet sich hier, meine Kritik hier. Hier die Statements der Jurorinnen Regine Beyer, Viktorie Knotková und des Jurors Benno Schirrmeister:
Regine Beyer:
Hörspiel: gestaltet für die Ohren,
mal artifiziell, mal unverfroren,
belebt mit Geist und Inbrunst
das Terrain zwischen Feature und Klangkunst.
Ob leichtfüßig oder schwer im Blut,
Hörspiel ist wichtig, Hörspiel tut gut!
Drum Akademie, sei auch du geehrt,
der Hörspielpreis ist gar nicht verkehrt!
105 Stücke sind‘s geworden
und nicht jedes verdient einen Orden,
doch das Gros macht durchaus Hoffnung,
für die Gattung und den Hörfunk.
Ein Drittel waren Adaption
von Bühne, Buch und Installation.
Zwei Drittel, wie im letzten Jahr,
stellten Originäres dar.
Unglaublich breit, diese Palette,
wie eine bunte Perlenkette.
Doch nur solch große Vielfalt
garantiert uns auch den Er-halt.
Ein Preis im Monat erschien nicht als Lösung
darum die „Lobende Erwähnung“.
Es galt ja Reichtum abzubilden
aus weiten Hörspielgefilden.
Wir hörten in privaten Räumen –
Zeit zum Denken, Zeit zum Träumen …
Einmal im Monat dann ein meeting,
zum gemeinsamen Re-think.
Im Büro von Radio Bremen,
mit Kaffee und Keksen zum Nehmen,
wurde diskutiert,
die eig‘ne Ansicht feinjustiert.
Mein Gefühl für diese Ju-ry
ist wie für Himbeereis und Cur-ry.
Wenn die Zutaten stimmen,
wird jede Diskussion gewinnen:
Viktorie, die wache Theaterfrau,
nahm‘s mit der Dramaturgie genau.
Erspürte den Kern jeder Sen-dung,
mal auch nicht, zumeist jedoch … mit Vollen-dung.
Für Humor und Formulierung,
verdient Benno eine Ehrung.
Und dieser kluge Zeitungsmann,
gab nie mit seinem Wissen an!
Benno Schirrmeister:
Da kann ich ja gleich anknüpfen und genau so weiter machen. Wenn auch in einem anderen Rhythmus.
Mein Job ist es, erst einmal daran zu erinnern, dass nicht alles gut war. Daran, dass manche Einreichungen – keine Angst, ich nenne keine Beispiele, das verdürbe bloß die Stimmung und ginge auf die Zeit … Daran also, dass manche Einreichungen, obwohl ja mehrere redaktionelle Filter vorgeschaltet sind, der Jury als richtig schlecht erschienen sind.
Für uns waren das dann die Momente des Selbstzweifels, ob es statt oder neben einer lobenden nicht auch eine rügende Erwähnung geben müsste für – nein, ich nenne keine Beispiele – missglückte oder fehlende Recherche, für allzu selbstgefälliges Experimentieren oder für sprachhistorische Fehlleistungen?
Daran schließt sich die Frage an, ob überhaupt die Mitarbeit an diesem schönen Preis sinnvoll ist? Könnte es nicht sein, dass die Rezeption der Gattung Hörspiel zu sehr durch ermutigende Preise und lobende Erwähnungen gekennzeichnet ist? Durch „Kunstbetrachtung“ statt durch echte Kritik? Wann, in welcher Radiosendung, haben Sie zum letzten Mal einen echten Hörspiel-Verriss gehört? Wo den letzten gelesen?
Mich erinnert das an den schonend-entmündigenden Umgang mit Todkranken, bloß nicht aufregen, sonst geht er mir noch ein! und dann sitze ich da mit den Schuldgefühlen, das will ich tunlichst vermeiden, also lieber nur Gutes über den Gerade noch Lebenden, und es ist klar: ein solcher Umgang mindert die Relevanz der Gattung. Er verhindert die kontroverse Diskussion, verhindert die Gegenwehr der Autor*innen, verhindert produktiven Streit, verhindert die Erzeugung von Skandalen: Das Hörstück muss ja keine Massenpanik auslösen. Aber lieber doch das, als keinerlei Anstoß zu erregen.
Das ist traurig, weil wir uns als Hörende einer atemberaubende Fülle an Formen und einem Reichtum an Anstößigem ausgesetzt wissen: Es gibt etliche sehr schöne Literaturbearbeitungen, die gerade dann wertvoll sind, wenn sie nicht bloß einen längst zerstiebenen Kanon reproduzieren. Es gibt, hier scheint mir besonders die Arbeit des WDR wichtig, eine Vielzahl von Stimmen, die sich aus einer Erfahrung der Migration speisen, aus der Pluralität von Kulturen, in denen wir leben: Sie finden in der Radiokunst ein Medium, mit dem sich unerhörte oder überhörte Aspekte unserer Welt viel direkter als mit Büchern, viel konzentrierter als im Film und konzeptionell zugänglicher als per Musik zur Sprache bringen lassen.
Es gibt eine große Vielfalt sehr persönlicher Ansätze für ein vom Geräusch und vom Sound ausgehendes Erzählen. Im klingenden Erzählen – und damit ist eben nicht der illustrative Einsatz von irgendeinem historisch korrekten Uhrticken gemeint – entwickeln und bestimmen diese Hörstücke ihre eigenen ästhetischen Kriterien: Das hat uns die Juryarbeit zugleich schwierig und bereichernd gemacht. Eine fein orchestrierte Collage wie das Mary Shelley-Stück „Meine Erinnerungen reißen mich in Stücke“ folgt anderen Gesetzen, als der improvisatorische Furor des „Paartherapeuten Klaus Kranitz“. Sie vergleichen zu wollen, ist sogar ziemlich meschugge: Sie sind uns auf je ihre Weise herausragend erschienen.
Das Schwierigste ist dann, das zu begründen, also die legitimatorische Arbeit, die dazu dient, die notwendige Ungerechtigkeit jeder Preiszuteilung zu kompensieren und nachvollziehbar zu machen. Leicht gefallen ist uns hingegen die Entscheidung selbst: Tatsächlich hat es bei zwölf Hörspielen des Monats nur eine einzige Mehrheitsentscheidung gegeben. Wir waren selbst überrascht, wie konsensual wir unterwegs waren. Aber tatsächlich ist es so schwer nicht, die Werke zu erkennen und zu benennen, in denen der Eigensinn des Hörspiels lebt: Sie sind es, die berühren.
Viktorie Knotková:
Gleich werden wir Ihr Hörspiel erleben, liebe Susann, und ich weiß, in einer knappen Stunde werden hier im Saal lauter berührte Menschen sitzen. Lassen Sie mich also nur ganz kurz die Begeisterung unserer Jury über Ihre Arbeit ausdrucken, die auch viele Wochen nach dem ersten Hören nicht nachlässt.
Es fällt schwer, zu glauben, dass Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen erst Ihre zweite Radioarbeit sein soll, so souverän haben Sie als Autorin, Komponistin, Sängerin, Regisseurin und einzige Sprecherin dieses Kunstwerk gestaltet. So nah an dem Menschen, dessen Porträt sie feinfüllig zeichnen, mit Mut zum Unfertigen, zum Fragmentarischen, so nah an dem Zustand seiner seelischen Unruhe, so nah an dem Schmerz der Einsamkeit und des Verlustes, so nah an der Freude über die Möglichkeit, sich mitteilen können. Wie wertvoll eine emphatische Zweisamkeit ist, wie wichtig eine wohlwollende Gemeinschaft, wie heilend das Zuhören an sich, das erfahren wir bereits nach ein paar Minuten Ihres Hörspiels. Was für ein Anfang! Über die gesamte Länge des Stücks erschaffen Sie dann eine Atmosphäre, in der das, was wir Seele nennen, nahezu greifbar, ihre Verletzungen erfahrbar, und die Metaphern die ihrer Beschreibung dienen sollen, wirklich werden: Erfahrbar nur durch den intimen Sinn des Gehörs.
„Seit Kain und Abel hat keine Strafe die Welt verbessert oder sie vor dem Begehen eines Verbrechens bewahrt“, lässt Krzysztof Kieślowski in seinem Film Über das Töten einen jungen Rechtsanwalt sagen. Wir haben hier durch Sie und ihre Stimme, die das Du und das Ich in einem Wir vereint, mit einem mehrmals bestraften Menschen zu tun – stigmatisiert durch Armut, Ausgrenzung, durch unrechtmäßige Inhaftierung, durch körperliche und seelische Gewalt. Durch Isolation.
Es wäre leicht den Menschen zu übersehen, welcher sich unter Zuschreibungen wie Ein sozialer Fall oder Häftling verbirgt. Ich möchte Ihnen von ganzem Herzen danken, dass Sie mit ihrer Arbeit das Gegenteil bewirken. Sie bringen uns den Menschen nah, der uns in seinen Empfindungen ähnelt, der wir hätten sein können.
Aufmerksamkeit ist die seltenste und reinste Form der Großzügigkeit. Seien wir also aufmerksam, wie Susann Maria Hempel es ist. Und nicht nur für die nächsten 55 Minuten. Danke Susann, danke, dass wir Ihr Hörspiel hören können.
Schreibe einen Kommentar