Die Fortsetzung der Sprache mit anderen Mitteln
Ferdinand Schmalz: Der Herzerlfresser
RBB Kulturradio, Fr 01.04.2016, 22.04 bis 22.49 Uhr
„Was kannst du mir schon groß erzählen, was meine eigne Wachheit nicht schon hat entdeckt?“ So kanzelt die Fauna Florentina (Marina Frenk) den Gangsterer Andi (Maximilian Brauer) gleich zu Beginn von Ferdinand Schmalz’ Hörspiel „Der Herzerlfresser“ ab. Doch der Andi, seines Zeichens Nachtwächter, weiß zu berichten, dass das kurz vor der Eröffnung stehende Einkaufzentrum schon erste Risse durchziehen.
Das Prestigeprojekt vom Bürgermeister, dem Acker Rudi (Thomas Loibl), droht aber nicht nur Gefahr vom morastigen Untergrund, sondern auch ein PR-Desaster, als in unmittelbarer Nähe eine Frauenleiche gefunden wird, der man das Herz herausgerissen hat – „schlechte Kunde, keine Kunden“, denkt sich der Bürgermeister und engagiert den Andi, in dem Mordfall zu ermitteln. Der ist erfreut, denn: „Ein wahrer Spürsinn lässt in behördliche Strukturen sich sowieso nicht zwängen.“ Weniger begeistert ist er davon, dass er zuvor die Leiche im Moor verschwinden lassen soll. Bleibt – um das Quartett dieses Hörspiels zu komplettieren – noch die Fußpflegerin Irene (Regine Zimmermann), die mal ein René war und jetzt heimlich in den Acker Rudi verliebt ist.
Bevor jedoch der Andi und die Florentina sowie der Rudi und die Irene sich näherkommen können, wird eine zweite Frauenleiche gefunden und auch der fehlt das Herz. Es kann also als Täter nur ein Herzerlfresser gewesen sein. Einer wie der Reiniger Paul, der Ende des 18. Jahrhunderts zum Mörder und Kannibalen geworden war und der meinte, er könne unsichtbar werden, „damit das Unglück ihn nicht findet mehr“, wenn er sieben Mädchenherzen verzehrte. So hat es jedenfalls der Fleischer Herbert (Christoph Franken) der Irene erzählt.
Klar, dass der Herbert sich als der aktuelle Herzerlfresser entpuppt, auch wenn er aus anderen Motiven handelt als sein Vorgänger. Als Schlachter kennt Herbert sich mit Innereien aus und weiß, dass auch der Mensch „als Ganzes ganz zerteilt“ sein muss, und er erklärt die körperliche Integrität zur Fiktion: „Von wegen Individuum!“ Im Akt des Zerteilens und Verzehrens vollzieht er „das Versprechen einer Berührung, die keine Trennung kennt“. Wie auch, der Liebespartner ist ja sozusagen erst vom Tod geschieden worden.
Doch Herbert, der Herzerlfresser, will nicht nur dem Menschen auf den Grund gehen wie einer Sache, auch die Sprache treibt ihn um: „Ich frag mich oft, warum da aus demselben Loch, in das wir unser Essen stopfen, warum da unsere Sprache auch rauskommt.“ Und er gibt sich selbst die Antwort: „Wir sind doch alle Bauchredner, die Sprache rülpst sich so aus uns heraus. […] Das Essen ist die Fortsetzung der Sprache mit anderen Mitteln“ – und der Kannibalismus die Fortsetzung der Liebe, möchte man ergänzen. Denn für den Herbert ist das muskuläre Hohlorgan, das rhythmisch Blut pumpt, zugleich der Sitz jenes „Splitterganzen, das die Liebe ist“. Doch wer mit dem Fleischermesser an die Liebe herangeht, mit dem wird es kein gutes Ende nehmen.
„Dosenfleisch“ und „Am Beispiel der Butter“ sind die Titel anderer Theatertexte, in denen sich der österreichische Dramatiker Matthias Schweiger (Jg. 1985), der sich den Künstlernamen Ferdinand Schmalz gegeben hat, mit „dem Motiv des Nahrungsverzehrs als kultureller Praktik“ auseinandersetzt, so der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) im Pressetext. Die Regisseurin Hannah Georgi kennt sich mit jüngerer österreichischer Dramatik aus, wie sie bewiesen hat mit ihren Inszenierungen von Ewald Palmetshofer („räuber.schuldengenital“, vgl. Kritik in FK-Heft Nr. 13/14) und Michaela Falkner („Draußen unter freiem Himmel“, WDR 2015). Ihre 45-minütige Hörspielfassung von Ferdinand Schmalz’ Theatertext „Der Herzerlfresser“ setzt auf die rhythmisch durchkonstruierten Sätze, die sich artistisch über einem ähnlich morastigen Grund erheben wie das von Rissen durchzogene Einkaufszentrum.
Als musikalischer Kontrast fungieren triviale Liebeslieder von Heinz Rühmann bis Modern Talking und auch ein paar Zeilen aus dem Couplet „Aber Novak lässt mich nicht verkommen“ von Cissy Kraner und Hugo Wiener. Darunter gluckert und pulsiert das Sounddesign von Georg Zeitblom, der es sich dankenswerterweise verkniffen hat, das „Padum“, das Schmalz als Geräusch eines schlagenden Herzens sprachlich fixiert hat, akustisch zu verdoppeln. So ist Hannah Georgi eine „ganz ungänzliche“ Synthese aus Sprache und Musik gelungen.
Jochen Meißner –Medienkorrespondenz 7/2016
Schreibe einen Kommentar