Die Finalisten des 67. Hörspielpreises der Kriegsblinden 2018

Aus 23 Einreichungen der öffentlich-rechtlichen Sender nebst einer Nachnominierung durch die Jury hat die 15-köpfige Jury des 67. Hörspielpreises der Kriegsblinden auf Ihrer Sitzung am 7. März in Zürich drei Finalisten nominiert: „Coldhaven“ von John Burnside, „Geister sind auch nur Menschen“ von Katia Brunner und „Gold. Revue“ von Jan Wagner. Der Gewinner, der vom Bund der Kriegsblinden Deutschlands e.V. (BKD) und der Film- und Medienstiftung NRW getragenen Auszeichnung, wird am 17. Mai bekannt gegeben. Die Verleihung findet am 29. Mai um 17 Uhr beim Deutschlandfunk in Köln statt und wird von Ute Soldierer moderiert. Die nominierten Hörspiele können auf der Homepage der Film- und Medienstiftung als Stream abgerufen werden. Der Hörspielpreis der Kriegsblinden wird seit 1952 jährlich an ein für einen deutschsprachigen Sender konzipiertes Original-Hörspiel verliehen, das in herausragender Weise die Möglichkeiten der Kunstform realisiert und erweitert.

Coldhaven

von John Burnside, Regie/Komposition/Übersetzung: Klaus Buhlert, eine Produktion des SWR.

John Burnside. Bild: Leonard Burnside.

John Burnside. Bild: Leonard Burnside.

Zum Inhalt:
Coldhaven ist ein fiktives schottisches Küstendorf, das im Bann des geheimnisvollen Verschwindens der 15-Jährigen Cari Matheson vor einem Jahr steht; am Tag des traditionellen Lammas Festes. Cari wurde zuletzt mit dem 17-jährigen, grüblerisch veranlagten Martin Whyte gesehen, der allerdings von der Polizei entlastet wurde. Ein Jahr später ist wieder Lammas Fest, doch Martin Whyte, den das Dorf weiterhin für schuldig hielt, ist tot. Ein namenloser Erzähler blickt auf die Geschichten im Dorf und verknüpft seine Erzählung mit subjektiven Monologen der Bewohner, u.a. auch des toten Martin, der als Geist die Geschichte von damals erzählt.

Jurybegründung:
„Coldhaven“ von John Burnside fasziniert durch seine schwebende Ambiguität und seine sprachlich-tonale Präzision. Es ist gleichzeitig ein zupackend muskulöses Hörspiel über das Verschwinden zweier junger Menschen in einem fiktiven schottischen Dorf und „Geisterspiel“, also ein vielschichtiges, dichtes Sprachgewebe im Äther, das einem Urgefühl des Mediums Radio nahekommt: dem Gefühl von Unbestimmtheit, Ungewissheit und Unheimlichkeit. Alles in diesem Hörstück ist belebt und miteinander verwoben – die Graffiti am verlassenen Bahnhof, die desolaten Häuser, die derben Dorfsprüche und üblen Nachreden. Dinge, Menschen, ihre Gedanken und Geschichten und auch ein Toter sprechen voneinander, mit uns und miteinander, stellenweise auch durch telepathische Verbindung. In Klaus Buhlerts Regie treten die ikonischen Figuren und Begebenheiten sehr direkt und mit hyperrealistischem Touch auf. Sie spielen auf einer feingeschichteten Tonfolie, einem fließenden, ständig präsenten Shift vom Naturalismus zum Übernatürlichen, den man aus Burnsides Werk kennt und der nie Ergebnis eines kalkulierten Konstrukts ist, sondern spürbar auf seinem Welterleben als Autor basiert. Je weiter sich dieses Tongedicht in der Zeit entfaltet, desto stärker werden wir eingesponnen in seine Geste des beredten „Beschweigens“ eines Vorfalls. Die konkrete Verwirrung darüber, wo wir selbst stehen in einem sich ständig verändernden Gemenge aus Ahnungen, Andeutungen, Vermutungen und Informationen, macht diese Geschichte eines Mordes zur hautnah erlebten Parabel über die Wirkungsweisen eines Gerüchts.

 

Geister sind auch nur Menschen

von Katja Brunner, Regie: Erik Altofer, Komposition: Mario Marchisella, eine Produktion des SRF.

Katja Brunner. Bild: Sophie Stieger.

Katja Brunner. Bild: Sophie Stieger.

Zum Inhalt:
Das Altersheim: Eine Zwischenwelt, an der Grenze von Leben und Tod. Katja Brunner lässt sie zu Wort kommen: Die, die nicht vom Leben lassen können, und die, die man nicht aus dem Leben lässt. Sie haben alle noch Bedürfnisse. In „Geister sind auch nur Menschen“ schafft es Katja Brunner, scheinbar klare, fast schon klischierte Situationen ernst zu nehmen: Den alten Mann, der die Welt nur noch aus der Horizontale seines Betts wahrnimmt, und der der Pflegekraft an den Hintern fasst. Die alte Frau, die kein Toilettenpapier mehr hat, und mit vollen Hosen in den Supermarkt geht, unter den gerümpften Blicken der anderen Menschen. Man verabscheut sie, man versteht sie.

Jurybegründung
:
Wie mag es aussehen, im Inneren eines dementen Menschen? Was mag jemand wahrnehmen, der über Achtzig ist und ohne Außenhilfe zu nichts mehr fähig, was die Jüngeren für wesentlich halten? Was findet eigentlich statt auf den langen Fluren und in den Zimmern eines „Aufbewahrungsgebäudes Altersheim“? Und vor allem: Wie fasst eine aufs Radio angepasste Erzählform diese Wirklichkeit? Bis hierhin könnte das Stück noch Reportage sein. Könnte. Denn Katja Brunners Hörspielvision eines Altersheims lässt soziologische Fragen beiseite und bietet in einer Art „Pflegeoper“ mit überraschenden, teils grotesken Sprachbildern eine etwas andere Perspektive auf ein drängendes gesellschaftliches Thema. In Nahaufnahmen und Totalen führt das Hörstück der jungen Autorin in ein Zwischenreich, in dem auch wir als Außenstehende unseren Platz haben. Denn wir, nicht die Bewohner dieses Reiches, weisen ihnen den Status des Nicht-mehr-ganz- da-seins zu. Dass Geister aber doch auch Menschen sind, zeigt der Ist-Zustand, den sich Brunner ausgedacht hat. Sie legt ihren „Senioren“ eine trockene Sprache in den Mund, die sie von ihren Zuständen distanziert, lässt sie „Hämatome wie Blümchenschmuck“ sehen, und die Busyness des Umfelds beklagen mit den Worten: „wie soll man denn Frieden finden, wenn gejoggt wird, dass die Grabplatten klappern“. Im Zusammenspiel mit Regisseur Erik Altorfer entsteht so eine zeitgenössische Danse Macabre.

Gold. Revue

von Jan Wagner, eine Koproduktion des Deutschlandfunks und des SWR.

Jan-Wagner. Bild: Alberto Novelli, Villa Massimo.

Jan-Wagner. Bild: Alberto Novelli, Villa Massimo.

Zum Inhalt:
Es ist Gold, das seit Anbeginn der Dinge ruhte, aber nicht schlief, das nur darauf wartete, gefunden zu werden. Und so rast das Gerücht des Goldes von Dorf zu Stadt, bis die Fabriken und die Büros verstummt sind und nur noch die Schaufeln hunderttausender von Glückssuchern zu hören sind. „Gold“ ist ein lyrisches Stimmenspiel von Jan Wagner, in dem sie alle zu Wort und Gesang kommen: Die Herumtreiber und die Händler, die Schürfer und die Gräber, die Liebenden und Missionare, die Säufer und Spieler, all jene, die mit nichts als ein bisschen Hoffnung in der Tasche ihr altes Dasein für immer hinter sich ließen. Eine Revue zum Rausch, in der die Lebenden und auch die längst vergessenen Toten, verscharrt in der Erde, ein letztes Mal reden dürfen. „Gold. Revue“ ist eine poetische Szenenfolge, ergänzt und gespiegelt von einer Originalmusik des Komponisten Sven-Ingo Koch.

Jurybegründung:
Die katastrophal magnetische Wucht eines Goldrauschs, erzählt in einem großen Bogen von der Entstehung des Metalls bis zur sozialen und körperlichen Zerstörung seiner Follower durch ihre Gier: Unter den Händen des Lyrikers Jan Wagner, des Komponisten Sven-Ingo Koch und des Regisseurs Leonhard Koppelmann entsteht mit „Gold. Revue“ ein vielfacettiges „Lied von der Erde“, das in der sprachlichen Verdichtung anschaulich, wissensgesättigt und klug ist, dass die generischen Anklänge eines Westerns hören lässt und gleichzeitig politisch nachklingt. Unaufdringlich werden Dynamiken von Macht, Versprechen, Ausbeutung ausgesprochen. Und wenn das Stück in seiner Form verblüffen mag, so löst es doch auch die Überzeugung Hannah Arendts ein, dass dichterisches Denken Grundlage aller gesellschaftlichen Erkenntnis sei. Der rhythmische Strom aus Stimmen, Worten, Geräuschen und Tönen verschmelzt in diesem Hörstück mühelos Evolutionsgeschichte mit Mentalitäts- und Gesellschaftsgeschichte und zeigt – interesselos wie das Gold selbst – dessen Beglückungs- und Verwüstungspotential. Verbunden werden die einzelnen Tonvignetten durch Zeilensprünge, die nicht selten subtil komisch verspielt mit einer gleichlautenden Wortsinnverdrehung arbeiten. Im Wechsel von scharfen poetischen Einzelbildern, mentalen Portraitfragmenten und weiten Landschaftspanoramen wird dieses Hörspiel zu einem vielschichtigen, konzentrierten Denk- und Erlebnisraum.

Die Jury des 67. Hörspielpreises der Kriegsblinden:

Blinde Juroren: Paul Baumgartner, Joachim Günzel, Hans-Dieter Hain, Dietrich Plückhahn, Thade Rosenfeldt, Siegfried Saerberg, Christa Schmidt
Fachkritiker: Gaby Hartel (Kulturwissenschaftlerin, Vorsitzende der Jury), David Denk (Autor, Journalist, Süddeutsche Zeitung), , Thomas Irmer (Freier Journalist u.a. Theater der Zeit), Eva-Maria Lenz (Freie Journalistin, FAZ, epd), Doris Plöschberger (Suhrkamp Verlag), Diemut Roether (epd medien), Isabel Zürcher (Kritikerin, Lektorin und Publizistin), Jenni Zylka (Journalistin, Autorin und Moderatorin)

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