Der Trost der Ameisen
Erwin Koch: Fünf beste Tage
SRF 2, Sa, 03.02.2024, 20.00 bis 20.55 Uhr
Der Schweizer Reporter und Schriftsteller Erwin Koch beschäftigt sich seit Jahren mit tragischen Liebesgeschichten, die auf seinen Recherchen beruhen. Jetzt auch in einer fünfteiligen Hörspielreihe, die mit dem Stück „Fünf beste Tage“ beginnt.
„Weißt Du, wer ich gewesen bin?“, fragt Monika Arnold ihren Freund Max Kutter, acht Jahre nachdem sie sich kennengelernt haben und fünf Tage vor ihrem geplanten Tod. Im 55-minütigen Hörspiel „Fünf beste Tage“ des Schweizer Reporters, Schriftstellers und Hörspielautors Erwin Koch erfährt man einiges über Doronomyrmex pacis, die zu Unrecht so genannte „Friedensameise“, die verschiedenen Ausformungen von Leberkrebs und die Telefonnummer der Sterbehilfe-Organisation Exit.
Noch mehr erfährt man allerdings, wie differenziert und vielschichtig man Texte in eine Hörspielform bringen kann, wenn der Komponist und Klangkünstler Stefan Weber sie inszeniert. Erwin Kochs Vorlage besteht aus unterschiedlichen Textsorten. Da ist der klassische Hörspieldialog unter Liebenden ebenso wie ein Polizeiverhör. Da ist die mit viel lateinischem Jargon angereicherte Krebsdiagnose eines Arztes, und da sind wahre Geschichten, die die beiden Liebenden sich erzählen, um einander kurz vor dem Tod noch neu kennenzulernen. Wie beim Gesellschaftsspiel „Stadt, Land, Fluss“ müssen die Geschichten mit dem Buchstaben aus dem Alphabet zu tun haben, das das Gegenüber still vor sich hingesagt hat. Das Themenspektrum reicht von „H“ wie Hirsch – einer Geschichte, in der es um Lauchsuppe gebt – bis hin zu „S“ wie Schamhaar – wo ein Kaninchenfell die Hauptrolle spielt.
In den fünf letzten Tagen vor Monikas Tod findet Max Trost in seiner Leidenschaft für Ameisen, deren pheromongesteuertes Verhalten er als Metapher für gesellschaftliches Zusammenleben beschreibt. Diese Analyse basiert auf dem Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich aus dem Jahr 1969 über „Sozialparasitische Ameisen in der Schweiz“ von einem Hans Kutter, mit dem Max nicht zufällig den Nachnamen teilt. Stefan Weber orchestriert das angemessen bombastisch im Stil eines Hollywoodfilms.
Ein gesellschaftspolitischer Diskurs in Form biologistischer Metaphern, szenische Dialoge, Erzählungen, und eine medizinische Diagnose als Realitätsmarker – aus diesen Bestandteilen könnte man auch reportagenhafte, journalistische Texte zusammenbauen. In diesem Metier kennt sich der Autor Erwin Koch als zweimaliger Egon-Erwin-Kisch-Preisträger gut aus. Und Regisseur Stefan Weber weiß, wie man disparate Elemente mit Katja Reinke als Monika und Vincent Leittersdorf als Max so inszeniert, dass die Geschichten nicht aus dem Ruder laufen. Denn die Realitäten, die man hinter den Geschichten des Journalisten Erwin Koch vermuten darf, wären einem Schriftsteller wohl als zu unglaubwürdig und ausgedacht angekreidet worden.
Beispielsweise wird erzählt, dass Monika eigentlich die aus Liebe zu einem Schreiner vom Glauben abgefallene Nonne Maria Bernadette ist. Doch dieser Schreiner entpuppt sich als dummer Rassist, der ihr die gemeinsame Tochter entziehen wird. Er zeigt sie wegen sexuellen Missbrauchs der Tochter an, weil sie ihr bis zum sechsten Lebensjahr die Brust gegeben haben soll – was zu jenem unangenehmen Polizeiverhör führt.
Bei einem derartigen Übermaß auf der Handlungsebene hilft nur größte Zurückhaltung in der schauspielerischen Umsetzung und der Inszenierung. Wie hingetupft wirken denn auch die akustischen Akzente, die Stefan Weber gesetzt hat, gerade weil das eigentliche Schwere und Dramatische, nämlich der nach der Krebsdiagnose und mehreren erfolglosen Operationen geplante Freitod, die Grundierung bildet, auf der sich das ganze Stück abspielt. Der Schmerz, den diese letzte Entscheidung mit sich bringt, hat hier nichts Überwältigendes sondern eine Rationalität, die ihn vielleicht lindert, aber ihn nicht zum Verschwinden bringen kann. Ähnliches gilt für die Hörspielinszenierung von Stefan Weber, die einen weiter in die Welt des Erwin Koch mitnimmt, als man sonst bereit wäre zu gehen.
„Fünf beste Tage“ bildet den Auftakt zu der Reihe „Wahre Liebe“, die vom 15. bis 29. April auf der Publikumswelle Radio SRF 1 gesendet wird. Alle weiteren Teile nach Texten von Erwin Koch werden von dem SRF-Hörspielredakteur Reto Ott inszeniert.
P.S. Nicht alle Stücke von Erwin Koch handeln von tragischer Liebe. Zusammen mit der Hörspielpremiere von „Fünf beste Tage“ hat der Schweizer Rundfunk auch Kochs satirische Komödie „Der Kongress“ aus dem Jahr 2006 wiederholt und online gestellt. Nicht nur bei Ameisen, sondern auch in menschlichen Gesellschaften spielen Pheromone eine gewisse Rolle – man kann sie am Rande des Kongresses der „Gesellschaft für Humanethologie und Empirische Soziobiologie“ quasi in Aktion beobachten – auch wenn der Paarungserfolg ausbleibt.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 08.02.2024
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