Terror der Ökonomie

René Pollesch: Heidi Hoh arbeitet hier nicht mehr

Deutschlandradio Berlin Mo 12.2.2001, 00.05 bis 1.00 Uhr

Mein Name ist Heidi Hoh, nutz ihn nicht ab“, hieß es im ersten Teil des Stückes (DLR 14.2.2000). Mit „Heidi Hoh arbeitet hier nicht mehr“ hat René Pollesch eine eigenständigen Fortsetzung über seine Titelheldin und ihre namenlosen Mitstreiterinnen – laut Manuskript (abgedruckt in Dezemberheft 2000 von „Theater der Zeit“) mit den Namen Bambi Sickafossee und Gong Scheinpflugova verfasst. Als ‚Subjekte der Globalisierung‘ apostrophierte Tagelöhnerinnen der Generation @ fragen sie sich, wie es zu dem Irrtum kommen konnten, dass der Markt ihr Leben regeln könne. Denn selbst das eigene Zuhause ist kein freundlicher Ort mehr seit die Ökonomie in es eingebrochen ist und es als Büro, Stripbühne oder Online-Einkaufszentrum nutzt. Auf der Suche nach Wirklichkeitsräumen treffen die drei Heidis, die als Telearbeiterinnen oder als an Körpercomputer angeschlossene Mietwagenhostessen ihren sonnigen Lebensstil finanzieren wollen, nur noch auf Webadressen.

Der Gegner ist für ihre Telearbeitsguerilla nur noch virtuell zu besiegen: „Jemand wollte ein Bank überfallen, aber es wurden nur Gefühle verletzt und Festplatten. Geld wurde nicht verletzt.“ Die Zukunft der Arbeit besteht für Pollesch in emotionalem Downsizing, Rationalisierung von allem und jedem und Flexibilisierung als totaler Mobilmachung.

Deregulierte Märkte brauchen deregulierte Emotionen und so reagieren Polleschs Figuren auf den Turbokapitalismus mit erhöhtem Sprechtempo und dereguliertem Geschrei – jedoch immer diesseits der Verständlichkeitsgrenze. Den drei Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs (und ihren großartigen Darstellerinnen Christine Groß, Nina Kronjäger und Claudia Splitt) wird stimmlich einiges abverlangt – und damit auch der Hörerschaft. Mit- und hingerissen von Tempo und Komik kann die sich nur in den genial getimtem musikalischen Atempausen erholen, die mit trivialschönen ‘Plastikliedern’ gefüllt werden. Von Westernmelodien über das Madonna Hip Hop Massaker (deren Sängerin Claudia Splitt ist) bis zur Teenieband Echt. „Du hast keine Liebe in dir“ heißt deren unendlich verkitscher Song. Bei René Pollesch bekommt er fast programmatischen Charakter, der durch eine lautstark vorgetragene Analyse der Gefühls-Ökonomie unterstrichen wird.

„Wir haben schreiende Frauen, lautstarkes Äußern von Unbehagen, Zorn, Einsicht und gleichzeitige Verzweiflung auf der Bühne, ohne jegliche Hysterie-Posen. […] Dass die  Lautstärke, die von den Frauen hergestellt wird, mit Hysterie verwechselt wird, ist, glaube ich,
sexistisches Denken“, sagt René Pollesch im Interview. „Dialoge und Schreiwettbewerb, LAUT versus leise, Clips versus Dialoge, Arien versus Rezitative“, steht als Spielanweisung über dem Text, und die wird auch erfüllt.

In Polleschs Hochgeschwindigkeitsdramatik geht es um das, was man etwas altmodisch Gesellschaftskritik nennen könnte. Feminismus gehört dazu, (Gen-)Technologiekritik und Kritik der ökonomischen Verhältnisse. Für dieses an 1968 gemahnende Programm hat Pollesch (Jahrgang 1962) einen literarischen Ton gefunden, der von fern an Thomas Bernhards manische Wiederholungen und Elfriede Jelineks feministischen Furor erinnert und mit der Dynamik eines Christoph Schlingensief („Rocky Dutschke ’68“) gekoppelt ist. Damit, und mit der totalen Mobilmachung seiner Schauspielerinnen, ist er (hörspiel-)ästhetisch auf der Höhe der Zeit. Auch auf dem Theater feiert Pollesch mit dem immer gleichen und immer variierten Stück Erfolge, ob es nun „Heidi Hoh“, „world wide web slums“, oder „Frau unter Einfluss“ heißt. Vielleicht hat René Pollesch als Dramatiker der Serie gerade damit das gültige Stück zur New Economy geschrieben.

Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 07/2001

Nachruf von Fabian Hinrichs auf René Pollesch (* 29.10.1962 – † 26.02.2024).

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