Der Subtext ist ein Besserwisser
Heike Geißler: Die Woche
MDR Kultur, Mo, 26.06.2023 und 03.07.2023, 22.00 bis 23.15 Uhr
„Die Woche“ aus Heike Geißlers Roman den Titel gegeben hat, spielt in einem Land, das nur aus lauter Montagen besteht. Die sind aber weder Sams- noch „Hedgehog-“ (Murmeltier-)Tage sind, sondern Tage, die von „einem unausgelebten Revoltepotenzial“ erfüllt sind.
Die Stadt, in der die beiden Proletenprinzessinnen aus Heike Geißlers Roman „Die Woche“ wohnen, liegt in jenem Ostdeutschland, in dem montags von Pegida oder Legida gerne demonstriert wurde. Dort, wo man sich seiner vermeintlichen Probleme gerne mal ins Mittelmeer entledigt – oder in Lastwagen, in denen Menschen erfrieren oder ersticken. Hörspielregisseur Stefan Kanis hat Geißlers Roman, der 2022 auf der Shortlist für den Leipziger Buchpreis stand, für das Radio bearbeitet und inszeniert. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) hat das Stück als Zweiteiler auf dem wöchentlichen Hörspieltermin am Montag um 22.00 Uhr auf MDR Kultur gesendet und als siebenteilige Serie mit zwischen 14 und 25 Minuten langen Episoden online gestellt.
Die Hauptfiguren des Stückes sind „Das Ich“ (Anja Schneider) und ihre Freundin „Constanze“ (Katharina Marie Schubert), jene Proletenprinzessinen, die „ein unausgelebtes Revoltepotenzial“ verspüren: „Es liegt eine Pubertät in der Luft und die Stadt ist mit Kundgebungshormonen erfüllt.“ Doch zu mehr, als den protofaschistischen Montagsdemonstrierern ein Transparent mit der Aufschrift „Schämt Euch“ entgegenzuhalten, wird es nicht reichen: „Wir rufen durch die polizeibeladene und wie wir erhitzte Stadt in die Nacht hinein, dass wir uns an all das nicht gewöhnen können, dass wir uns an all das nicht gewöhnen wollen. Dass wir uns aber bedauerlicherweise gewöhnen werden.“ Wie es schon ins Brechts „Lesebuch für Städtebewohner“ heißt, das Regisseur Stefan Kanis immer wieder zitierend einfließen lässt: „Lasst nur eure Hoffnungen fahren / Dass ihr zu Prinzessinnen ausersehen seid. / Aber legt euch ordentlich ins Zeug / Ihr müsst euch ganz anders zusammennehmen / Dass man euch in der Küche duldet.“
Bei Brecht ist zwar von „Präsidenten“ die Rede, aber „Prinzessinnen“ passt natürlich viel besser. Und das nicht nur weil „Das Ich“, als Alter Ego der Autorin, zu Beginn des Hörspiels verkündet, „den Mann“ nicht in ihren Text zu lassen. Das führt nicht nur dazu, dass sie deshalb die Brote für ihre Kinder selbst schmieren muss, sondern auch, dass ihr Nachruf, zu dem sie den Mann gegen Ende des Stück auffordert, nicht gerade schmeichelhaft ausfällt. Natürlich entledigt der sich dieser Aufgabe im Brecht-Style: „Nicht einfallsreich im Erfinden neuer Klagen / Nachdenkend sehr / Sich umschauend auch / Konnte sie doch neue Beschwerden, Anmerkungen, Wünsche nicht liefern / Oder sehr wenige nur.“
Die Geschichte der vergeblichen Revolten begann für die Ich-Erzählerin schon in der DDR, als sie sich, fahnenschwenkend an der Führung vorbeiziehend, jede oppositionelle Geste versagte. Aber auch in der Gegenwart des Stückes kommt ihre Revolte gegen die Gentrifizierung zu spät. Zwei Riesen (Bernhard Schütz und Thomas Thieme) bauen die Stadt ungerührt zu einem Rummelplatz um. Neben dem Ich und Constanze taucht als fatalistischer Zeitgenosse noch der personifizierte Tod (Nicklas Wetzel) auf, während sich außerdem ein unsichtbares Kind (Birte Schnöink) vergeblich bemüht geboren zu werden.
Das alles findet in einem akustischen Ambiente statt, das man Sachsen nicht zugetraut hätte, nämlich in den Soundwelten von Ennio Morricone. Konrad Schreiter als kleiner Trompeter (das lustige Rotgardistenblut) trifft in den Arrangements von Michael Hinze auf Melodien des Filmkomponisten und so erscheinen die Showdowns im Hörspiel meist als Selbstbilder einer heroischen Inszenierung, denen die Protagonistinnen selbst nicht glauben. Denn sie wissen, dass der Subtext ein Besserwisser ist, und das sagen sie auch.
Niemand inszeniert Subtexte auf akustischer Ebene so differenziert wie Regisseur Stefan Kanis. Das war schon in der Hörspielversion von Ingo Schulzes „Deutschlandgerät“ (Kritik hier) so – und nun hier. Denn es sind nicht nur die Morricone-Melodien oder der nahe liegende Gassenhauer „Monday, Monday“ von The Mamas and the Papas, sondern auch DDR-Liedgut wie „Wer möchte nicht im Leben bleiben“ oder „Kleine weiße Friedenstaube“, die von den Schauspielern gesungen werden.
So wird von einem Land erzählt, in dem unabhängig von Wochentag oder Regime immer Montag ist. Und wenn es einmal Dienstag wird, dann kann eine Rückstellung auf Montag behördlich angeordnet werden. „Der Tag ist ein ekelhafter Wiedergänger, der auf Jungspund macht“, heißt es an einer Stelle und an einer anderen: „Die Montage fließen als morsche Knochenbrühe in Richtung Zukunft.“
„Die Woche“ ist traurig und komisch zugleich, ironisch und sarkastisch. Ein zersplitterter Wenderoman, der ganz nebenbei eine Mentalitätsgeschichte erzählt. Das Hörspielinszenierung kann sich mit der Geißlerschen Sprache messen und ergänzt sie um eine unerwartete musikalische Dimension. Selbst in der Konfektionierung als Siebenteiler wird das Stück nicht zur Nummernrevue.
Das Stück wurde von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste zum Hörspiel des Monats Juni gewählt.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 06.07.2023
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