Das Hörspiel als Virus
FM Einheit/Siegfried Zielinski: Radio Freie Modulationen
DLF Kultur. Freitag, 17.02.2024, 0.05 bis 1.00 Uhr.
Von John Cage bis John Peel, von Benjamin bis Burroughs, von Artaud bis zu einer AI (arrificial intelligence) reichen die Fundstücke, die der Musiker FM Einheit und der Medienwissenschaftler Siegfried Zielinski in ihrem diskursiven Klangkunsthörspiel „Radio Freie Modulationen“ zu einer Archäologie des Radios zusammengestellt haben.
In seinem letzten (ungesendeten) Radioprojekt „Lichtenberg. Ein Querschnitt“ warf Walter Benjamin 1932 einen Blick vom Mond aus auf die Erde. Die Mondbewohner verfügten dabei über ein Spektrophon, durch das alles gehört und gesehen werden konnte, was auf der Erde vorging, und über ein Parlamonium, dass die oft lästige Menschenrede in Musik verwandeln konnte. Ähnliches versucht der Musiker und Hörspielmacher FM Einheit zusammen mit dem Medienwissenschaftler Siegfried Zielinski in dem 50-minütigen Hörspiel „Radio Frei Modulationen“, dass für den nächtlichen Klangkunst-Termin von Deutschlandradio Kultur produziert wurde – nämlich alles Relevante aufzunehmen und in Musik zu transformieren.
„Will man den Apparaten auf die Schliche kommen, muss man versuchen ihre sture Absurdität gegen sich selbst auszuspielen“, zitiert Zielinski den Medientheoretiker Vilém Flusser. Doch in Zeiten medialer Echokammern ist es ein frommer Wunsch, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, indem man ihnen ihre eigene Melodie vorspielt. So macht denn das Hörspiel auch gar nicht erst diesen Versuch.
Das Stück verhält sich eher wie ein Virus, dessen destabilisierenden Effekte gegenüber saturierten Systemen der französische Philosoph Jean Baudrillard schon gefeiert hat. Dabei sind Viren völlig abhängige Existenzen und können unmöglich autonom sein, weil sie nur in Relation zu Lebendigem existieren können. Sie stehen dabei in einer ähnlichen Beziehung wie das Klangkunsthörspiel zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Beide können ihre subversiven, transformativen Kräfte entfalten und sich und ihre Umwelt konstruktiv umformen oder auch wieder verschwinden.
Als „Überraschungsgenerator“ erzeugen virale (wie auch künstlerische) Experimente Abweichungen und damit die Voraussetzung für jede Art der Veränderung: „Vorausgesetzt man hält Zukunft noch für möglich“, resümiert Zielinski mit einem Anflug von Fatalismus. Denn dass in einem „prerecorded universe“ die „prerecordings“ nicht voraufgezeichnet sind, ist eine Paradoxie, auf die schon William S. Burroughs hingewiesen hat, der im O-Ton vorkommt und an anderer Stelle schon darauf hingewiesen hatte, dass die Sprache selbst ein Virus sei.
Das Radiostück von FM Einheit und Siegfried Zielinski ist kein Feature, sondern ein assoziatives Stück von hoher Musikalität, denn „Radio Freie Modulationen“ ist ein Digest aus der 25-teiligen Podcast-Reihe „FM Module“ (Staffel 1, Staffel 2, Staffel 3), die Einheit und Zielinski zusammen mit wechselnden Partnern während der Corona-Pandemie für die Plattform musicaAeterna des Dirigenten Teodor Currentzis produziert haben. Deshalb kommen auch eher unerwartete Diskurse vor. Zum Beispiel einer über die Materie, die, zumindest wenn sie radioaktiv zerfällt, eine besondere Beziehung zur Zeit hat – wie das Radio als zeitbasiertes Medium auch. Für Zielinski ist der Schritt von der Materie zum Material nicht weit. Material sei nie passiv, sondern leiste der Bearbeitung Widerstand, sei tätiges Subjekt und nie Objekt: „Aktive Materie ist Sein in der Potenzialität.“
Kontrastiert werden diese und ähnliche Höhenflüge von radiohistorischen Dokumenten. Denn das Stück schreckt weder vor den klangästhetischen Evergreens (John Cage hört im schalltoten Raum sein Nervensystem und seinen Blutkreislauf) noch vor dem Selbstzitat zurück. Nachdem der legendäre Radio-DJ John Peel im Hörspiel „Radio Inferno – Ein Hörspiel in 34 Gesängen nach der ‚Göttlichen Komödie‘“ (BR/HR 1993) eine Übertragung aus der danteschen Hölle ankündigt, erzählt Zielinski von den sowjetischen Elektrotechnikern, die im KZ Buchenwald nicht nur Radioempfänger, sondern auch einen Sender bauen konnten. So konnten sie im April 1945 Hilferufe an die Alliierten übermitteln. „Ich stand in seinem Mantel fror im Wind / der Lärm der Front klang wie ein Liebeslied“ wird kommentierend die Stimme von DDR-Dramatiker Heiner Müller eingespielt – ein Zitat aus dem fünfteiligen Zyklus „Wolokolamsker Chaussee“ und gänzlich anderem Zusammenhang.
Gegen Ende des Stückes wird es dann wieder etwas theoretischer, nämlich in der Diagnose, dass gegenwärtig die Unterschiede von Medienmenschen und Medienmaschinen zum Verschwinden gebracht werden sollen. Wer beobachtet, wie Texte geschrieben und Bilder produziert werden, deren vorrangiges Ziel darin besteht, den Verteilungsalgorithmen großer Medienkonzerne zu gefallen, wird dem kaum widersprechen können. Die Medienlogiken werden Teil des Denkens und machen sich dadurch unsichtbar. Am Schluss kommt das Hörspiel wieder bei Walter Benjamin an, und der Erkenntnis, dass die Erdlinge nur der Illusion anhingen, Meister dieser (Medien-)Welt zu sein.
Was Benjamin schon zu Beginn der Entwicklung des ersten elektronischen Massenmediums wusste, ist von FM Einheit und Siegfried Zielinski ins Heute verlängert und um einiges an Komplexität ergänzt worden. So bildet „Radio Freie Modulationen“ einen würdigen Auftakt zum einhundertjährigen Jubiläum des Radios in Deutschland in diesem Jahr.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 16.02.2023
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