Aus dem Lorbeerbusch der Verdrängung
Christoph Buggert: Im Busch
SR 2 Kultur, Sonntag, 11.02.2024, 17.04 bis 18.11 Uhr.
In Christoph Buggerts Hörspiel für Stimmen, Tiere und Kontrabass ist wortwörtlich etwas „Im Busch“ – nämlich Walter, der von einem Lorbeerbusch aus auf sich und in sich hineinblickt und dabei mit seinem toten Kind spricht.
An sich könnte die Position eines unsichtbaren oder auch nur ungesehenen Beobachters eine recht bequeme sein – wenn man nicht gerade selbst Gegenstand der Beobachtung ist. Walter, der Protagonist von Christoph Buggerts 67-minütigem Hörspiel für Stimmen, Tiere und Kontrabass „Im Busch“, hat sich nämlich einen weniger komfortablen Aussichtspunkt gesucht. Es ist die blickdichte Höhle zwischen zwei immergrünen Gartenlorbeerbüschen auf dem nachbarlichen Grundstück. Gesellschaft bekommt er von den Vögeln und dem Nachbarsdackel Hilko, der sofort den Verdacht schöpft, dass da etwas im Busch ist, was da nicht hingehört.
Warum der Literaturwissenschaftler Walter (Fabian Hinrichs) sich in diese domestizierte Form der Natur zurückgezogen hat, wird schnell klar. Es ist der tote Sohn, den er zusammen mit seiner Frau, der Lehrerin Grit (Annedore Bauer) hat. Vor acht Jahren haben sie ihn während der Schwangerschaft verloren, nachdem bei dem Embryo Trisomie 21 diagnostiziert worden war. Wegen eines Hirninfarkts der Mutter stimmt Walter im Notarztwagen einer Medikamentengabe zu, die das Kind zusätzlich schädigen sollte. „Eine richtige Entscheidung war gar nicht möglich“, sagt Grit später, „aber die falsche Entscheidung hätten wir gemeinsam treffen sollen.“ Nach der Abtreibung des nicht lebensfähigen Kindes sagt sich Walter vor dem OP-Saal: „Wenn es vorbei ist, sorge ich dafür, dass es nie passiert ist.“
Das tragische Ereignis wird also beschwiegen, das Paar bekommt noch zwei gesunde Töchter. Aber mit zwingender Logik kehrt das Verdrängte in Gestalt des mittlerweile achtjährigen Sohnes (Lionel Hesse) wieder. Die Figur des namenlosen Sohnes gibt es, damit der Vater über das reden kann, worüber er sich zu schweigen auferlegt hat.
In Rückblenden wird Grits Rekonvaleszenz erzählt, die nach der halbseitigen Lähmung durch den Schlaganfall erst wieder sprechen und schreiben lernen muss. „Als die Katastrophe passiert ist, hat mein Körper entschieden, was wir nicht entscheiden konnten“, verarbeitet Grit die Tragödie, die ihr zugestoßen ist. Bei Walter ist es sein Bewusstsein, das die Entscheidung getroffen hat, den Schmerz abzuspalten und sich in den Lorbeerbusch zurückzuziehen.
Doch so unbeobachtet und sicher, wie er sich dort wähnt, ist er nicht. Offensichtlich weiß Grit die ganze Zeit, wo sich ihr Mann befindet, was im Hörspiel zu merkwürdig asynchronen „Dialogen“ führt. Die Verbindung dieser beiden zwar verklammerten, aber seit dem Schicksalsschlag nebeneinander herlaufenden Lebenswege wird im Hörspiel durch einen dritten Mitspieler vermittelt: den Kontrabass. Gezupft und gestrichen wird der von Stefan Scheib, einer Hälfte des Saarbrücker Liquid Penguin Ensembles. Die andere Hälfte des Ensembles, Katharina Bihler, hat bei „Im Busch“ Regie geführt. Der Kontrabass weint und schreit, singt und tröstet. Genau das unterscheidet einen verhörspielten von einem für das Hörspiel geschriebenen Text.
„Im Busch“ ist bereits das dritte Werk von Christoph Buggert, dass das Saarbrücker Liquid Penguin Ensemble inszeniert hat. Nach den autobiografisch grundierten Stücken „Ein Nachmittag im Museum der unvergessenen Geräusche“ (SR/MDR 2018) und „Einsteins Zunge – Aus dem Nachlass meines Bruders“ (SR/MDR 2020) ist „Im Busch“ sozusagen der dritte Teil des Spätwerks des mittlerweile 86-jährigen Buggert. Der langjährigen Leiter der Hörspielabteilung des Hessischen Rundfunks hatte 1961 sein erstes Hörspiel („Der blaue Vogel“) geschrieben, wurde 1978 für den ersten Teil seiner Trilogie des bürgerlichen Wahnsinns „Vor dem Ersticken ein Schrei“ mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden und 2020 für „Einsteins Zunge“ mit dem Deutschen Hörspielpreis der ARD ausgezeichnet.
Von Jochen Meißner, KNA Mediendienst 15.02.2024
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