Angst Regiert Dich
Tom Schimmeck: Funkverkehr – Wie Politik zur Nachricht wird
DLF, Mo 18.06.2013, 19.15 bis 20.00 Uhr (gekürzte Fassung) / RBB Kulturradio, Mi 26.06.2013, 22.04 bis 22.59 Uhr /
MDR Figaro, Mi 26.06.2013, 22.00 bis 22.55 Uhr
Natürlich findet das Radiofeature sein Publikum. Im Äther sowieso und manchmal auch im halböffentlichen Raum. Gerne nutzt der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) im ARD-Hauptstadtstudio das vierstöckige glasüberdachte Atrium mit einer Glasfront an der Stirnseite zur Präsentation seiner Features. Aber warum tut er das bloß? Einen akustisch ungeeigneteren Ort wird man lange suchen müssen. Trotzdem hörten am 24. Juni fast 150 Hörer, was der hallige Raum von Tom Schimmecks Feature „Funkverkehr – Wie Politik zur Nachricht wird“ übrig ließ. Doch um Form und Inszenierung dieser Koproduktion von RBB und Deutschlandfunk (DLF) sollte es in der anschließenden Podiumsdiskussion mit dem Autor, dem ARD-Hauptstadtstudiochef Ulrich Deppendorf (WDR), dem Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer und dem „Tagesspiegel“-Medienredakteur Joachim Huber, moderiert von DLF-Chefredakteurin Birgit Wentzien, auch nicht gehen.
Dabei hätte man an der Inszenierung von Matthias Kapohl exemplarisch beobachten können, was die Regie für ein Feature leisten kann, wenn sie sich nicht auf den Wechsel von trockenem Autortext und O-Ton beschränkt. Natürlich hört man, wenn man sich ein wenig mit der Materie auskennt, die Plug-ins für die Radiosounds verschiedener historischer Empfängergenerationen. Auch die atmosphärischen Störungen und Geräusche beim analogen Senderwechsel, die als Sound-Icons für das Radio als akustisches Phänomen stehen, hat man schon öfters gehört und leider kommt so das Radio immer ein wenig antiquiert rüber.
Aber in der Schichtung der Sounds von Pegeltönen, Rückkopplungen, Musik und O Tönen kommentiert die Inszenierung von „Funkverkehr“ den Text und verleiht ihm eine medienadäquate Form. Die Sprecher Jens Harzer und Susanne Pätzold, deren verschiedene Haltungen sich im Spektrum zwischen dem Flüstern eines Live-Reporters dicht am Mikrofon und dem Kommentarton der Empörung bewegt, tragen wesentlich zur Wirkung dieses unterhaltsamen und materialreichen Features bei.
Gründe für gerechte Empörung gibt es genug. Schimmeck beschreibt in geballter Form, wie die Parteien sich seit Jahrzehnten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Beute gemacht haben und als wie normal es die Staatskanzleien und „Freundeskreise“ empfinden, die Personalpolitik der Sender zu machen. Die Schamlosigkeit und Dreistigkeit, mit der der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) als Verwaltungsratsmitglied des ZDF den Chefredakteur des Senders, Nikolaus Brender, abservieren ließ (2009/10), nennt Schimmeck als ein Beispiel von vielen. Brender ist auch einer der wenigen, die hier Klartext reden: „Parteien sind gefräßige Krokodile. Dort, wo sie Macht riechen, werden sie zuschnappen. Das ZDF, als Regierungssender geplant – zu Adenauers Zeiten –, hat das sehr inhaliert, und ich glaube, das gehörte auch zur Genstruktur des ZDF, sich von der Politik abhängig zu machen.“
In der ARD sieht es nicht besser aus. Die ironische Übersetzung ARD = „Angst Regiert Dich“, beschreibt die Erfolge jahrzehntelanger politischer Einflussnahme. Sie führt zu einem Programm, das man als stromlinienförmig beschreiben müsste, würde dieses Adjektiv nicht eine gewisse Eleganz implizieren. „Im Nicht-Anecken macht der öffentlich-rechtliche Rundfunk rasante Fortschritte“, heißt es in Schimmecks Feature. Was dabei herauskommt, kann man beispielsweise an den mittlerweile über 300 Hessen-Sendungen des Dritten Fernsehprogramms des Hessischen Rundfunks (HR) sehen, deren Titel die FK in einer ständig aktualisierten Liste im Internet bereithält.
Beim HR beispielsweise würde denn auch noch richtig „durchregiert“, sagte Schimmeck in der an die Feature-Präsentation anschließende Podiumsdiskussion. Mit der Folge, dass aus Frankfurt auch keine Interviewpartner für das Stück zur Verfügung gestanden hätten. Auch eine so erfolgreiche politische Kontrolle kann also den Programmauftrag und damit die Legitimationsgrundlage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unterminieren – was man dann wieder lautstark beklagen kann, um noch mehr Kontrolle zu fordern.
Doch nicht nur die politische Seite kämpft um eine möglichst positive Darstellung ihrer Interessen. Auch „Strategische Medienberater“, „Issue-Manager“ und „Dialog-Gestalter“, kurz: Lobbyisten bedrängen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – allerdings auf raffiniertere Weise als bayerische oder brandenburgische Pressesprecher, deren eher plumpe Versuche des „Agenda-Settings“ sich mittlerweile selbst das ZDF verbittet. Wenigstens das ist ein kleines Hoffnungszeichen, dass man sich mit diversen höchstrichterlichen Urteilen im Rücken durchaus ein wenig mehr Mut vor Fürstenthronen leisten können sollte. Doch wie sagte schon Karl Valentin: „Mögen täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.“
Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 27/2013
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