Ab jetzt bin ich für dich Mami

Wenn eine britische Forschungsreisende auf eine afrikanische Wassergöttin trifft, könnte daraus etwas Spannendes werden. Im Hörspiel von Demba Sanoh und Frank Maria Reifenberg wird daraus leider nur gut gemeinter Schulfunk.

Demba Sanoh, Frank Maria Reifenberg: Gegen den Strom – Mami Wata und Mary Kingsley

WDR 5, Sa, 22. und 29.06.2025, 19.05 Uhr

Vor den insgesamt 90-minütigen Zweiteiler „Gegen den Strom – Mami Wata und Mary Kingsley“ vom Kinder-, Drehbuch- und Hörspielautor Frank Maria Reifenberg und dem Historiker und mehrfach zertifizierten Diversity-Trainer Demba Sanoh hat der Westdeutsche Rundfunk eine bemerkenswert kurze Triggerwarnung gestellt: „Bitte beachtet: In diesem Hörspiel wird diskriminierende Sprache benutzt.“ Das stimmt, wenn auch in einem anderen Sinne als gemeint. Dass bei einem Stück über die im 19. Jahrhundert lebende britische Forschungsreisende Mary Henrietta Kingsley rassistische Stereotypen vorkommen können, kommt jetzt nicht völlig unerwartet.

Mary Kingsley, die von 1862 bis 1900 lebte, war in Westafrika unterwegs und bewegte sich als alleinreisende Frau durch Kolonien des britischen Empire von Sierra Leone bis nach Angola, betrieb ethnologische Studien und interessierte sich auch für die Fische in den Flüssen. Dabei trifft Kingsley, die im Hörspiel von Gina Haller gespielt wird, auf die Wassergöttin Mami Wata, gespielt von Denise M’Baye, die sich ihrer annimmt.

Im ersten Teil des zweiteiligen Hörspiels „Der Fluss“, geht es um die Expedition Mary Kingsleys zum Fluss Ogooué im heutigen Gabun. Dort will sie zoologische Exponate für das British Museum beschaffen und trifft dabei auf eine Missionarin, die den Eingeborenen „schon Jesu Botschaft eintrichtern“ will, „bis die Zivilisation der Natur vollends Herr geworden ist“. Mary opponiert zwar gegen die Kolonialherren und Reeder, indem sie sagt: „Entdeckergeist und Menschenschinderei müssen keineswegs zwei Seiten einer Medaille sein.“ Andererseits würde aber auch sie die Einheimischen „niemals sich selbst überlassen“.

Es strotz vor Klischees

Alles strotzt nur so vor Klischees und ist gar nicht mal so gut geschrieben und in den Nebenrollen auch nicht wirklich gut gesprochen. Die Paarung von ausgebildeten Schauspielern und Laien unter der Regie von Amelia Umuhire erweist sich als nicht sonderlich glücklich. Natürlich ist es im Hörspiel, das keine Bildinformation hat, um Hautfarbe oder Status auf einen Blick erkennbar zu machen, immer eine Gratwanderung, diese in Sprache, Sprechhaltung oder Duktus abzubilden. Aber die Hauptfigur parlieren und gleichzeitig die Domestiken schon sprachlich eher dumm dastehen zu lassen, ist auch keine optimale Lösung.

Die Göttin Mami Wata kommt demgegenüber öfters aus dem Off und erfüllt alle Erwartungen an kitschige Naturverbundenheit, die man einer edlen Wilden zuschreiben mag. Das gilt jedenfalls bis zum zweiten Teil des Hörspiels, „Der Sprung“, in dem die Göttin Mary Kingsley in die Welt des Jahres 2025 entführt und sie mit den Konsequenzen der kolonialen Geschichte konfrontiert.

Mami Wata kommt dabei wie eine im Körper einer Göttin gefangene Sozialkunde-Lehrerin rüber, die auch mal Spaß haben will. „Ab jetzt bin ich für dich Mami“, bietet sie Mary in einer Londoner Diskothek zu Afrobeats das Du an. Natürlich wird dabei erklärt, woraus sich Afrobeats zusammensetzen. Und einen Grundkurs in „female empowerment“ und Gleichberechtigung sexueller Orientierungen gibt es noch obendrauf, und auch hier wird kein emanzipatorisches Klischee vermieden.

Apologetin des Kolonialismus

Von London geht es nach Berlin ins Humboldt-Forum, wo viele unrechtmäßig erworbene Kulturgüter aus Afrika ausgestellt werden. Auch die Rückgabe der Bronzen aus dem Königreich Benin, das vom transatlantischen Sklavenhandel profitiert hat, wird thematisiert – dankenswerterweise ohne die Kontroverse darum auszublenden. Nächste Station nach Berlin ist eine Klimakonferenz in Dakar im Senegal, bei der die knapper werdende Ressource Wasser verhandelt wird. Von da aus reisen beide zurück ins Jahr 1896 – wobei hier dann auch die Rolle von Mary Kingsley selbst kurz problematisiert wird, die gleichzeitig empathische Forschungsreisende und Apologetin des Kolonialismus war.

Nach 90 Minuten überkommt einen das Gefühl, dass jetzt Arbeitsblätter ausgeteilt werden müssten, die die Themen des Hörspiels vertiefen – und man befindet sich nicht im Deutschunterricht. Denn weder die Figurenzeichnung, noch die Erzählung und ihre sprachliche Ausgestaltung scheinen die Autoren sonderlich interessiert zu haben. Alles ist nur Vehikel für ihre gut gemeinte Botschaft.

Das ist umso bedauerlicher, als der WDR 2017 mit dem Stück „Dienstbare Geister“ von Paul Plamper sämtliche schmerzhafte Ambivalenzen einer weißen Frau, die in Afrika plötzlich zur herrschenden Klasse gehört, aufgearbeitet hat (Kritik hier). Und noch früher, 2013 hat Edgar Lipki in seinem Stück „Feedback Nigger Radio Reservation“ die Bedeutung antikolonialer Diskurse für das Selbstverständnis der Linken (und des Radios) thematisiert (Kritik hier). Nicht nur gegen diese beiden Stücke ist „Gegen den Strom“ leider harmloser Schulfunk.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 27.06.2025

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