Immer nah am Menschen – warum nur?

Mit dem Format „- und jetzt?!“ erprobt das Deutschlandradio eine neue Form des Radio-Features. In den ersten beiden Folgen geht es um die Trennung einer Beziehung, in weiteren Episoden um prekäre Wohnsituationen und schließlich um das Erben.

– und jetzt?! (Doku-Serie)

Anke Stelling, Lola Randl: „Es ist aus –  und jetzt?!“
Karen Muster: „Ich brauche ein Zimmer für mich allein – und jetzt?!“
Joyce Thumbs: „Ich erbe so viel – und jetzt?!“

DLF, 6. und 13.12.2024, 20.05 bis 21.00 Uhr.
DLF Kultur, 10. und 17.12.2024, 22.05 bis 23.00 Uhr

Anke Stelling ist Schriftstellerin und 2019 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet worden, Lola Randl ist Filmemacherin sowie Autorin – und die beiden sind Freundinnen. Für das neue Format „− und jetzt?!“ des Deutschlandfunks haben die beiden ihre Gespräche aufgenommen und gewähren Einblick in ihr Privatleben, in dem die Ehe von Anke gerade in die Brüche geht und sich die Suche nach einem neuen Lebenspartner schwierig gestaltet – trotz oder gerade wegen der Dating-Plattform Bumble.

Wo uns die Kunst die Unterscheidung von Figur und Autor geschenkt hat – auch wenn in der autofiktionalen Literatur an der Auflösung dieser Differenz gearbeitet wird -, so ist diese Unterscheidung in einem dokumentarischen Format wie dem Radiofeature noch schwieriger. Was unter anderem daran liegt, dass man den Text seines Lebens mit der eigenen Stimme beglaubigt, die man hier auch noch selbst im privaten Raum aufnimmt. In Hörspielen von Paul Plamper bis Rosa von Praunheim wird das Spiel mit der Authentizität inszeniert und in vorgegebenen Settings und Handlungssträngen agiert. Und ab und zu dürfen die Akteure auch mal aus der Rolle fallen.

Nicht drin was draufsteht?

Was aber, wenn die Rolle das eigene Leben ist, und man deshalb nicht herausfallen kann? Was, wenn man sein Leben dem Publikum preisgibt und dabei keine Peinlichkeit scheut? Bestenfalls produziert man einen Etikettenschwindel, bei dem „Feature“ draufsteht, wo eigentlich „Hörspiel“ drin ist. Will heißen, die Akteure sind professionell genug, ihre Lebensrolle dem medialen Kontext anzupassen. Im schlimmsten Fall aber wird man zum Star seiner eigenen Reality-Show, dem nichts peinlich ist, weil alles so authentisch gefühlt wird und man ja sowieso nichts zu verbergen hat.

Bei Anke und Lola ist schwer zu unterscheiden, mit welchem Phänomen man es zu tun hat, wie viel gewollte oder unfreiwillige Komik in den ersten beiden Folgen von jeweils mehr als 50 Minuten steckt. „MILFs, Plugs und Freie Schule“ heißt die erste Episode, „Depression, Porno und Metta Meditation“ die zweite. Dass Anke mit 48, wie sie sich in ihrem Bumble-Profil um eine paar Jahre jünger macht, noch genauso unsicher ist, wie mit 18, klingt schon ein bisschen gestellt, so hofft man zumindest. Denn Anlässe zum Fremdschämen gibt es in dem Format genug. Man hat eines versäumt: im Vorfeld Empathie für die Figuren aufzubauen.

Damit wenigsten ein bisschen Außenwelt in die Freundinnen kommt, wird die Pornoproduzentin Paulita Pappel interviewt, die es dann doch nicht für eine so gute therapeutische Maßnahme hält, dass Anke bei einem Porno mitspielt, um sich zu befreien. Sie rät ihr stattdessen dazu, erstmal einen Sexarbeiter zu engagieren.

Das Leben als Dauer-Struggle

Natürlich brauchen auch dokumentarische Formate und insbesondere serielle dokumentarische Formen eine Dramaturgie und einen Spannungsbogen. So wirkt „Es ist aus – und jetzt?!“ so unfertig wie die Skizzen, die als Kacheln in der DLF-App und der ARD-Audiothek den Podcast illustrieren.

„Das Leben ist ein Dauer-Struggle“, „Das Private ist politisch, Du bist nicht allein“. „Echte Konflikte, in real time gelöst“ und „Immer ganz nah dran an den Menschen und ihren Lebens(T)räumen“, sind die Slogans, mit denen eine DLF-Feature-Redakteurin, die in einigen Episoden auch selbst auftritt, für das Format wirbt. Vielleicht zeigt sich in diesen programmatischen Sätzen das Grundproblem des Formats, das in der Illusion besteht, strukturelle Probleme individuell lösen zu können.

Besonders deutlich wird dies in der bereits mit allen vier halbstündigen Folgen online gestellten Serie „Ich brauche ein Zimmer für mich allein – und jetzt?“ von Karen Muster, die mit ihrem mehrfach ausgezeichneten Stück „Arschlochmama – Wenn Eltern und Kinder streiten“ Einblicke in ihr Familienleben gegeben hat. Als Ursache für den permanenten Zwist wird in der Serie die Wohnungsgröße ausgemacht: Auf knapp 80 Quadratmetern kann man sich nicht aus dem Weg gehen oder einfach mal zurückziehen. Auch wenn die prekären Wohnverhältnisse eingeordnet werden – im Haus gegenüber hat ein Fernsehpromi, der in einem Villenviertel mit privatem Sicherheitsdienst wohnt, eine Familie wegen Eigenbedarfs vor die Tür gesetzt -, bleibt die „in Echtzeit“ gefundene Lösung, sich einfach mit den beengten Verhältnissen zu arrangieren.

Problematisches Erben

In den ersten beiden Folgen von „Ich erbe so viel – und jetzt?!“ erzählt Joyce Thumbs, die als queere Kulturschaffende im Ruhrgebiet „mit niederschwelliger Aktionskunst, Punkrock, Rap und Jazzmusik auf die Probleme im kapitalistischen System aufmerksam macht“ – so ihre Charakterisierung auf der DLF-Website -, von ihren Problemen mit ihrem zukünftigen Erbe als Freiin Joyce Ruth Orélie Thumb von Neuburg. Joyce Thumbs ist eine Generation jünger als Karen Muster, Anke Stelling und Lola Randl, was man schon am achtsamen Jargon ihrer Generation hört. Die Dramaturgie folgt hier dem klassischen Muster der Parallelhandlung zwischen dem Haupterzählstrang, der aus Dialogen mit ihrem Vater besteht, und der parallelen Liebesgeschichte mit ihrer Freundin. „Adel, Konsens und Gerechtigkeit“ sowie „Feudalismus, Scham und Mastektomie“ heißen die ersten beiden Episoden. Wie sie das Problem mit ihrem Erbe und das mit ihrer Brustamputation lösen wird, wird man in der zweiten Staffel von „- und jetzt?“ erfahren.

Drängender als die Frage nach dem „Warum“ der skizzenhaften Unfertigkeit und der gewollt laienhaften Rauheit der Stücke ist die Frage, warum gerade jetzt Stücke mit einem so privatistischen Blick ins Programm gehoben und auf mehreren Sendeplätzen im Berliner und Kölner Programm verbreitet werden. Das Radiofeature, das sonst die Welt ins Haus gebracht und/oder mit analytischer Schärfe eben das geliefert hat, auf das man selbst nicht gekommen wäre, adressiert statt des Hirns das Gefühl und spiegelt das, was man schon kennt.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 13.12.2024

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