Warum es in Zeitschleifen um Leben und Tod geht
Albrecht Kunze: A Matter of Life and Death – Über Zeitschleifen als Erzähl- und Überlebens-Technik
SWR 2, So., 7.1.2024, 23.03 bis 0.00 Uhr
Nur in fiktionalen Welten kann man der Kränkung des Ausgeliefertseins an die lineare Zeit entfliehen. Hörspielmacher Albrecht Kunze erkundet in einem Radio-Essay das Problem und Phänomen der Zeit als Erzähl- und Überlebenstechnik.
Egal welche Zeitphänomene in kosmischen Weiten oder subatomaren Einheiten bereits erforscht oder theoretisch modelliert worden sind: Es gibt nichts, was wir gegen die Zeit in ihrer linearen Form tun könnten – jedenfalls nicht in der realen Welt. Deshalb geht es in Albrecht Kunzes 58-minütigem Radio-Essay „A Matter of Matter of Life and Death – Über Zeitschleifen als Erzähl- und Überlebens-Technik“ vor allem um die fiktiven Welten von Erzählungen und Filmen, in denen die Zeit dann doch flexibel, beweglich und formbar ist.
Kunze unterscheidet drei Formen von Zeitschleifen: die „aufgeblähte Zeitschleife“, eine „sich selbst verursachende Zeitschleife“ und die „klassische Zeitschleife“. Letztere ist wohl die geläufigste, weil sie aus Filmen wie „Groundhog Day“ („Und täglich grüßt das Murmeltier“) von Harold Ramis mit Bill Murray aus dem Jahr 1993 bekannt ist. Das Prinzip der Geschichte war schon in der Kurzgeschichte „Twelve Zero One“ („Zwölf Null Eins“) des amerikanischen Science-Fiction-Autors Richard A. Lupoff aus dem Jahr 1973 zu lesen. Dort wiederholte sich allerdings immer nur dieselbe Stunde, nicht gleich ein ganzer Murmeltiertag.
Dass sich nur der Protagonist dieser immer wieder zurückspringende Zeit bewusst ist, scheint eine von insgesamt zehn Regeln zu sein, die Kunze für fiktionale Zeitschleifen identifiziert hat. Eine weitere ist, „dass der Tod für keine der beteiligten Personen ein Ausweg aus den Wiederholungen ist“. Die zehnte Regel besagt schließlich, „dass die Wiederholungen ohne erkennbaren Grund irgendwann enden und dies das Ende der jeweiligen Handlung ist.“
Dramaturgischer Trick
Nun könnte man meinen, dass Zeitschleifen ein ziemlich billiger dramaturgischer Trick sind, um beispielsweise den Lernprozess einer Figur darzustellen. Doch als sogenanntes „plot device“ ist die Konstruktion und die Funktion von Zeitschleifen komplexer. Kunze macht einen Unterschied zwischen der „Geschichte“, als dem was erzählt wird und der „Handlung“, als dem wie die Geschichte erzählt wird. Für jede Geschichte gibt es also eine Vielzahl von Handlungen – und eine Vielzahl solcher plot devices wie „das Rätsel, das gelöst werden“, oder „die Bedrohung, der man entkommen muss“.
Für die „aufgeblähte Zeitschleife“ als plot device hat Albrecht Kunze die 1890 erschienene Kurzgeschichte „An Occurrence at Owl Creek Bridge“ („Ein Zwischenfall auf der Eulenfluss-Brücke“) von Ambrose Bierce gefunden. In der durchlebt ein Todeskandidat im Moment des Erhängens eine glücklich endende Fluchtgeschichte, die überraschend endet, als sich der Strick strafft und ihm das Genick bricht. Hier ist es nach Kunze das „Nicht-Bewusste“, welches sich vom Bewussten abtrennt und so erst im Moment des Todes die aufgeblähte Zeit in sich zusammenfällt.
Selbsterhalt und freier Wille
Eine sich selbst verursachende Zeitschleife findet Kunze erstmals in Robert A. Heinleins Erzählung „By His Bootstraps“ (dt: „Im Kreis“) und später 1958 in dessen Kurzgeschichte „All You Zombies“ (dt. „Entführung in die Zukunft“). Kennzeichen für solche Kausalitätsschleifen ist, dass eine Handlung gleichzeitig Grund für und Folge ihrer selbst ist. Es geht in ihr also um Selbsterhaltung durch Selbstverursachung und Selbstvergewisserung – und nebenbei vielleicht auch noch um Determinismus und die Abwesenheit von Willensfreiheit.
Während sich nach Kunze also die aufgeblähte Zeitschleife in Richtung Tod bewegt, geht es in der sich selbst verursachenden Zeitschleife um das Überleben. In der klassischen Zeitschleife dienen ihre Wiederholungszyklen einer Auseinandersetzung mit dem Leben selbst. Am Schluss des Essays zitiert Kunze dann konsequenterweise Rolf Dieter Brinkmann mit einem Text über das „Weitermachen“ aus der Vorbemerkung zu dessen Gedichtband „Westwärts 1 & 2“, der – ironischerweise – erst nach dem Tod des Autors erschienen ist.
Wiederholung und Rücksprung
Die Form von Albrecht Kunzes Radio-Essay vollzieht die Denkbewegungen, um die es geht. Notwendigerweise gibt es Wiederholungen, die als Rücksprünge funktionieren, wenn der Autor (gesprochen von Katharina Seibold) immer wieder aufschreckt, auf den Bildschirm starrt und ein Déjà-vu erlebt. Denn das Gehirn verarbeite das Wahrgenommene nicht sofort, sondern speichere es erst einmal. So könne das Sich-Wiederholende quasi selbst auf sich aufmerksam machen und einen Reflexionsprozess anregen, der möglicherweise zu der Erklärung führe, dass man in eine Zeitschleife geraten sei.
Albrecht Kunze braucht nur wenige Fachtermini und Fremdwörter, um Zeit als Phänomen und Problem zu beschreiben. Was er allerdings braucht, das sind eingeschobene Nebensätze und angehängte Relativsätze, die seine Gedanken fixieren und sozusagen der Zeit entziehen. Dynamisierende Verben wären da eher störend. Wenn ein Gedanke eine Erweiterung braucht gibt es dafür das für Kunze typische „Und:“ mit Doppelpunkt. Geatmet wird seinen Stücken eher selten – und so sind auch hier der Sprecherin Karolina Seibold die Atmer weggeschnitten worden. Das gibt dem Text nicht nur eine eigene Färbung und Dringlichkeit, sondern auch jenen Kunze-Sound, dem man in jedem Satz, Halbsatz oder Einschub das Bemühen um Genauigkeit anhört.
So sind denn auch die Wiederholungen keine Redundanzen, sondern Verdichtungen im Erkenntnisprozess. Deshalb schadet es nicht, wenn man das Stück auf „Repeat“ stellt. Je öfter man es hört, umso schlauer wird man.
Jochen Meißner, KNA Mediendienst, 04.01.2024
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