Von hier an geht’s bergab – Der Kölner Kongress 2025

Seit 2017 veranstaltet der Deutschlandfunk den „Kölner Kongress“ über das Erzählen in den Medien – dieses Jahr unter dem Motto „Bergab? – Erzählen in schwierigen Zeiten.“

DLF Essay und Diskurs, So, 09.03.2025  bis 13.04.2025, 9.30 bis 10.00 Uhr

Es gibt bestimmte journalistische Routinen und Mechanismen, mit denen die Medien nicht nur ihren Zugriff auf die Realität verbreiten, sondern mit denen sie Realitäten erst schaffen. Jan Böhmermann hat in seinem „ZDF Magazin Royale“ vom 28. Februar unter dem Titel „Politik und Medien und die Stimmung im Land“ darauf hingewiesen. Der Kölner Kongress über das Erzählen in den Medien, zu dem der Deutschlandfunk seit 2017 in sein Funkhaus am Raderberggürtel einlädt, stand in diesem Jahr unter dem Motto „Bergab? – Erzählen ihn schwierigen Zeiten“ und wirkte stellenweise wie eine Fortsetzung von Böhmermanns Thema.

Die Eröffnung übernahm am 7. März hielt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in freier Rede im Gespräch mit dem Organisator des Kongresses, DLF-Redakteur Thorsten Jantschek. Jantschek verantwortet im Programm auch den sonntäglichen Termin „Essay und Diskurs“, auf dem in den nächsten Wochen einige der Vorträge zu hören sein werden.

Pörksen begann seine sehr persönlich gehaltenen Ausführungen mit dem ukrainischen Gastronomen Mischa Katsurin, dessen Vater in Russland lebt und ihm nach dem Beginn der Invasion im Februar 2022 nicht glauben wollte, dass Krieg herrscht. Mit seiner Webseite „Pappa glaub mir“ (auf Russisch „papa pover“) unternahm der Sohn den Versuch, das Dickicht aus Desinformation und „Fake News“ zu durchdringen. Pörksen entwickelte daraus ein Setting kommunikativer Strategien, mit denen man in Dialog treten kann. Mit Hilfe von öffnender Wertschätzung und Perspektivenverschränkung, doppelter Passung und respektvoller Konfrontation soll das Gelingen von Kommunikation wahrscheinlicher gemacht werden. Voraussetzung ist, die Realitätswahrnehmung des Gegenübers anzuerkennen. Darüber hinaus gelte es, ebenso situationsangemessen wie authentisch zu kommunizieren. Das funktioniert natürlich nur, wenn ein „basalelementarer Wertekonsens“ herrscht – will heißen, dass man wirklich miteinander kommunizieren will.

„Manchmal hilft nur die Ächtung“

Dass dies keineswegs selbstverständlich ist, zeigte die Begegnung von Donald Trump, seinem Vize J.D. Vance und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Ende Februar im Oval Office, deren verstörendes Finale in Köln immer wieder thematisiert wurde. „Manchmal hilft da nur die Ächtung“, positionierte sich Pörksen in der Fragerunde nach seinem Vortrag. Zu Pörksens Kritik gehörte aber auch die Herablassung und Häme bei vielen Interview-Routinen. Und da musste man unwillkürlich an die viel kritisierten Interviews von Dirk Müller mit AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel und dem ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow am Tag nach der Bundestagswahl im DLF-Frühprogramm denken.

Gegenüber den Fehlanreizen in den Sozialen Medien empfahl Pörksen die Bildung von Vertrauensgemeinschaften, keine Werbung, keine Anonymität, exzessive Moderation und – außerhalb der Online-Blase – Begegnungen von Angesicht zu Angesicht. Als Journalist müsse man berührbar bleiben, meinte Pörksen. Dass auch das manchmal nicht hilft, zeigt das Ende der Kommunikation zwischen Vater und Sohn Katsurin, die der Vater mit ein paar Propaganda-Phrasen abgebrochen hat. Der Sohn sammelt inzwischen in seinen Restaurants Geld für die ukrainische Armee.

Im Ernüchterungsgeschäft

Eine historische Perspektive auf krisenhafte Transformationen entwickelten die Soziologen Matthias Greffrath und Wolfgang Streeck, die über den „Staat der Industriegesellschaft“ reden wollten und sich dabei von den disruptiven Entwicklungen in Amerika geradezu überrollt sahen. Streeck betrachtete einen früheren Epochenumbruch und diagnostizierte, dass sich der Sozialstaat (auf Englisch „Welfare-State“) im Zusammenhang mit dem kriegführenden Staat („Warfare-State“), entwickelt habe – und das nicht erst mit der Einführung der Witwenfürsorge nach dem Ersten Weltkrieg. Bereits im 19. Jahrhundert sei die Kriegsfähigkeit von Gesellschaften durch körperliche Ertüchtigung und ein staatliches Gesundheitswesen hergestellt worden.

Streeck zitierte aus Walther Rathenaus Buch „Von kommenden Dingen“ aus dem Jahr 1917, in dem der liberale Politiker und Industrielle eine wesentliche gemeinwohlorientierte Maxime formulierte: „Im Staat darf nur einer reich sein, der Staat.“ Was passiert, wenn einige wenige Individuen reicher sind als die meisten Staaten, kann man gerade beobachten. Es sind nicht nur Narrative, die da geändert werden. Doch es sind nicht die Projektionen von Dystopien die Streeck interessieren; er sieht sich eher „im Ernüchterungsgeschäft“, wenn er die Kontinuitäten der Umwälzungen im Kapitalismus betrachtet.

Von der Erlösungserzählungen

„Was aber, wenn es kein Happy End gibt?“, fragte sich der Soziologe Jens Beckert in seinem Vortrag über die „prekäre Zukunft“ und macht sich Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Zeiten der Verluste. Konnten Klassenkonflikte bisher durch Wirtschaftswachstum befriedet werden, schwinden die Verteilungsspielräume – die Fortschrittserzählung komme an ihr Ende, so Beckert. Und der Raubbau an Ressourcen verursache „nicht-intendierte Folgeschäden“, durch die auch die Erlösungsgeschichte von „grünem Wachstum“ an Glaubwürdigkeit verliere.

Zu konkret hingegen sind die Erlösungserzählungen der Kirchen – insbesondere der evangelischen – für die Politikwissenschaftlerin und „Welt“-Journalistin Hannah Bethge. Statt als „Bundeswerteagentur“ zu agieren, wie der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, seine Kirche bezeichnet hat, solle sie sich auf ihr „Kerngeschäft“ konzentrieren. Besonders die Morgenandachten im Rundfunk fanden ihr Missfallen, wegen ihrer allzu oft anekdotischen Form. „Bis zur Selbstaufgabe politisiert und theologisch ausgehöhlt“ sieht die gläubige Protestantin hier ihre Kirche.

Die neue Empfindlichkeit

Mit einer anderen Autorität, nämlich der des Staates, beschäftigte sich die Strafrechtsprofessorin Frauke Rostalski, die in ihrem aktuellen Buch „Die vulnerable Gesellschaft“ über die neue Verletzlichkeit als Herausforderung der Freiheit sprach. Während auf der einen Seite „gefühlt“ die Meinungsfreiheit immer weiter eingeschränkt werde – was die Wirkung eines gern kolportierten rechtspopulistisches Opfernarrativ ist – sei man auf der anderen Seite immer empfindlicher geworden. Was natürlich auch mit den Reichweiten der Sozialen Medien zu tun hat.

So habe die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann in den letzten Jahren 1.900 Strafanzeigen gestellt. Im Strafrecht werden die Beleidigungstatbestände ausgeweitet – und das nicht nur im Bereich der Volksverhetzung. Was früher noch als Bagatelle behandelt werden konnte, wird heute sensibler gehandhabt. Rostalski plädiert dagegen, hier besser eine gewisse Resilienz zu entwickeln und gerade nicht auf die Ausweitung der Kompetenzen des Staates zu setzen. Wie dieser liberale Ansatz mit den auf Emotionsbewirtschaftung ausgerichteten Algorithmen der Sozialen Netzwerke funktionieren kann, ist dabei eine allerdings offene Frage.

Kultur und Systemrelevanz

Die institutionelle Bewältigung des Problems auf zivilgesellschaftlicher Ebene durch Verhaltenskodizes („Codes of Conduct“) lehnte die Intendantin der Bundeskunsthalle, Eva Kraus, in ihrem Vortrag zur „Zukunft der Kultur in Zeiten knapper Kassen“ ab. Sie plädierte dafür, die Freiräume der Kunst zu respektieren und die Kulturförderung als Staatsziel in die Verfassung aufzunehmen – auch um der weiteren Auszehrung des Kulturbetriebs entgegenzuwirken. Und das nicht nur, weil die Kreativwirtschaft sieben Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitrage, so Kraus, sondern vor allem, „weil sie systemrelevant für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist“.

Den Schlussakkord beim Kölner Kongress setzte der Soziologe und Kulturwissenschaftler Claus Leggewie, der die Entwicklungen, die Greffrath und Streeck historisch hergeleitet hatten, in die Zukunft verlängerte. Bereits seit US-Präsident Ronald Reagan und die britische Premierministerin Margaret Thatcher die Marktkräfte entfesselt hätten, sei die Erzählung von Fortschritt für Freiheit, Gleichheit und Demokratie brüchig geworden, so Leggewie. Derzeit sieht er eine Herrschaftsform auf dem Vormarsch, die er im Anschluss an Max Weber als „Patrimonialismus“ beschreibt. Donald Trump beanspruche trotz beziehungsweise gerade wegen seiner „neronischen Flatterhaftigkeit“, so Leggewie, die Loyalität seiner Vasallen und Untertanen, die man früher Staatsbürger genannt habe, für sich persönlich. Dazu gehöre auch die Abschaffung dessen, was Max Weber als das bürokratisch-legale System genannt hat, das aber auf Sachlichkeit, Unpersönlichkeit und Berechenbarkeit basiert und gegenwärtig in Amerika durch den Milliardär Elon Musk unter dem Vorwand der Effizienzsteigerung demontiert wird.

Kardinalfragen des Erzählens

Wie aber davon erzählen? Neben den Vorträgen präsentiert der Kölner Kongress zeitlich versetzt in einem zweiten Vortragssaal immer auch aktuelle Beispiele von Radioformaten, die sich dieser Herausforderung stellen. Christine Watty und Jan Fraune präsentieren in ihrem Vierteiler „Who killed Tupper – Aufstieg und Fall einer Dose“ eine Wirtschaftsgeschichte als True-Crime-Story. Lisa Steck, Christoph Spittler und Manuel Gogos beschreiben in „Das Verschwinden der Warenhäuser“ die Geschichte eines Verlustes, indem sie die Etagen eines Kaufhauses vom Keller bis zur Dachterrasse als narrative Strukturelemente inszenieren.

Der Podcast „Crashkurs – Wirtschaft trifft Geschichte“ geht gerade in die zweite Staffel und bemüht sich weiter, Phänomene wie Inflation, Wohnungsnot, die Vier-Tage-Woche, aber auch die Rettung der Ozonschicht und das Wirtschaftswachstum aus historischer Perspektive zu betrachten. Dabei stoßen Eva Bahner und Dorothee Holz immer wieder auf die gleichen Argumente, die sie mit O-Tönen aus den Archiven der ARD und des Deutschlandradios belegen. So kann Wirtschaftsberichterstattung jenseits der Tagesaktualität funktionieren. Auch das Live-Hörspiel „Hallo, ich bin Geld“ von der Theater- und Performance-Gruppen „Frauen und Fiktion“ (Kritik hier) probiert einen neuen Zugang zum Thema – indem sie dem Zahlungsmittel selbst eine Stimme gibt.

Empathiebefreite Reduktion auf Zahlen

Für den Sendeplatz „Systemfragen“ haben sich Kathrin Kühn, Stephanie Gebert und Maximilian Brose die Frage „Wie gelingt Integration?“ gestellt, die auch den Titel ihrer vierteiligen Serie bildet. Damit wird dem Narrativ entgegengewirkt, das sonst Schicksale von Menschen empathiebefreit gerne auf Zahlen reduziert. „Die Zahlen müssen runter“, war im letzten Bundestagswahlkampf ein oft gehörter Spruch. Demgegenüber ist dieses Format ein Beispiel für Best Practice im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der eben nicht nur das reproduziert und verstärkt, was die Leute angeblich hören wollen.

Zu einem der Ursprünge des Erzählens kehrte die 67-teilige Serie mit Geschichten aus „1001 Nacht“ (Kritik hier) zurück, die in der Neuübersetzung von Claudia Ott buchstäblich die Überlebenswichtigkeit des Erzählens belegt. Freuen kann man sich auf den Zehnteiler „Die Erschöpften“ von Autor und Regisseur Oliver Sturm, in dem Thomas Manns „Zauberberg“ auf die britische Fernsehserie „White Lotus“ trifft. Ausgangspunkt der Handlung von Sturms Near-Future-Serie ist ein Urlaubsgewährungsgesetz, das die urlaubsreifen Arbeitnehmer dazu verpflichtet ihre Urlaubsfähigkeit nachzuweisen. Gelingt das nicht, wird in speziellen „Pre-Holiday-Kliniken“ das Urlauben geübt.

Die Erschöpften

Erschöpfung ist eine ziemlich gute Beschreibung für den gegenwärtigen Zustand des Medienkonsumenten. Dabei ist dieser Zustand von bestimmten Akteuren gewollt und wird von geneigten Politikern hergestellt wird. Die Programme dafür sind bekannt. Sie heißen „Project 2025“, wie das der US-amerikanischen Heritage-Foundation, die die Grundzüge für Trumps zweite Amtszeit vorskizzierte. Oder sie lassen sich berühmte Formel „flood the zone with shit“ von Trumps früherem Berater Steve Bannon bringen. Auch sechs Jahre nachdem Bannon dieses fäkale Projekt aus der Taufe gehoben hat, konnte man beim Kölner Kongress immer noch eine gewisse Hilflosigkeit erkennen, wie medial-erzählerisch mit dem Gestank umgegangen werden kann, soll und muss.

In Anlehnung an Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ riet Thorsten Jantschek, dabei nicht nur den Wirklichkeits- sondern auch den Möglichkeitssinn anzusprechen: „So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als Fähigkeit definieren, alles, was ebenso gut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.“ Denn wenn man über jedes Stöckchen springt, was einem hingehalten wird, geht es nur noch bergab.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 14.03.2025

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