Verpuppungszusammenhänge

Jens Nielsen: Ihre Stelle ist gesichert

SRF 2, 23.3.2024, 20.00 bis 21.03 Uhr

Drei Protokolle von Jens Nielsen aus dem immerfort weiter vorauseilenden Zeitalter der Arbeit hat der Schweizer Rundfunk als Hörspiel inszeniert. Herausgekommen sind drei Geistergeschichten in filigranem Sounddesign.

Seit seinen frühen Tagen hat sich das Hörspiel mit den Welten der Arbeit beschäftigt. Ob Anfang der 1930er Jahre in künstlerischer Verdichtung, wie in den Stücken von Hermann Kasack („Eine Stimme von Tausend“) und Karlaugust Düppengießer („Toter Mann“), ob 1969 im O-Ton wie in Erika Runge „Bottroper Protokollen“ oder ob als deregulierte Exaltation wie zu Beginn der 2000er in der Heidi-Hoh-Trilogie von René Pollesch. Jetzt hat der Schweizer Schriftsteller und Dramatiker Jens Nielsen mit seinem Hörspiel „Ihre Stelle ist gesichert“ das Themenfeld um das Genre der Geistergeschichte erweitert.

Bei Pollesch waren die „Telearbeiter“ nicht mehr nur dazu aufgefordert, zu arbeiten wie Künstler – will heißen ihre ganze Persönlichkeit in den Dienst der Profitoptimierung zu stellen – sondern zu arbeiten wie „postfordistische Junkies“. In Jens Nielsens „Drei Protokollen aus dem immerfort weiter vorauseilenden Zeitalter der Arbeit“, wie er sein Stück untertitelt hat, arbeiten die Figuren nicht mehr wie Künstler oder Junkies, sie arbeiten eher wie Zombies. Doch das Leitbild ist das jener Automaten, die seit dem 18. Jahrhundert, von Aufziehmechaniken angetrieben, ihrer Programmierung folgten. Unter Bedingungen der Dienstleistungsgesellschaft erfordert das natürlich ein paar Modifikationen, die stets zulasten des Individuums gehen.

Es sind drei Monologe, inszeniert von drei Regisseuren, die von der Komposition und dem filigranen Sounddesign von Florentin Berger-Monit und Johannes Wernicke zusammengehalten werden. Darin eingewoben sind Popsongs wie „Space Oddity“ von David Bowie, „A well respected man“ von den Kinks bis hin zu „Don’t let me be misunderstood“ – als Spieluhrversionen. Die letzten fünf Minuten des 63-minütigen Hörspiels bestehen ausschließlich aus einer Soundkomposition, die musikalische wie textliche Motive des Hörspiels wiederaufnimmt.

Arbeit als funktionsloses Faktotum

SRF-Hörspielredakteurin Susanne Jansson hat den ersten Monolog eines Zugabteil-Leiters inszeniert, der von Thomas Sarbacher gesprochen wird. „Meine Arbeit ist die Dienstbereitschaft“ wird er von sich selbst sagen – und mehr scheint es auch nicht zu sein: „Ich entscheide über keine Mittel / Ich bestimme über keine Waren / Kein Werkzeug oder Material / Mir obliegt keine Kontrolle / Nicht einmal der Schlüssel zum Abteil befindet sich bei mir“. Um einen Dienst ist dieses Vorbild für die Dienstbereitschaft schon lange nicht mehr gebeten worden und so sitzt er als weitgehend funktionsloses Faktotum auf seinem Platz und wird als leicht unheimliche Attraktion von den Fahrgästen beobachtet. Die Sprache, die Jens Nielsen ihm gegeben hat, ist rhythmisch geschliffen, die Jamben sitzen.

Der zweite Monolog, inszeniert vom Hamburger Hörspiel- und Theaterregisseur Henri Hüster und gesprochen von Lara Sienczack, handelt von einer ähnlich dysfunktionalen Existenz, die irgendwo zwischen Telefonmarketing und Geschäftskommunikation von zu Hause aus arbeitet. Einen Bakelit-Telefonhörer in der Hand, dessen Kabel sie – gewöhnt an drahtlose Geräte – längst durchgeschnitten hat. Unterdessen wird die Welt draußen von riesenhaften Kindern godzillahaft dominiert, die über die Autobahnen trampeln und ebenso unvermittelt verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. „Es ging um die Rettung möglichst vieler Konsumenten / Gleichzeitig um die Nutzung dieses Kinderpotenzials“, wird das „Mindset“ der Protagonistin beschrieben, die sich am Schluss in eines jener Riesenkinder zu verwandeln scheint.

Frau im Fahrstuhl

Im dritten Monolog, inszeniert von der freien Hörspielmacherin Bettie I. Alfred aus Berlin, spielt die Regisseurin selbst eine Angestellte auf der Suche nach dem Gebäude, in dem sie ihren neuen Job antreten soll. Hilflos wie der „Mann im Fahrstuhl“ von Heiner Müller, der sich irgendwann auf einer Ebene in Peru wiederfindet, hetzt sie durch anonyme Büroetagen. Auf ihrem Weg schrumpft und altert sie und richtet sich schließlich im Aufzug ein. Sie scheint sich in ein Tier verwandelt zu haben, das von den Angestellten gefüttert wird und dem sie ihre Sorgen erzählen. Funktional gleicht dieses Tier jenen mechanischen Puppen, deren abstrakte Sounds man das ganze Hörspiel über schon gehört hat.

Zwischen die Monologe hat Jens Nielsen ein Gedicht gesetzt, das auf seiner Website als „Arbeiterlied“ bezeichnet wird. Es beginnt mit den Zeilen: „Wir kommen uns mechanisch vor / Man zieht uns früh am Morgen auf / Mit einem Schlüsselchen am Rücken / Dann rattern wir tagein tagaus / Bis unser Uhrwerk fertig abschnurrt“. Hier wäre „abgeschnurrt“ rhythmisch und inhaltlich präziser, aber das ist Jammern auf hohem Niveau.

Die Figuren in Jens Nielsens Hörspiel besetzen objektiv zwar Stellen, die wegfallen könnten, erfüllen aber durch ihre Verpuppungsprozesse Funktionen, die weniger mit einem fordistischen Arbeitsbegriff zu tun haben, als mit Metaphänomenen der Ökonomisierung aller Lebensbereiche, nämlich permanenter Verfügbarkeit und/oder Dienstbereitschaft, disruptiver Zerstörung und deren therapeutischer Kompensation.

Jochen Meißner, KNA Mediendienst – 28.03.2024

Update 14.7.2024: Ausführlich dazu Paul Weber: Protokolle der subjektiven Realität

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