Verheerenden Wirkungen

Björn SC Deigner: Zeit wie im Fieber (Büchner-Schrapnell)

 SWR Kultur, Sa, 08.06.2024, 23.03 Uhr bis 0.00 Uhr

In Björn SC Deigners als „Büchner-Schrapnell“ untertitelten Hörspiel „Zeit wie im Fieber“ sind die Zeiten so finster, dass man Spiegel auf den Bergen aufstellen muss, um Licht ins Dunkel zu bringen.

„Es ist der Gleichmut, der alles zuschanden gehen lässt. Ich möcht’s erleben, wenn sich alle an den Kopf fassen und die Frage am Schädel kratzt: wie nur konnten wir so sein“, lautet die Frage, die sich Lena am Ende von Björn SC Deigners 53-minütigem Hörspiel „Zeit wie im Fieber (Büchner-Schrapnell)“ stellt. Der Name Lena erinnert an die Prinzessin aus dem Lande Pipi aus Georg Büchners satirischem Lustspiel „Leonce und Lena“. Gespielt wird Lena von Sylvana Krappatsch, der Paula Skorupa als Julie gegenüberseht; Julie, das ist wohl Dantons Frau aus Büchners Drama „Dantons Tod“.

In Nebenrollen treten unter anderem eine „Ärztlerin“, ein König, ein Bäcker, eine „wutige Bürgerin“ und ein dreiköpfiges „talentiertes Pferd“ auf – ohne geschlechtliche Zuordnung gespielt von Gabriele Hintermaier, Marco Massafra und David Müller – eben jenem Ensemble, das das Stück schon am Schauspiel Stuttgart aufgeführt hat. Dort inszenierte Zino Wey, der nun auch die Hörspielfassung besorgt hat. Die Komposition von Lukas Huber, die auf der Theaterbühne von einem mechanischen Klavier erledigt wird, zitiert ein wenig Beethoven („Für Elise“, „Mondscheinsonate“) und Mozart („A-Dur Sonate“), gibt dem Stück aber auch eine gewisse Schwere, die mit den Frauenstimmen Lena und Julie kontrastiert.

Radikal-Sein in einer ineinanderverworrenen Welt

Das Setting für das Auftragswerk des Schauspiels Stuttgart ist „in der Enge eines Kessels. am Hang einer Stadt. und an deren Rändern“ – ein Ort also an dem man Spiegel auf den Bergen aufstellen muss, um Licht in den Talkessel zu werfen. Ein Ort auch wie geschaffen, um Druck aufzubauen. Druck, der sich irgendwann entladen muss – und möglicherweise in einer Verpuffungsreaktion die Kugeln aus einer Artilleriegranate freisetzt, die bei weichen Zielen verheerende Wirkungen auslöst. Im Hörspiel schneiden die Schrapnellkugeln, die zu Büchners Zeiten auf den Schlachtfeldern als ‚Granatkartätschen‘ eingesetzt wurden, nur metaphorisch durch die Synapsen und „werfen die Gedanken in neue Bahnen“.

Wie man sich in der „ineinanderverworren“ Welt zurechtfinden soll, ohne das Radikal-Sein im Denken nicht zu verlernen, diese Frage stellt Lena am Anfang des Stückes sich und Julie. Und sie ist nicht leicht zu beantworten. Denn: „Denken oder Grübeln, das heißt Pfeile werfen oder sich im Kreise drehen. Und man selber merkt den Unterschied oft gar nicht.“

Die, deren Grübeln sich im Kreise dreht, sind die Bürger, die ressentimentgeladen gegen „Die-da-oben“ wüten und gleichzeitig meinen, dass das Volk nicht herrschen kann. Die gleichzeitig an eine an die Erde gebundene, völkische Identität glauben und jedem Volksgenossen „den Hals wegschneiden“ wollen, den sie als Verräter an dieser Idee identifizieren.

Doch bei denen, die die Pfeile des Denkens werfen, wird es nicht notwendigerweise besser: „Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht“, zitiert Lena aus dem Text einer Journalistin aus dem Jahr 1968, verfasst nach dem Attentat auf Rudi Dutschke. Der Name der Journalistin war Ulrike Meinhof. Julie muss sich später von dem „talentierten Pferd“ in der dritten Person Singular belehren lassen: „Auch Sie glaubt, Sie sei die Revolution. und hat ja doch nur Blut an Ihren Händen.“

Stolpersteine der Vergangenheit

Im prosodischen Duktus Büchners eröffnet Björn SC Deigner, der sich schon in seinem Stück „Die Polizey“ (DLF Kultur 2022, vgl. MD 29/22) der Sprache Friedrich Schillers anverwandelt hat, einen Denkraum, in dem die Zuordnungen oppositioneller Diskurse unscharf werden. Die „Revolution des Reichtums“, symbolisiert durch das dreiköpfige Pferd, dem hydragleich immer neue Köpfe wachsen, wenn man einen abschlägt, würde heute eher den Begriff „Disruption“ für sich beanspruchen. Und die Ideologie der Disruption kommt gerne als Naturgewalt daher und ist daher anschlussfähig an die anti-aufklärerischen und völkisch-identitären Vorstellungen des Wutbürgertums.

Björn SC Deigners Stück über die Möglichkeiten politischen Handelns funktioniert deshalb trotz der fast archaisch anmutenden Sprache Büchners und jenseits der Stanzen der gegenwärtigen Diskurse. Weil, wie es im Stück heißt, die Gegenwart eine löchrige Decke ist, durch die die Vergangenheit ragt, wie ein alter Stein, über den man immer wieder ins Stolpern kommt. Die Konsequenz, die Deigner in seinem Stück „Zeit wie im Fieber“ zieht, stammt von Heiner Müller: „Der Weg ist nicht zu Ende, [auch] wenn das Ziel explodiert.“ Das trotzige „auch“ hat Deigner hinzugefügt.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 6.6.2024

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