Träge Eskalationen und erfolgreiches Scheitern
Im neuem Hörspiel von Hermann Bohlen und Judith Lorentz sitzt das brandenburgische Dörfchen Quitzow buchstäblich auf dem Trockenen. Die Bäume werfen ihre Blätter ab und die Hühner legen keine Eier mehr. Da kann nur eine künstliche Wanderdüne als Zeichen der Verwüstung helfen.
So richtig hat Thelmas (Thelma Buabeng) „Ayahuasca-Retreat“ im brandenburgischen Dorf Quitzow noch nie funktioniert. Was unter anderem an den etwas verpeilten Dorfpunks Mike (Johannes Benecke) und Raik (Andreas Döhler) lag, die in der Scheune der zugewanderten Berliner Hahnenkämpfe mit ‚Mexikaner-Klingen’ veranstalten wollten. Nach dem Zweiteiler „Hahnenkampf in Quitzow“ (RBB 2021) legen Hermann Bohlen und seine Frau, die Regisseurin Judith Lorentz, jetzt mit dem ebenfalls zweiteiligen Hörspiel „Quitzow auf dem Trockenen“ nach.
Ein Stück wie die Hitze, über die Hitze in der Hitze. Das Geraschel der abgestorbenen Maispflanzen hört sich für die Dorfbewohner wie Totengeraschel an. Die Kirschbäume, die „als letztes Ass im Ärmel“ ihre Blätter abwerfen, werden vermutlich auch nicht überleben. Und die „Oliven“, die von den Bäumen ploppen sind eigentlich Pflaumen, die grün vom Baum fallen, weil es kein Grundwasser gibt – „vier Meter tief nur Trockenheit“.
Und wenn selbst aus dem Hahn kein Wasser mehr kommt, obwohl das Wasserwerk eine störungsfreie Versorgung meldet, dann muss man zur Selbsthilfe greifen. Während der Dorfbösewicht Günther (Jaecki Schwarz) das Wasser für seinen andalusischen Brunnen monopolisiert, wollen die Zugezogenen eine Regenwasserauffanganlage auf ihr 3.000-Quadratmeter-Dach setzen und die alte Güllegrube zur Zisterne umbauen: „Wir müssen denken wie die Araber.“
Doch erst suchen Mike und Raik noch mittels eines alten Lecksuchmikrofons für Installateure, wo das Wasser abgeblieben ist. Eine Bedienungsanleitung gibt es nicht, dafür eine Schallplatte, in der Geräusche der akustischen Lecksuche zu hören sind. Ironischerweise haben die unterschiedlichen Filtereinstellung der Mikrofonsonde kaum Auswirkungen auf das hörbare Ergebnis, was auf der Schallplatte auch unumwunden zugegeben wird: „Sie erkennen an dieser Demonstration, dass das Einschalten dieser Filterstufen keine Vorteile bringt.“
Während sich Mike und Raik noch ob der unfreiwilligen Komik und des ingenieurhaften Jargons der Schallplatte beömmeln, verschärft sich die Situation. Das Land lobt 2.000 Euro Schlachtprämie für die Kühe aus, macht bei 50 Kühen 100.000 Euro. Zusätzlich soll jeder selbst entscheiden, wie viele Pferde er sich leisten kann.
Es ist eine träge Eskalation, die in dem insgesamt 93-minütigen Hörspiel auch so erzählt wird. Die Figurenzeichnung ergibt sich aus den Dialogen ganz von selbst und das Personal der horizontal erzählten Geschichte bekommt unter dem Trockenheitsstress immer mehr Plastizität.
Judith Lorentz und Hermann Bohlen, die auch gemeinsam Regie geführt haben, haben das Hörspiel vor Ort aufgenommen, und es teilt sich mit, dass man keine Schauspieler hinter Stehpulten in einem sterilen Tonstudio hört. Gleichzeitig wird aber nicht ein platter Realismus des vermeintlich Authentischen bedient, sondern auf der Soundebene die Künstlichkeit betont. Dazu sind unter anderem die Sounds des Lecksuchmikrofons und das enervierend hochfrequente Surren einer Drohne, mit der Mike und Raik die Nachbarschaft ausspionieren, verwendet worden.
Dabei ist nichts so plausibel wie der ganz alltägliche Wahnsinn in der Provinz. Um die Regenwasserauffanganlage endlich gefördert zu bekommen, werden einfach ein paar Ladungen Sand über ein altes Schrottauto gekippt – fertig ist das Symbol der Verwüstung. Den Sand holt man sich von Günthers unter Naturschutz stehender Magerwiese. Der wird schon nichts dagegen haben, weil man ihn sonst wegen seines andalusischen Brunnens anzeigen wird.
Wenn jeder alles über jeden weiß, ergibt sich zwangsläufig ein gewisses Potenzial für Intrigen, Erpressungen und paradoxerweise für erfolgreiches (und komisches) Scheitern. Weil es sich um ein Hörspiel von Hermann Bohlen handelt, ist das Ganze nicht nur mit großer Sympathie für seine durchaus nicht unfehlbaren Charaktere, sondern auch mit subtilem Humor erzählt. Und einen Cliffhanger für ein weiteres Quitzow-Stück gibt es auch.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 17.06.2023
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