Tonfilm mit Audiodeskription

Maxim Biller: Kein König in Israel

SWR Kultur, Sa, 06.10.2024, 0.05 bis 1.26 Uhr

Der Romancier und Kolumnist Maxim Biller hat sein erstes Hörspiel geschrieben. Hat er wirklich? Und Regisseur Dominik Graf habe „seit langem keinen so guten Film gemacht wie dieses Hörspiel“, meint Biller. Ist das so?

Josef Chaim Brenner, 1881 im russischen Kaiserreich geboren, Schriftsteller und Übersetzer, Gewerkschafter und Zionist, ging im Februar 1909 nach Palästina. Zwölf Jahre später wird er während antijüdischer Pogrome von arabischen Nationalisten grausam ermordet werden. Der Romancier und Kolumnist Maxim Biller schildert das widersprüchliche Leben der realen Figur Brenner in seinem für das Hörspiel verfassten Text „Kein König in Israel“. Südwestrundfunk-Dramaturg Manfred Hess konnte den Film- und Fernsehregisseur Dominik Graf gewinnen, der damit sein erstes Hörspiel inszenierte. Zur Seite standen ihm die hörspielerfahrenen Komponisten und Musiker Florian Van Volxem und Sven Rossenbach, die auch sonst Grafs Filme vertonen.

„Hörspiel ist wie Stummfilm – nur umgekehrt“, lautet ein Bonmot des Schriftstellers und Hörspielautors Urs Widmer. Als Karl-Sczuka- und Kriegsblinden-Preisträger wusste Widmer, wovon er redete. Maxim Biller erklärt in einem Interview mit dem SWR „nett gemeint und voller Bewunderung“, sein Regisseur Dominik Graf habe „seit langem keinen so guten Film gemacht wie dieses Hörspiel“, und fährt fort: Das sei ein großer Film geworden und das sei ja gar kein Hörspiel mehr.

Pure Literatur

Da ahnt man schon, dass Biller eher so gar keine Ahnung davon hat, was im Hörspiel in den letzten fünfzig Jahren so passiert ist, geschweige denn, was darin möglich ist. So ist zum Beispiel wörtliche Rede im Film, Theater und selbst im Hörspiel nicht ganz unüblich. Wenn aber diese mit „Das sagte Jossl jetzt in Chayas Richtung“ erläutert werden muss oder eine Lautäußerung mit „dann schrie er laut und verzweifelt“, weiß man, dass man es mit einem Prosatext zu tun hat, der sich kein bisschen um medienadäquates Erzählen schert.

Auch die vielen beschreibenden Passagen sind so pure Literatur, dass man schon einige Anstrengungen hätte unternehmen müssen, sie in eine Hörspielform zu überführen. Hier ist Hörspiel wie Tonfilm mit zu ausführlicher Audiodeskription. Nach der Adaption seines Romans „Sechs Koffer“ (SWR 2021, Bearbeitung und Regie: Walter Adler) ist „Kein König in Israel“ erst die zweite Hörspielfassung eines Prosatextes von Biller.

Koketterie mit dem Unpolitischen

Es ist zu vermuten, dass Biller nicht mit den Konventionen seines Genres brechen wollte. Wie sollte er auch, dafür wäre die Kenntnis von dessen Regeln die Voraussetzung. Stattdessen ging es ihm darum „eine geile Geschichte zu erzählen“, wie er im oben bereits zitierten Interview sagte. Denn er habe nie etwa Politisches vor mit einem Text. Zieht man die Koketterie mit dem Unpolitischen ab, so funktioniert die Geschichte des Josef „Jossl“ Brenner durchaus. Erzählt wird episodenhaft von den frühen zionistischen Anfängen in Palästina, wo zu Brenners Zeiten die Herrschaft des Osmanischen Reiches durch die der Briten abgelöst wird. Araber und Juden stehen sich feindlich gegenüber. Billers Manuskript ist im Frühjahr 2023 fertiggestellt worden, also ein halbes Jahr vor dem Massaker, bei dem die Hamas am 7. Oktober in Israel 1200 Menschen getötet und mehr als 200 entführt hatte und dessen heillose Folgen bis heute andauern.

Vor diesem Hintergrund hört man den Text des Juden Brenner, der im Fieber davon träumt, den „großen palästinensischen Roman“ schreiben zu wollen, „auf dessen letzten Seiten es ein Blutbad geben würde, wie noch nie in der neuen jüdischen Literatur.“

Hörspiel-Debüt mit 72

Brenner heiratet und wird geschieden. Seine Frau Chaya (Deleila Piasko) nimmt seinen Sohn Uri mit nach Deutschland, weil sie sich vor dem übermächtigen Einfluss des Vaters auf den Sohn fürchtet. Jossl schreibt dunkle und wirre Briefe an seinen Sohn, die er nie abschickt. Ein Rückblick in Brenners Londoner Zeit, in der er zeitweise in einem schwulen Nachtclub – die Schwulenfeindlichkeit vieler Araber wird später einen Freund das Leben kosten – verkehrte, ergänzt das Porträt Brenners.

Rekonstruiert wird Brenners Leben, das im Hörspiel mit seiner Ermordung beginnt und endet, von gleich zwei Erzählerfiguren, gespielt von Samuel Finzi und Adriana Altaras, die den Großteil des Hörspiels tragen. Für die atmosphärische Verdichtung sorgt der Soundtrack von Florian Van Volxem und Sven Rossenbach. Das Hörspiel neu erfunden, wie Biller meint, hat Dominik Graf zwar nicht. Aber für ein Debüt ist es auch mit 72 Jahren nicht zu spät. Friederike Mayröcker hat schließlich mit 90 Jahren ihre erste Oper geschrieben.

Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 10.10.2024

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