Synonyme des Schreckens
In ihrem Hörspiel „Srebrenica“ erzählen Armin Smailovic und Branko Šimić dreißig Jahre danach aus der Perspektive eines Opfers, eines Täters und eines Beobachters vom größten Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.
Armin Smailovic und Branko Šimić: Srebrenica – Ich zählte mein Leben nur noch in Sekunden
DLF Kultur Mi, 09.07.2025, 22.03 bis 23.00 Uhr
Mir hat niemand befohlen, Srebrenica zu verlassen, die Granaten taten es“, sagt Ahmo Hasić, Überlebender des Massakers vom Juli 1995, als innerhalb weniger Tage 8000 bosniakische Männer von der bosnisch-serbischen Armee selektiert, ermordet und in Massengräbern verscharrt wurden. In ihrem 55-minütigen Hörspiel „Srebrenica – Ich zählte mein Leben nur noch in Sekunden“ erzählen der Dokumentarfotograf Armin Smailovic und der Theaterregisseur Branko Šimić die Geschichte des bis dahin größten genozidalen Kriegsverbrechens in Europa seit dem zweiten Weltkrieg aus drei Perspektiven – der des Opfers Ahmo Hasić, der des Täters Drazen Erdemović und der des hilflosen Beobachters Rob Zomer.
Smailovic und Šimić haben mit den Dreien gesprochen und daraus ein dokumentarisches Theaterprojekt gemacht, das am 3. Dezember 2015 am Hamburger Thalia Theater uraufgeführt wurde. Anlässlich des dreißigsten Jahrestags des Massakers ist daraus mit dem gleichen Ensemble eine Radiofassung für Deutschlandfunk Kultur entstanden. Ahmo wird von Jens Harzer gesprochen, die Rollen von Drazen und Rob übernimmt Vernesa Berbo, die auch bosnischen Lieder singt. Szenisch sei das Projekt „denkbar unergiebig“, meinte das Portal Nachtkritik.de damals zur Uraufführung. Film- und Bildsequenzen formten ein Triptychon an der kahlen Bühnenwand und Holzscheite waren zu Grabstelen aufgestellt worden.
Das Radio braucht diese Bebilderung nicht. Selbst Originaltöne der drei Protagonisten werden nur sehr sparsam eingesetzt. Die Autoren Smailovic und Šimić, die auch Regie geführt haben, setzen stattdessen ganz auf die Stimmen von Jens Harzer und Vernesa Berbo. Harzer verleiht Ahmo, der zur Zeit des Massakers Ende 50 gewesen ist, eine alterslose Stimme, die zurückhaltend von dem Grauen berichtet, das ihm widerfahren ist. Vernesa Berbo agiert in den beiden anderen Rollen von Rob Zomer und Drazen Erdemović ähnlich verhalten.
Das Opfer
Es ist eine deprimierte Fassungslosigkeit mit der von dem berichtet wird, was Menschen anderen Menschen antun. Von dem Schreien und Wimmern vergewaltigter Frauen und den anschließenden Gewehrsalven – die manchmal ausblieben, wenn auf andere Art und Weise gemordet wurde – kann man kaum erzählen, sagt Ahmo, um sich gleich darauf zu korrigieren: „Doch, doch, man kann davon erzählen, klar, klar, es geht schon. Doch wer nicht anwesend war vor Ort, um zu sehen wie all diese Menschen, wie ein ganzes Volk wie Vieh abgeschlachtet wurde, der kann sich den Geschmack unserer Angst kaum vorstellen.“
Ahmo hat die Massenerschießung nur knapp überlebt und bleibt auf der Flucht ständig vom Tode bedroht. Schließlich ergibt er sich einer Polizeistreife, die ihn in ein Internierungslager verschleppt. Zwischendurch empfindet er eine absurde Freude, als ein serbischer Gastwirt ihn menschlich behandelt. So wie es vor Beginn des Bürgerkrieges war, als man in Jugoslawien ohne völkische Identität zusammenleben konnte. Ahmo ist 2019 mit über 80 Jahren in Belgien gestorben.
Der Täter
Die Geschichte von Drazen Erdemović ist eine andere. Sein Vater war Serbe, seine Mutter Kroatin weshalb er sich sich in den 1990er Jahren fragen musste, wo er hingehört. Seinen Militärdienst hatte er noch vor dem Bürgerkrieg in Belgrad abgeleistet. Dann ging er erst zur Armee der bosnischen Serben, dann zu den bosnischen Kroaten und schließlich zu den bosnischen Serben. Ein armer Hund mit einer schwangeren Frau, der irgendwie überleben wollte und zwischen den Kriegsparteien umherirrte. Als Kronzeuge vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sagte er aus, wie er in Srebrenica getötet hat: „Ich habe versucht abzulehnen, versucht zu erklären: ‚Leute, dafür wird man zur Rechenschaft gezogen. Wisst ihr, was ihr tut?‘ Nein, sie hatten wohl kein Gewissen, ich hatte noch eins.“ Drazen wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt und lebt jetzt unter einer falschen Identität.
Der Beobachter
Rob Zoner war Soldat der niederländischen Truppen in der Schutzzone von Potočari in die die Menschen aus Srebrenica geflohen waren. Die gesamte UN-Basis war in der brütenden Julihitze mit bis zu 28.000 Menschen überfüllt. Aber es dauerte nur Stunden bis nur noch 300 Soldaten übrig waren. Erst da wurde dem Blauhelmsoldat Rob Zoner klar, dass etwas furchtbar schiefgelaufen war. Sämtliche Flüchtlinge waren nach Männern und Frauen selektiert und mit Bussen abtransportiert worden. Das folgende Massaker war geplant und systematisch durchgeführt worden. Erst im Nachhinein erfuhr Rob, was genau passiert war. Er entwickelt eine posttraumatische Belastungsstörung und berichtet von Dutzenden Suiziden ehemaliger Kameraden. Seit 2009 lebt Rob in der Nähe von Srebrenica auf einem Grundstück im ehemaligen Niemandsland.
Die Autoren verschränken die Perspektiven und Erzählebenen miteinander, halten sich dabei aber weitgehend an die Chronologie der Ereignisse. Natürlich liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Erzählung von Ahmo. Jens Harzer gelingt es die Balance zwischen der dramatischen Vergegenwärtigung der Ereignisse und dem nachträglichen Bericht zu halten. Denn in der Rolle des Ahmo kann er noch von dem erzählen, wofür Srebrenica zum Synonym geworden ist – von der sinnlosen Gewalt deren Selbstzweck die Grausamkeit und die Verbreitung von Schrecken ist. Und Srebrenica ist nicht der einzige Ort, dessen Name zu einem Fanal des Grauens geworden ist. Von Ruanda bis Butscha schreibt sich die Kriegsverbrechen in die Namen ihrer Tatorte ein. Die Jury der Deutsche Akademie der Darstellenden Künste (Laila Stieler und Sebastian Krumbiegel) hat „Srebrenica – Ich zählte mein Leben nur noch in Sekunden“ zum Hörspiel des Monats Juli gewählt.
Jochen Meißner – KNA Mediendienst, 10.07.2025


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